Fließender Fluss: „Gottes Wille“ oder  „Ablenkungsmanöver“?

Diese Tage beschäftigen zwei Themen iranische InternetaktivistInnen: Einer der wichtigsten Flüsse des Iran führt nach langer Zeit wieder Wasser. Viele iranische WebnutzeriInnen freut das, andere sind misstrauisch. Skepsis löst im Netz auch die Meldung aus, dass bald Menschenrechtsbeobachter in den Iran einreisen dürfen. 

Einst war der Zayandeh-Rud, der durch die Großstadt Isfahan fließt, der wasserreichste Fluss in Zentraliran und einer der wenigen iranischen Ströme, die ganzjährig Wasser führten. Seit Ende der 2000er Jahre ist er aufgrund von Übernutzung des Grund- und Oberflächenwassers und ausbleibendem Regen einen Großteil des Jahres ausgetrocknet.
Doch seit wenigen Tagen fließt der von den IranerInnen sehr geliebte und oft besungene Fluss wieder. Der Grund: Örtliche Verantwortliche haben Wasser in den Zayandeh-Rud umgeleitet – sehr zur Freude vieler IranerInnen, die auf Weblogs und sozialen Netzwerken in der Vergangenheit ihr Bedauern über die Wasserarmut des Flusses geäußert hatten.
So schreibt die Internet-Userin Jaleh auf der Seite einer Facebook-Initiative, die seit 2011 auf die Wasserstandsprobleme des Flusses aufmerksam macht: „Dass der Zayandeh-Rud wieder fließt, ist seit langem die schönste Nachricht, die ich gehört habe. Ich habe es immer geliebt, am Ufer des Flusses spazieren zu gehen.“ Ähnlich glücklich äußert sich Facebook-Userin Nafise: „Du bist mein Ein und Alles, Zayandeh-Rud. Du bist wie ein Freund, der mich durch dick und dünn begleitet hat. Mögest du mich auch in Zukunft begleiten.“
Auch in den Kommentarspalten des Nachrichtenportals Radio Fardafreuen sich die Nutzerinnen. So frohlockt beispielsweise der User Ara: „Ich grüße mein Land und meine Landsleute und möchte sagen, dass ich meine Freude über diese wundervolle Nachricht kaum in Worte fassen kann.“ Ein anderer User schreibt auf Rooyesh News: „Gott sei Dank fließt der Zayandeh-Rud wieder. Mögen sich die Isfahanis ewig an ihrem Fluss erfreuen.“ Auf der Plattform Instagram ist der Zayandeh-Rud ebenfalls ein Topthema. Zahlreiche UserInnen posteten Fotos des fließenden Stromes.
Empörung im Süden

Der Fluss Zayandeh-Rud, der durch die iranische Stadt Isfahan fließt, ist diesen Sommer erneut ausgetrocknet. Dies geschieht nun zum sechsten Mal in Folge. Nach Angaben der Behörden ist der Wasserspiegel in der gesamten Region um Isfahan aufgrund von sinkender Niederschlagsmenge stark zurückgegangen. Zayandeh-Rud war einst der wasserreichste Fluss im Zentraliran und einer der wenigen, der ganzjährig Wasser führten. Auf dem Foto ist auch die Brücke „Sio-seh-pol“ zu sehen. Sie ist eine der drei wichtigen Brücken über den Zayandeh Rud. Das 290,4 Meter lange und 13,5 Meter historische Bauwerk wurde in der Safawiden-Zeit um 1630 erbaut.
Zayandeh-Rud war im Sommer zum siebten Mal in Folge ausgetrocknet

