Gemeinsam für mehr Menschenwürde

AD: Um die Bürokratie zu vereinfachen, haben wir beide Botschaften einbezogen, unser Projekt und unsere Ziele dort vorgestellt und haben dann von beiden Seiten unkompliziert Visa bekommen.
Wer finanziert eigentlich das Projekt, die gegenseitigen Besuche?
JS: Die Besuche der Iraner*innen hier finanziert die Lebenshilfe. Auch unsere Reisen in den Iran haben wir anfangs komplett selbst finanziert. Seit unserem dritten oder vierten Besuch dort bekommen wir Unterkunft, Verpflegung und Transport im Iran von der dortigen Seite gestellt. Aber sollte das aufgrund der Finanzknappheit infolge der Sanktionen nicht mehr möglich sein, werden wir das auch als Lebenshilfe wieder übernehmen.
Was hat denn die Lebenshilfe, was haben Sie von dem Projekt?
AD: Man muss die Erlebnisse sehen, die wir haben! Das ist schön. Wir sehen so viele Fortschritte und Verbesserungen. Einmal haben wir einen jungen Mann mit Down-Syndrom mitgenommen, als Kollegen. Er hat auf den Seminaren Fragen dazu beantwortet, wie er hier lebt, wie er leben möchte.
JS: Zuerst hat er sich beschwert! Weil auf einem Transparent auf einem unserer Veranstaltungsorte im Iran in deutscher Sprache stand: Menschen mit Behinderung. Das müsse weg, hat er gesagt, das Wort Behinderung hat ihm nicht gefallen. Und die Gastgeber haben das auch sofort geändert.

Abbas Djalilehvand bei einem Workshop in Teheran
Abbas Djalilehvand bei einem Workshop in Teheran

 
AD: Das war für viele Teilnehmer*innen eine Überraschung, zu sehen, dass da ein Mensch mit geistiger Beeinträchtigung aus Deutschland in den Iran kommt, der ganz selbständig lebt und über sein Leben entscheidet.
JS: Natürlich ist das für die Lebenshilfe auch ein Prestigeprojekt. Erst gerade waren wir auf einer Tagung in Litauen und haben unsere Kooperation mit dem Iran dort vorgestellt. Aber im Zuge unserer Arbeit sind im Iran inzwischen auch 60 bis 65 Wohngemeinschaften für Menschen mit Beeinträchtigungen entstanden, in denen jeweils um die zwölf Menschen leben: Also fast 800 Menschen, die herausgekommen sind aus diesen großen Bettensälen und hinein in individuelle Wohn- und Lebensformen. Mittlerweile passiert es am Ende fast jeden Seminars, dass Mitarbeiter*innen ihren Vorgesetzten direkt einen Antrag übergeben, dass sie eine solche Wohngruppe eröffnen möchten.
Wie werden diese Wohngemeinschaften dann finanziert? Von der Behzisti?
AD: Es gibt die Tradition der Spenden im Iran, Spenden aus religiösen Gründen. Das sind eigentlich Spenden aus Mitleid, sie sind nicht unbedingt verbunden mit der Idee, dass Leute sich entwickeln sollen, sondern dass der Spender dadurch ins Paradies kommt. Oft werden Mieten oder manche Personalstellen von solchen Spender*innen finanziert. Die Verpflegung und die personelle Grundausstattung übernimmt der Staat.
 Gab es von der iranischen Seite nie die Erwartung, dass die Lebenshilfe auch Geld mitbringt, Projekte vor Ort finanziert?
AD: Wir haben von Anfang an offen gesagt, dass unsere Zusammenarbeit auf einer inhaltlichen Basis laufen muss und die Lebenshilfe keine finanziellen Mittel für Projekte hat.
Macht die Lebenshilfe Berlin solche Projekte auch mit anderen Ländern?
JS: Nein, bisher nur mit dem Iran.♦
*Jürgen Schwarz leitet die Interkulturelle Beratungsstelle der Lebenshilfe Berlin, Abbas Djalilehvand ist Leiter der Ambulanten Dienste Kreuzberg 1. Beide gemeinsam betreiben das Iranprojekt der Berliner Lebenshilfe.
© Iran Journal 2019

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