Ein dunkles Kapitel der iranischen Geschichte

Es gab in Teheran ein dreiköpfiges Team, die „Todeskommission“.

Wie verlief das genau?

Bei Mudschaheddin fragten sie: Wie stehst du zur Islamischen Republik? Wie stehst du zu deiner Organisation? Wenn die Gefangene sagte: Ich bin ein Mudschahed, reichte das aus, um hingerichtet zu werden.

Und bei den Linken?

Bei den Linken war die Frage „Bist du gläubige Muslimin?“ sehr wichtig. Wenn jemand Nein sagte, fiel das Urteil Hinrichtung. Wenn jemand sagte, „Ich bin in einer islamischen Familie geboren“, wurden weitere Fragen gestellt, etwa: „Betest du?“ Und je nach den Vorstellungen des so genannten Richters wurden die Gefangenen dann hingerichtet oder nicht.

Das heißt, man konnte mit Lügen sein Leben retten?

Ja. Aber die meisten Gefangenen hatten keine Ahnung, wozu das neuerliche Verhör diente. Manche dachten, es ginge darum, innerhalb des Gefängnisses bestimmte Gruppierungen voneinander zu trennen.

Warum hat das Regime mit den Hinrichtungen aufgehört und nicht alle linken Gefangenen und Mudschaheddin beseitigt?

Es gibt keine plausiblen Gründe dafür. Aber ich gehe davon aus, dass das Regime damit die letzten Kritiker und Gegner, die es für gefährlich hielt, beseitigen wollte. Sie haben irgendwann gedacht, genug Schrecken erzeugt und die anderen damit zum Schweigen gebracht zu haben. Sie wollten das Grauen nicht in die Länge ziehen, um eventuellen Protesten der Familien und Menschenrechtler vorzubeugen.

Khavaran-Friedhof in Teheran - Foto: Parastou Forouhar
Khavaran-Friedhof in Teheran – Foto: Parastou Forouhar

 
Glauben Sie nicht, dass kritische Stimmen innerhalb des Systems ein Grund für die Beendigung der Massenhinrichtungen gewesen sein könnten?

Ayatollah Montazeri, der designierte Nachfolger von Revolutionsführer Khomeini, der später in Ungnade fiel und unter Hausarrest gestellt wurde, hat dagegen protestiert. Vor nicht allzu langer Zeit wurde eine Tonaufnahme veröffentlicht, in der er mit den so genannten Richtern spricht, die die Gefangenen im Sommer 88 zum Tode verurteilten. Er äußert sich dort empört über die Geschehnisse. Doch die anderen sprechen so lässig über ihre schrecklichen Taten, als ginge es nicht um die Tötung von Menschen, sondern um geschäftliche Angelegenheiten. Außer Montazeri soll auch ein so genannter Revolutionsrichter in der südwestiranischen Stadt Dezful dagegen gewesen sein. Aber alle anderen waren entweder dafür oder haben geschwiegen.

Wusste außer den Verantwortlichen niemand von den geheimen Hinrichtungen?

Doch, es gab vereinzelt Informationen darüber. Die Familien wussten, dass das Besuchsverbot kein gutes Zeichen sein kann, dass etwas Ungewöhnliches im Gange ist. Sie versammelten sich immer wieder vor den Gefängnissen und verlangten nach Erklärungen. Sie benachrichtigten auch das Ausland, so bekam Amnesty International davon Wind. Auch manche Freitagsprediger wie Rafsanjani oder Mousavi Ardebili hatten Andeutungen gemacht, die etwas Schreckliches vermuten ließen. Aber vom Ausmaß der Hinrichtungen wusste niemand.

Wurden Sie auch verhört?

Nein!

Welche Ihrer Mitgefangenen wurden hingerichtet?

Das waren politische Gefangenen, die mehrheitlich seit 1981 inhaftiert und schon längst verurteilt worden waren. Viele von ihnen hatten ihre Haftstrafen abgesessen und hätten eigentlich freigelassen werden müssen. Das waren Menschen, die immer noch ihren politischen Weltanschauungen treu waren.

Wann und wie haben Sie das Ganze erlebt?
Fortsetzung auf Seite 3