Viele IranerInnen stellen allerdings auch die Frage, was die örtlichen Verantwortlichen unternommen haben, damit der Fluss wieder fließt. Im Südwesten des Iran ist man davon überzeugt, dass Wasser aus einem anderen Fluss, dem Karun, in den Zayandeh-Rud umgeleitet wurde – ein Vorwurf, der von offizieller Seite vehement bestritten wird.
„Glaubt ihr etwa, dass Gott den Zayandeh-Rud wieder wasserreich gemacht hat? Nein, es war nicht Gott! Man hat ohne Erlaubnis und mit großer Dreistigkeit uns unseres Wassers beraubt. Doch diese Rechnung wird eines Tages beglichen werden“, schreibt ein wütender User des Nachrichtenportals Rooyesh News – aus der ebenfalls von Wasserarmut geplagten südwestlichen Provinz Khuzestan. User Ahvazi schreibt: „Unglaublich, dass einige sich so über diesen Diebstahl freuen. Diesen Leuten ist es zu gönnen, dass der Zayandeh-Rud wieder trocken liegt.“
Auch auf Twitter sind nicht alle glücklich. So schreibt Behnam2k: „Ich wünschte, dass ich mich so wie die Isfahanis über ihren fließenden Zayandeh-Rud freuen könnte.“
Ablenkungsmanöver?
Und selbst in Isfahan ist nicht jeder über die Nachricht vom plötzlich wasserreichen Fluss glücklich. Einige halten die durch die iranischen Behörden angeordnete Bewässerung des ausgetrockneten Flusses für ein perfides Manöver, um von den jüngsten Säureanschlägen in Isfahan abzulenken. So auch Saeed auf Radio Farda: „Es ist unglaublich, was in diesem von der Religion in Geiselhaft genommenen Land passiert. Zuerst bespritzen sie unschuldige Frauen mit Säure. Dann aber führen sie nach Jahren dem Fluss wieder Wasser zu. Was soll man davon halten?“
User Hamid glaubt, dass das vermeintliche Ablenkungsmanöver nicht glücken wird: „Sie können so viel Wasser, wie sie nur wollen, in den Fluss umleiten. Von den Säureanschlägen können sie damit aber nicht ablenken.“ Twitter-User DracuDentist geht noch einen Schritt weiter: „Das Wasser im Zayandeh-Rud ist gar nichts. Selbst das gesamte Wasser des Persischen Golfes könnte die schändlichen Taten nicht wegwaschen.“ Sein Twitter-Kollege VahidStarist angesichts der großen Freude vieler Isfahanis jedoch sicher, dass das vermeintliche Ablenkungsmanöver glückt: „Die Verantwortlichen waren sich offenbar sicher, dass sie die Isfahanis wieder für sich gewinnen würden, wenn sie ihrem Fluss neues Leben einhauchen. Da haben sie schnell geschaltet.“
Skepsis gegenüber plötzlicher Transparenz
Ahmad Shaheed sorgt mit seinen Menschenrechtsberichten bei den Verantwortlichen im Iran für Unmut
Der UN-Sonderberichterstatter Ahmad Shaheed sorgt mit seinen Menschenrechtsberichten bei den Verantwortlichen im Iran für Unmut

Mit Misstrauen begegnen die IranerInnen auch der jüngsten Ankündigung der Justiz ihres Landes, im kommenden Jahr nach langer Zeit wieder zwei Menschenrechtsbeobachtern der Vereinten Nationen (UN) die Einreise in den Iran zu erlauben. „Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Iran die Beobachter nicht an der Nase herumführen wird. Es wird höchstwahrscheinlich dafür gesorgt werden, dass alle Spuren von Menschenrechtsverletzungen beseitigt werden, bevor die Beobachter ihrer Arbeit nachgehen können“, schreibt die Facebook-Nutzerin Sanaz auf dem offiziellen Profil des iranischen BBC-Journalisten Mehdi Parpanchi.
Ein anderer Facebook-Nutzer schreibt: „Wenn der Iranaufenthalt der UN-Beobachter nicht zu einer Farce werden soll, muss sichergestellt werden, dass sie sich nicht dem vorgegebenen Protokoll des Regimes unterordnen müssen, sondern sich frei bewegen können. Sie müssen Armenviertel besuchen und in die abgelegenen Provinzen fahren dürfen. Auch müssen sie mit den religiösen Minderheiten reden können.“ Behrouz bezweifelt, dass dies möglich sein wird: „Falls sie tatsächlich so etwas vorhaben, müssen sie damit rechnen, dass sie von Dutzenden Agenten beobachtet werden.“ Mitra, eine weitere Facebook-Nutzerin sieht die Dinge ähnlich: „Sobald sie etwas Belastbares finden, werden sie bestimmt der Spionage beschuldigt und verhaftet.“
Auch in den Kommentarspalten von BBC Farsiherrscht größtenteils Skepsis. Viele NutzerInnen dort glauben nicht, dass der Besuch der Menschenrechtsbeobachter etwas bewirken kann. So schreibt etwa Koosha: „Von einem System, das unter Menschsein und Menschlichkeit etwas anderes versteht als der Rest der Welt, kann nicht erwartet werden, dass es Menschenrechte einhält.“ „Die UN-Menschenrechtler müssen begreifen, dass ein Dialog mit einem dermaßen archaisch denkenden Regime nicht möglich ist. Es wird weiterhin jede Kritik an seiner Menschenrechtspolitik ignorieren“, glaubt auch der User BBC5579.
Den Verdacht, dass der Gottesstaat nach dem Iranbesuch der beiden UN-Beobachter mögliche Kritik an seiner Menschenrechtspolitik zurückweisen wird, hat auch Twitter-User Greenshivz: „Für die iranischen Offiziellen ist sowieso jeder Menschenrechtsbericht unfair und unwahr, solange dieser nicht von Javad Larijani, dem Chef des iranischen Menschenrechtsrats, höchstpersönlich verfasst worden ist“.
Stimmen, die dem geplanten Iranaufenthalt der UN-Menschenrechtsbeobachter Positives abgewinnen können, findet man in den Foren und sozialen Netzwerken kaum. Eine der wenigen Ausnahmen stellt Facebook-Nutzer Farzan dar, der auf Mehdi Parpanchis Facebook-Seite den Iran dafür lobt, die Beobachter ins Land zu lassen: „Es scheint tatsächlich so, dass die Islamische Republik nach vielen Jahren endlich etwas auf den Westen zugehen möchte. So kann man doch letztlich sagen, dass der Iran Fortschritte gemacht hat.“
  JASHAR ERFANIAN