Preise von Cannes spalten IranerInnen im Internet
Die iranische Regie-Ikone Asghar Farhadi und der Schauspieler Shahab Hosseini sind in Cannes mit Goldenen Palmen ausgezeichnet worden. Viele IranerInnen freut das, andere sind verärgert. Das gilt auch für die überraschende Wahl eines erzkonservativen Ayatollahs zum Vorsitzenden des mächtigen Expertenrates. Ein Webwatch:
Vergangenen Sonntag wurden der Oscar-Preisträger und Regisseur Asghar Farhadi als bester Drehbuchautor und der Schauspieler Shahab Hosseini als bester Hauptdarsteller des sozialkritischen Films „Forushandeh“ beim Filmfest in Cannes mit Goldenen Palmen geehrt. Viele IranerInnen beglückwünschten die Preisträger in Online-Diskussionsforen und sozialen Netzwerken zu ihrem Erfolg. „Bravo an Farhadi und Hosseini. Ihr Film war so erfolgreich, weil er dem Publikum einen unverfälschten Einblick in die Probleme der iranischen Gesellschaft gegeben hat“, schreibt beispielsweise Mahnaz unter einer Meldung des iranischen Nachrichtenportals ISNA. Ähnlich äußert sich Bande Khoda, ein Besucher der Webseite Asr Iran: „Hoch leben die wahren Künstler des iranischen Volkes. Diese Preisträger sind Menschen, die die realen Probleme der Iraner abbilden. Sie zeigen der Welt, wie der Iran wirklich ist. Sie lassen sich nicht vom Regime für ihre Propaganda instrumentalisieren“, lobt der Iraner die beiden Filmkünstler.
Farhadi und Hosseini würden nicht zu den iranischen Künstlern gehören, „die sich von den Mullahs verbiegen lassen“, schreibt auch Zhinous auf der Facebookpräsenz der Nachrichtenseite Radio Zamaneh: “Sie stehen ganz im Dienst der Kunst und der Wahrheit. Deswegen werden ihre Karrieren vom Staat mit Argwohn betrachtet.“
„Herr Farhadi, seit Stunden weine ich schon vor Freude. Ich kann mein Glück kaum in Worte fassen. Welch großartiger Erfolg!“, schreibt ein offensichtlich gerührter anonymer User der Webseite Fararu. „Gott beschütze unsere wahren Volksvertreter in Cannes“, jubelt Radio Farda-User Mani. „Danke an euch, die ihr es geschafft habt, den Iran in die Nachrichten zu bringen, ohne dass die Worte Revolutionsgarde, Destabilisierung, Sanktionen und Weltsicherheitsrat gefallen sind“, so User weiter.
Ärger über Gleichgültigkeit
Die Freude vieler IranerInnen über den Erfolg ihrer Landsleute wird jedoch getrübt durch die zurückhaltenden Reaktionen der staatlichen Medien. So schreibt Jahan auf Fararu: „Das ist doch wirklich sehr bemerkenswert: Während internationale Fernsehstationen nonstop über das Festival in Cannes berichten, zeigt das iranische Fernsehen einen Beitrag über Mayonnaise.“ Ebenso verärgert äußert sich ein anderer anonymer Besucher dieses Nachrichtenportals: „Was sich das Staatsfernsehen da leistet, ist eine bodenlose Frechheit. Wissen die Verantwortlichen überhaupt, dass Farhadi und Hosseini Iraner sind?“, fragt der User.
„Wahrscheinlich überlegt sich das Regime gerade, mit welcher Begründung Forushandeh auf den Index gesetzt werden könnte“, erklärt sich Hessam auf Radio Farda die Zurückhaltung iranischer Offizieller. Ein anderer Web-User wiederum vermutet auf Alef, dass der iranische Staat sich bald zu Wort melden wird, indem er der Hauptdarstellerin des Films vorwerfen werde, sich auf dem roten Teppich in Cannes nicht angemessen verschleiert zu haben.
Marionetten des Westens? Marionetten des Regimes?
Neben jenen IranerInnen, die sich glücklich und erfreut über den Erfolg in Cannes zeigen, gibt es jedoch auch andere, die sich nicht in die Schlange der Gratulanten einreihen möchten. Nicht wenige davon sehen in „Forushandeh“ ein antiiranisches Produkt. Farhadi habe erneut bewiesen, dass er „alles ist, nur kein Künstler“, schreibt beispielsweise Mohammad. „Der Westen finanziert Farhadis Filme, die alle den Iran in den Dreck ziehen. Und anschließend bekommt er vom Westen einen Preis“, ärgert er sich auf ISNA. Wenigstens habe die Hauptdarstellerin keinen Preis gewonnen, freut sich Yek Hamvatan. Ihr Auftritt auf dem roten Teppich sei „unislamisch“ und „eine Schande für jede iranische Frau“ gewesen. „Warum möchten die IranerInnen nicht begreifen, dass Farhadi nur Preise gewinnt, wenn er sein Land verunglimpft“, schreibt auch Ali. „Jeder, der an dem Film mitgewirkt hat, ist nicht weniger als ein Verräter. Asghar Farhadi sollte sich einfach nur schämen“, wütet Toofan auf Fars News.
Andere sind der Überzeugung, dass Farhadi es versäumt habe, deutlichere Sozialkritik zu üben: „Der Film ist einfach nicht überzeugend, weil er keinen Gesamtüberblick über die Probleme der Menschen in der Islamischen Republik gibt. Farhadi verliert kein Wort über Hinrichtungen, Säureangriffe auf Frauen und die allgegenwärtige Korruption“, zeigt sich Majid auf Voice of America Farsi enttäuscht.
Manche IranerInnen lehnen es ab, an der Freude über Cannes teilzuhaben, weil sie Macher sowie DarstellerInnen von Forushandeh als Lakaien des Regimes in Teheran ansehen. „Jeder Oscar, jede Goldene Palme, jede Goldmedaille, jeder Länderspielsieg einer iranischen Nationalmannschaft bedeutet eine Steigerung des Ansehens der Islamischen Republik. Farhadi und Co. sind dementsprechend Helfer des Mullah-Staates“, schreibt etwa Baxtiar auf der Facebookseite von BBC Farsi. „Wer für die Filmindustrie der Mullahs arbeitet, ist alles, nur kein unabhängiger Künstler“, findet auch Facebook-Userin Azita. Die Forushandeh-Crew sei eine Marionette des Regimes, glaubt auch Kaivan. „Der Beweis dafür ist Taraneh Alidoostis Auftritt in Cannes. Warum trägt sie als offensichtlich nichtreligiöse Frau in einem laizistischen Land ein Kopftuch?“, fragt der Iraner. Ähnlich äußert sich Kohestan: „Während sich Tausende IranerInnen aus Protest gegen den Kopftuchzwang ohne Verschleierung auf Facebook zeigen und damit für ihre Überzeugung ihre Sicherheit aufs Spiel setzen, trägt Frau Alidoosti in Cannes ein Kopftuch. Sie sollte sich schämen“, so die Iranerin. Auch Shahab Hosseini trifft die Wut einiger iranischen Internet-NutzerInnen. Er sei „ein angepasster Handlanger Ayatollah Khameneis mit besten Kontakten zur Revolutionsgarde“, schreibt Farshid.
Ärger über Wahl des greisen Ayatollahs
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