Die Frauenbewegung im Iran lebt

Am 2. August ist die Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Shirin Famili im Alter von 62 Jahren in Berlin verstorben. Aus diesem Anlass veröffentlichen wir eines der Interviews, die sie für das Iran Journal führte. Famili sprach im Dezember 2011 mit der Schriftstellerin und Frauenrechtsaktivistin Mansureh Shojaee über die Frauenbewegung im Iran.

Iran Journal:  Frau Shojaee, wie hat sich die Frauenbewegung im Iran im zurückliegenden Jahr entwickelt?
Wie alle anderen zivilen Bewegungen – vielleicht sogar etwas mehr – hat die Frauenbewegung seit den Vorfällen nach den letzten Präsidentschaftswahlen mit Rückschlägen zu kämpfen und steht unter dem Druck der Sicherheitskräfte im Iran.  Einige Aktivistinnen landeten im Gefängnis, andere werden regelmäßig verhört und verfolgt. Und manche haben das Land verlassen. Aber trotz allem geht die iranische Frauenbewegung ihren Weg weiter und ist nach wie vor aktiv. Seit ihrem Bestehen hat die Bewegung Höhen und Tiefen erlebt, und man kann sagen, dass das vergangene Jahr ein Tief war. Aber nicht deshalb, weil einige Gesichter der Bewegung das Land verlassen haben, sondern wegen der Ereignisse und Entwicklungen im Land, unter deren Einfluss auch die Frauenbewegung stand.
Welche Ereignisse meinen Sie genau?

Mansoureh Shojaee
Mansoureh Shojaee

Viele derjenigen, die bei den Protesten nach den Präsidentschaftswahlen verhaftet worden sind, werden weiterhin im Gefängnis festgehalten. Viele, die zwischenzeitlich wieder entlassen worden waren, wurden erneut ins Gefängnis gesteckt. Ich möchte an dieser Stelle an Hale Sahabi erinnern, die vor einem Jahr etwa um diese Zeit erneut ins Gefängnis gesteckt wurde, und an die vielen anderen, die weiterhin festgehalten werden wie Nasrin Sutude, Bahare Hedayat, Mahbubeh Karami, Mahdie Golruh und viele mehr.  Aber die Bewegung ist trotzdem weiterhin sehr aktiv. Das kann man vor allem auf ihren Websites sehen. Auf ihnen zeigt sich, wie angeregt und aktiv der Diskurs ist.
Welche Websites sind das?
Ich meine vor allem die Websites aus dem Inland: Etwa die Seiten von „The Feminist School“, die des Zentrums Iranischer Frauen (Kanoone zanan), von „Change Equality“ und „No to family protection bill“. Von diesen vier Internetseiten ist es vor allem die der „Feminist School“, die weiterhin einen scharfen Ton einschlägt und den Diskurs nicht nur anregt, sondern zu den Meinungsmachern gehört. Die Webseite „No to family protection bill“ beschäftigt sich vor allem mit aktuellen Gesetzen und den Grundrechten von Frauen.
Was sind und waren die Hauptthemen dieser Websites aktuell und im vergangenen Jahr?
Bis zu den Präsidentschaftswahlen hat sich die Frauenbewegung vor allem mit der „Kampagne für eine Million Unterschriften“ und anderen kleinen Kampagnen befasst, die frauendiskriminierende Gesetze kritisierten und einen Diskurs der Rechte von Frauen anstrebten. Mit dem Beginn der Wahlen bildete sich eine Allianz in der Frauenbewegung, die für die Forderungen der Frauen bei den Präsidentschaftswahlen eintrat. Ab diesem Zeitpunkt ging es nicht mehr nur um den allgemeinen Diskurs von Frauenrechten, sondern um konkrete Forderungen und um die Annäherung an andere Teile der Gesellschaft und deren Forderungen. Im vergangenen Jahr versuchte die Frauenbewegung dann, sich über die genannten Websites dem Diskurs über die Demokratie-Forderungen der Menschen in der iranischen Gesellschaft anzunähern.
Frauendemonstration in Teheran: "Mann=Mensch, Frau=Mensch, Mensch=Mensch, Frau=Mann"
Ein Parole einer Frauendemonstration in Teheran: „Mann=Mensch, Frau=Mensch, Mensch=Mensch, Frau=Mann“

 
Im zurückliegenden Jahr waren wir Zeugen des arabischen Frühlings. Welche Bedeutung haben diese Entwicklungen für die Frauenbewegung im Iran?
Wie ich schon angedeutet habe, ist die Frauenbewegung in den vergangenen Jahren immer mehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dabei hat sie sich automatisch mit Forderungen anderer Bewegungen auseinandergesetzt. Während des arabischen Frühlings haben viele Strömungen und Bewegungen in der iranischen Gesellschaft versucht, ihre Solidarität mit den Menschen in den jeweiligen Ländern zu bekunden. Auch die iranische Frauenbewegung hat versucht, die Frauenbewegungen der Länder zu erreichen. Aber genau zu diesem Zeitpunkt wurde der Druck auf die Aktivistinnen im Iran erheblich verstärkt. Er war so stark, dass sogar die grüne Koalition der Frauen, die nach den Präsidentschaftswahlen zusammengefunden hatte und seitdem trotz aller Hindernisse immer etwas auf die Beine stellen konnte, nun komplett verstummte. In dieser Situation gab es innerhalb der Frauenbewegung nur die Stimmen der vier bereits genannten Websites. Doch die Augen der iranischen Frauenbewegung, die so lange mit sich selbst beschäftigt war, waren nun auf die internationalen Geschehnisse gerichtet. Meiner Meinung nach war es ein Höhepunkt der Aktivitäten des vergangenen Jahres, als Aktivistinnen der iranischen Frauenbewegung am internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen eine Erklärung abgaben.
Warum war das ein Höhepunkt?
Weil diese Erklärung zeigt, dass die Frauenbewegung im Iran am Leben ist. Ob eine Bewegung noch lebt, zeigt sich auf viele Arten. Mal sind es Proteste auf der Straße, mal sieht man es an ihren zahlreichen Publikationen. Und manchmal sieht man es an den Diskussionen, die eine Bewegung auf ihren Websites und im Internet voran bringt. Das Internet ist eine große Hilfe für die Arbeit unterdrückter Bewegungen, obgleich die Zensur und Filterung im Iran die Arbeit sehr erschweren. Und die Erklärung der Aktivistinnen zum internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen ist ebenfalls eine Form, den Fortbestand der Bewegung unter Beweis zu stellen. In der Erklärung wurden drei Punkte angesprochen: Erstens die Macht der Menschen, auf die man für Veränderungen bauen muss; zweitens die Rolle der Regierungen und deren Interesse für Menschenrechte und drittens die Rolle der internationalen Solidarität und Unterstützung der Menschenrechtsorganisationen. Nach der Ansicht der Aktivistinnen der Frauenbewegung, die sie in dieser Erklärung formulieren, sind vor allem drei Dinge für die Beendigung der Gewalt in der Region und der ganzen Welt notwendig: Dialog, Kooperation und friedliches Vorgehen.
Interview: Shirin Famili
Mansoureh Shojaee ist Schriftstellerin, Übersetzerin und Aktivistin der iranischen Frauenbewegung. Sie gehört zu den Gründerinnen der Website http://www.feministschool.com. Sie saß mehrere Male wegen ihrer Aktivitäten in iranischen Gefängnissen und lebt seit 2010 in Europa.