Der Widerstand ist weiblich

So alt wie die Islamische Revolution

Nur wenige Wochen nach seiner Machtübernahme hatte Ayatollah Ruhollah Khomeini am 7. März 1979 verkündet, Frauen dürften zwar auch künftig aus dem Haus und arbeiten gehen – sie dürften aber nicht „nackt“ (also ohne Kopfbedeckung) in Ministerien erscheinen. Einen Tag danach protestierten Tausende Mitarbeiterinnen vor ihren Ministerien, Schülerinnen gingen auf die Straße, rund 8.000 Studentinnen kamen auf dem Unigelände zusammen. Sie riefen: „Wir wollten vorwärts gehen, als wir die Revolution gemacht haben! Rückwärts gehen wollen wir nicht!“ Die Bilder gingen um die Welt. Islamisten beschimpften die unverschleierten Frauen und griffen sie tätlich an. Sie riefen: „Entscheidet selbst: Schleier auf dem Kopf oder Schläge auf den Kopf!“
Im Juni 1980 gab es einen weiteren Versuch, Frauen das Kopftuch aufzuzwingen. Khomeini gab dem Staatspräsidenten damals eine zehntägige Frist, um eine entsprechende Regelung zu schaffen. Am 7. Juli 1980 verkündete der Revolutionsrat, dass ab dem nächsten Tag keine Staatsbedienstete mehr unverschleiert ihr Dienstgebäude betreten dürfe. Nicht nur Behörden, auch Schulen, Flughäfen, Krankenhäuser verweigerten von da an Frauen, die nicht „islamisch korrekt“ bekleidet waren, den Zutritt. An allen öffentlich zugänglichen Orten mussten Tafeln angebracht werden, die unverschleierten Frauen das Betreten der Örtlichkeiten verbaten. Auch Geschäfte und Restaurants waren davon betroffen.
An den Eingängen von Behörden, Ämtern, Krankenhäusern und Flughäfen standen Frauen, die kontrollierten, ob Mäntel und Hosen von Besucherinnen lang und weit genug waren, ob jene zu bunt gekleidet oder gar geschminkt waren. So wagten sich immer weniger Frauen unverschleiert auf die Straße, und die, die es doch taten, wurden immer öfter verbal oder tätlich angegriffen.
Der erste gesetzliche Regelung des Schleierzwangs wurde im Sommer 1983 getroffen. In Paragraf 638 des islamischen Strafrechts wurde verankert, dass Frauen, die unverschleiert in der Öffentlichkeit erscheinen, zu zehn Tagen bis zwei Monaten Haft oder Geldstrafen zwischen fünf und fünfzig Tausend Tuman verurteilt werden können. Damals entsprach diese Geldstrafe noch bis zu zehn Monatsgehältern eines Beamten, heute sind es ein bis zehn Euro. Für einen Euro kann man im Iran derzeit etwa ein Kilo Mandarinen kaufen.

Politischer Widerstand

Der weibliche Widerstand gegen den Schleierzwang war immer auch ein politischer – ein Stellvertreterkrieg zwischen den Machthabern und Frauen, die die islamische Vorherrschaft und die damit einhergehende Benachteiligung der Frauen ablehnten und dem autoritären Regime sichtbar Paroli bieten wollten.
Nach und nach wurden die dunklen Umhänge, die Mäntel und Hosen ein wenig heller, enger, kürzer und farbenfroher, die Kopftücher bunter, durchsichtiger und schmaler, so dass man oft zwei Mal hinsehen muss, um die Existenz eines Schals zu entdecken. Aus Mänteln wurden längere Jacken oder Blusen, nackte Unterarme und Beine sind zu sehen.

Erste große Frauendemonstration in Teheran - 8. März 1979
Erste große Frauendemonstration in Teheran – 8. März 1979

 
Doch diese Lockerungen sind nicht als Zeichen der Großzügigkeit oder Kampfmüdigkeit der Machthaber zu bewerten. Nicht selten lassen blutige Gesichter von Frauen ahnen, dass sie wegen „unislamischer Bekleidung“ von Sittenwächtern in die Mangel genommen wurden. Doch immer öfter eilen dann Passanten zuhilfe und vertreiben die Sittenwächter.
Der wahre Grund für die Veränderungen ist, dass Frauen die Repressionen nicht mehr dulden – und die Machthaber sie nicht mehr ausüben können.

Soziale Netzwerke als Verbündete

Seit mindestens einem Jahrzehnt zählt das plötzliche Ablegen der Kopftücher in der Metro, dem Bus, der Einkaufspassage, kurz: in der Öffentlichkeit, zu den gängigen Protestformen von Frauen gegen den Schleierzwang. Sie lassen sich dabei filmen oder fotografieren, die Bilder erreichen über soziale Netzwerke die ganze Welt.
Am Anfang waren das seltene Aktionen und reine Mutproben. Später fanden sie mehr Zuspruch. Frauen posierten vor Wahrzeichen in Teheran, vor bekannten Moscheen in Isfahan, am Kaspischen Meer, in engen Jeans und ärmellosen, tief ausgeschnittenen T-Shirts oder mit High Heels auf Teheraner Straßen und ließen sich dabei fotografieren oder filmen. Aus einfachen Posen wurden Action-Videos: Eine Frau überquert eine Kreuzung, nimmt plötzlich ihr Kopftuch ab und tanzt mitten auf der Straße zu Musik aus ihrem Kopfhörer. Frauen und Männer musizieren vergnügt auf Teheraner Dächern, die Frauen sind unverschleiert und singen Solo, obwohl das streng verboten ist. Eine Frau, begleitet von einem Musikinstrument, beginnt in einer belebten Einkaufspassage zu singen, Passanten bleiben stehen und applaudieren. Eine Frau führt in einem Park einen Tanz vor. Männer und Frauen tanzen fröhlich gemeinsam im Freien nach einem Konzertbesuch (Tanzen ist im Iran verboten – Anm. d. Red.).
Für Frauen, die von Kindesbeinen an, über Jahrzehnte, gezwungen wurden, nach islamischen Ge- und Verboten zu leben, ist das nicht nur ein Tanzvergnügen. Es ist eine Art Verschnaufpause, wie eine Schwimmerin, die nach einer Strecke unter Wasser hervorkommt, um Luft zu holen. Kurz das Kopftuch abzulegen,  auf der Straße zu tanzen in einem durchregulierten Alltag, heißt kurz, die Seele baumeln zu lassen.
All das würde uns aber nicht erreichen ohne das Internet im Iran.

Fortsetzung auf Seite 3