Textilunternehmer ziehen ins Ausland
Immer mehr BekleidungsherstellerInnen und SchneiderInnen verlassen den Iran, um im Ausland hochwertiger produzieren und besser verdienen zu können. Besonders beliebte Abwanderungsziele sind das Nachbarland Türkei und China.
In großer Zahl und gut sichtbar prangen sie an den Häuserwänden der Jomhuriye-Eslami-Straße in Teheran, einem der Zentren der iranischen Bekleidungsindustrie: Anzeigen, die ortsansässige SchneiderInnen mit verlockenden Möglichkeiten verführen wollen. „Die Türkei sucht Topschneider! Verdienen Sie das Dreifache im Nachbarland!“, oder: „Der Wohlstand wartet in China. Rufen Sie uns an!“, lauten die Angebote. Und nicht wenige SchneiderInnen scheinen der Aufforderung nachzukommen.
Seit vielen Jahren beklagt der Iran den sogenannten Braindrain – die Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte ins Ausland. Dass iranische MedizinerInnen oder IT-Fachkräfte in Scharen das Land verlassen, ist nicht neu. Nun gehen auch talentierte SchneiderInnen und TextilunternehmerInnen.
Doch was genau lockt die iranischen Bekleidungsfachleute ins Ausland? Hossein Esfandiari-Moghaddam, Textilunternehmer und einer der Köpfe hinter den Anzeigen, erklärt: „Wir nehmen von den InteressentInnen zunächst Arbeitsproben. Wenn wir mit den Fähigkeiten der BewerberInnen zufrieden sind, ermöglichen wir ihnen die Ausreise nach Istanbul. Dort wartet auf die SchneiderInnen ein gutes Leben. Die Kosten für die täglichen drei Hauptmahlzeiten werden komplett von uns übernommen.“ Selbst die Miete für die Unterkunft werde im ersten Jahr vom Arbeitgeber gezahlt, sagt Esfandiari-Moghaddam. Doch nicht nur die Lebenshaltungskosten sind in der Türkei für die iranischen SchneiderInnen günstiger als in der Heimat. Sie verdienen auch deutlich mehr: „Das Gehalt unserer Angestellten beträgt zwischen 1.000 und 1.500 Dollar. Das ist drei- bis viermal mehr als das, was sie zuhause verdienen“, so der Textilunternehmer.
Günstigere Produktion im Ausland
Esfandiari-Moghaddam reist seit mehr als zwei Jahren zwischen der Türkei, dem Iran und China. Seinen Hauptwohnsitz hat er allerdings in der Türkei. Vor drei Jahren hatte er sich aus finanziellen Gründen für das Nachbarland entschieden: „Die Produktionskosten im Iran sind im Gegensatz zur Türkei sehr hoch.“ Nach Informationen der Teheraner Tageszeitung Shahrvand sind mancherorts im Ausland die Produktionskosten um bis zu 90 Prozent günstiger als im Iran. Aber auch die Möglichkeit, fern der Heimat Produkte mit besserer Qualität herzustellen, lockt zahlreiche Unternehmer ins Ausland. „Zwar sind die Produktionskosten in China noch geringer als in der Türkei. Jedoch kann man in der Türkei qualitativ hochwertigere Kleidungsstücke produzieren als in China. Wenn ein Textilunternehmer also das Ziel verfolgt, sich unter den bekannten Marken zu etablieren, dann geht er am besten in die Türkei. Wer aber das schnelle Geld machen will, geht nach China“, so Esfandiari-Moghaddam.
Problem Schmuggelware
Neben den hohen Herstellungskosten im Iran macht der Bekleidungsindustrie ein anderes Problem zu schaffen: der florierende Schmuggel von Markenkleidung in den Iran. Diese wird in großen Mengen unverzollt in den Iran eingeführt und findet großen Absatz auf den Märkten. „Die Menschen bevorzugen ausländische Qualität gegenüber Made-in-Iran-Produkten. Mit dieser Konkurrenz können die iranischen ProduzentInnen einfach nicht mithalten, zumal die unverzollte Schmuggelware zu einem Spottpreis verkauft wird“, so Esfandiari-Moghaddam.
Laut der staatlichen Organisation zur Bekämpfung des Schmuggels werden jährlich Kleidungsstücke im Wert von 100 Millionen Dollar in den Iran geschmuggelt, während über legale Kanäle nur Waren im Wert von zwei Millionen Dollar ihren Weg auf den iranischen Kleidungsmarkt finden. Maßgeblich mitverantwortlich für den Schmuggel ist Iran-KennerInnen zufolge die Revolutionsgarde, die an den heimlichen Import-Export-Geschäften gut verdienen soll. Angeblich haben die mächtigen Paramilitärs sogar eigene Schiffsanlegestellen errichtet, die für die illegale Einfuhr genutzt werden. 80 Schiffsanleger dieser Art soll es Medienberichten zufolge landesweit geben. Unklar ist jedoch, wie viele davon von der Revolutionsgarde betrieben werden.
SEPEHR LORESTANI
Übersetzt und überarbeitet von Jashar Erfanian