Verächtlicher Weltrekord

Eine Besonderheit der heutigen Revolutionsgerichte ist aber ihre Systematik bei der Ermittlung und Urteilsfindung. Man findet sich nicht mehr urplötzlich und zufällig vor dem Richter oder schlimmer noch vor einem Erschießungskommando. Heute arbeiten die Geheimdienste sehr effektiv, Akten und Zeugen sind gut präpariert und auch die Revolutionsrichter sind passend vorbereitet. Vorbei sind die Chaos-Jahre zwischen Februar 1979 und Ende 1984, in denen laut Amnesty International 6.108 Oppositionelle nach oft nur wenige Minuten dauernden Prozessen hingerichtet wurden.

„Modernität“ und Brutalität

Doch die neue und moderne Effektivität dieser Maschinerie vermochte deren althergebrachter Brutalität nicht Einhalt zu gebieten. Politische Dissidenten werden heute eher eingesperrt, oft für Jahrzehnte, manchmal für immer. Und sie sind auch keine politische Gefangene mehr, denn so etwas gibt es offiziell nicht im Iran. Im Iran befinde sich kein einziger Mensch wegen seiner politischen Aktivitäten im Gefängnis, sagte vergangene Woche Javad Zarif in New York. Der stets lächelnde iranische Außenminister gilt als das sympathische Antlitz der Islamischen Republik – und hier hat er zumindest formal recht.

„ Es gibt nur Gotteslästerer“

Denn politische Vergehen haben im Iran andere Namen. In den entsprechenden Paragraphen tauchen Begriffe wie Gotteslästerung, Untergrabung der islamischen Ordnung, Ermutigung des Feindes und so weiter auf. So wie im Fall von Mohammad Ali Taheri, über dessen Schicksal Amnesty International am 13. Mai berichtete: „Mohammad Ali Taheri befindet sich seit vier Jahren im Teheraner Evin-Gefängnis in Einzelhaft, da ihm wegen seiner spirituellen Weltanschauung und Lehren ‚Beleidigung islamischer Heiligkeiten‘ vorgeworfen wird. Der gewaltlose politische Gefangene steht momentan wegen der zusätzlichen Anschuldigung der ‚Förderung von Verdorbenheit auf Erden‘ vor Gericht. Mohammad Ali Taheri könnte unter diesem Vorwurf zum Tode verurteilt werden.“

Ayatollah Sadegh Khalkhali hat als erster oberster Richter der Revolutionsgerichte unzählige Todesurteile unterschrieben
Ayatollah Sadegh Khalkhali hat als erster oberster Richter der Revolutionsgerichte unzählige Todesurteile unterschrieben

Hinrichtungen wegen Drogendelikten

Warum und wie viele Menschen im Iran tatsächlich hingerichtet werden, wissen wir dabei nicht einmal genau. Denn uns liegen lediglich die Statistiken der offiziellen Regierungsstellen vor. Auch Amnesty International beruft sich in seinen Jahresberichten stets auf jene Zahlen, die die staatlichen Stellen bekannt geben.

Wie auch immer: Die offiziell bestätigten Todesurteile im Iran werden mehrheitlich wegen Drogendelikten ausgesprochen und vollstreckt. Mit der Todesstrafe muss im Iran rechnen, wer mit mindestens fünf Kilogramm Opium, 30 Gramm Heroin oder auch Metamphetamin aufgegriffen wird. Die Mengen mögen auf den ersten Blick hoch erscheinen, doch sie sind es nicht im Iran, wo Drogenmissbrauch eine erschreckende und kaum noch beherrschbare Dimension angenommen hat. Täglich kämen bis zu 100 Personen zum Heer der Süchtigen hinzu, sagte vergangene Woche Rouzbeh Kardawani, Staatssekretär zur Abwendung der sozialen Gefahren im Sozialministerium. Und wie groß dieses Heer insgesamt ist, weiß niemand genau. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass derzeit annähernd drei Millionen IranerInnen drogensüchtig seien. Der Gesundheitsminister sagte in einem Interview Anfang Juli, täglich stürben mindestens acht Menschen an Drogenmissbrauch.

Ein unendlicher Krieg

Der Iran hat auch ein geographisch bedingtes Drogenproblem. Er ist das wichtigste Transitland nach Europa für Drogen aus Afghanistan. Drei Viertel des weltweit beschlagnahmten Opiums und Morphiums und ein Viertel des Heroins werden im Iran konfisziert. Welche Drogenmenge durch korrupte Polizisten und Grenzbeamte auf den Markt kommt, bleibt ungewiss. In US-Depeschen, die Wikileaks im Januar 2011 veröffentlichte, wird darauf hingewiesen, dass die Revolutionswächter selbst am Drogenschmuggel über die Balkanroute nach Europa beteiligt seien.

Doch die Revolutionsgarden halten sich selber für Helden in einem harten Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität. An der über 1.900 Kilometer langen Grenzen des Iran zu Afghanistan und Pakistan hätten seit der Revolution mehr als 3.700 Polizisten ihr Leben im Kampf gegen Schmuggler verloren, so die Verantwortlichen, denn jährlich kämen 500 Tonnen Drogen über die Grenze. Und der Strom reißt nicht, er wird zur Flut.

Allein im ersten Quartal des iranischen Kalenders (21. März bis 21. Juni) wurden in diesem Jahr bereits 260 Tonnen Drogen sichergestellt, elf Prozent mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres, sagte vergangenen Montag Kommandant Eskandari der Nachrichtenagentur Tasnim. Er ist in der Führung der nationalen Sicherheitskräfte mit der Drogenbekämpfung beschäftigt.

Neue Einsicht der Großayatollahs

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