Hochpolitisch und schwer zu kontrollieren: Frauenforschung im Iran
Die iranischen Exilantinnen, die sich an ausländischen Universitäten der Frauenforschung gewidmet haben, sind hauptsächlich politische Migrantinnen nach der islamischen Revolution 1979 oder nach der umstrittenen Wahlen von 2009. Die mit der ersten Flüchtlingswelle kommenden Frauen studierten im Westen und nahmen die Umstände der iranischen Frauen unter die Lupe. Dann kamen im Iran die Reformisten an die Macht und die Frauenbewegung im Land, die sich bis dahin heimlich mit den Exilaktivistinnen austauschte, bekam die Möglichkeit, sich sichtbar zu entfalten. Dank der nicht regimetreuen Presse interessierten sich junge Aktivistinnen immer mehr für Frauenforschung. Die Frauenforschung und die verwandten Themen wurden durch Nichtregierungsorganisationen in die Mitte der Gesellschaft getragen. In diesen Jahren wurden mehrere Bücher über Gleichberechtigung und Bürgerrechte verfasst.
In der Ahmadinejad-Ära wurde die Zivilgesellschaft wieder stark eingeschränkt, die prägenden Gesichter der Frauenbewegung wurden weg gesperrt. Den Initiativen blieb kein anderer Ausweg als eine untergründige Existenz in Form unterschiedlicher Kampagnen.
Die Feministinnen, die einst an den Universitäten und bei den Zeitungen sowie Nichtregierungsorganisationen arbeiteten, diskutierten im Web und trugen zur Vertiefung des Diskurses bei. Dadurch entstand ein beachtlicher Nachwuchs.
Die neue Welle politischer MigrantInnen
Die politische Lage nach den Wahlen 2009 vertrieb einen Großteil der Aktivistinnen in westliche Länder. Dieser interessierte sich vor allem für die politisch-gesellschaftlichen Fragen und für die Frauenbewegungen. In der neuen Flüchtlingswelle waren sowohl junge Aktivistinnen, die bereits Grundkenntnisse der englischen Sprache besaßen und in Sachen Internet versiert waren als auch Aktivistinnen mit mehreren Jahrzehnten Erfahrung.
Die junge Generation fing an, ihr Wissen durch ein passendes Studium zu vertiefen, die ältere Generation forschte weiter und nutzte die Gelegenheit, ihre Strategien und Erfahrungen objektiver und genauer abzuwägen. Das Erreichte der neuen Flüchtlingsaktivistinnen im Zeitraum 2010 bis 2015 kann man wie folgt zusammenzufassen:
• mehrere Doktor- und Forschungsarbeiten basierend auf eigener Erfahrung aus der Zeit im Iran, u. a. Nasrin Afzali (Muslim Women, sexuality, and sport), Afrooz Maghzi (Women’s rights in Iran), Leyli Behbahani (Transnational feminism and solidarity between Iran-led feminist campaigns and Iranian diaspora and transnational feminist movements)
• mehrere persischsprachige Internetseiten bezüglich Frauenforschung wie Zannegaar, Feminism everyday
• die Vervielfältigung des feministischen Diskurses und die Weitergabe der aktuellsten Erkenntnisse an die Studierenden im Iran wie Feminist Dialogue, Feminist Historians
• mehrere Onlineportale mit didaktischem Material in unterschiedlichen Bereichen wie Tavana
• freier Zugang der Lehrenden und Lernenden zu Informationen und Lernstoffen im Internet ohne den staatlichen Einfluss.
Um den Einfluss dieser Entwicklungen auf die iranische Gesellschaft beobachten zu können, ist es jedoch noch zu früh. Fakt ist aber, dass der Staat nicht mehr in der Lage ist, das Thema Frauen- und Geschlechterforschung an den iranischen Universitäten vollkommen zu kontrollieren und in eine bestimmte Richtung lenken.
MAHBOUBEH ABASGHOLIZADEH*
*Die iranische Frauenrechtlerin Mahboubeh Abbasgholizadeh ist Gründerin und Leiterin des Fernsehsenders Zanan TV (Frauen TV) und des daran angeschlossenen NGO-Trainingscenters. Wegen ihres Engagements in der iranischen Frauenbewegung wurde sie mehrfach inhaftiert und nach ihrer Ausreise aus dem Iran in Abwesenheit zu 30 Monaten Zuchthaus und 30 Peitschenhieben verurteilt. Seither setzt sie ihre Aktivitäten für Frauenrechte und demokratische Entwicklung der Zivilbevölkerung des Mittleren Ostens vom Ausland aus fort.
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