„Besuch von Hinrichtungen als Freizeitbeschäftigung“

Im Iran ist die Todesstrafe nicht nur gesetzlich erlaubt. Sie kann auch in der Öffentlichkeit vollstreckt werden.  In der vergangenen Woche wurde ein junger Mann auf einem Sportplatz gehängt. Die persischsprachige Internetgemeinde reagiert vehement auf das Ereignis. 
„Der Anblick einer Hinrichtung soll als Lehre für die anderen dienen“, so die Begründung der Regierung in Teheran für öffentliche Hinrichtungen. Die Zahlen sind alarmierend: Zwischen Oktober 2011 und Ende 2012 sollen nach offiziellen iranischen Angaben 488 Todesstrafen vollstreckt worden sein, 57 davon vor Publikum. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International zufolge soll es zudem 247 „heimliche Hinrichtungen“ im Iran gegeben haben. Demnach war der Iran im zweiten Jahr in Folge nach China das Land mit den meisten Hinrichtungen.
Die jüngsten Fälle ereigneten sich am 20. Januar in der Hauptstadt Teheran. Dort wurden zwei junge Männer wegen Raub und Erpressung gehängt. Davor, am 16. Januar, war in der nordöstlichen Stadt Sabzevar ein wegen Vergewaltigung zum Tode Verurteilter auf einem Sportplatz vor den Augen seiner Familie und anderer Zuschauer getötet worden. Die Nachricht kursierte mit Fotos der Vollstreckung durch das Netz und löste heftige Reaktionen aus.
„Nein zur Hinrichtung“

Zuschauer der Hinrichtung in Sabzevar: Die Sitzplätze auf dem Sprotplatz waren schnell belegt! - Foto: www.asriran.com
Zuschauer der Hinrichtung in Sabzevar: Die Sitzplätze auf dem Sprotplatz waren schnell belegt! - Foto: www.asriran.com

Der Menschenrechtler Mohammad Mostafaei reagierte empört auf die Hinrichtung und veröffentlichte auf seinem Blog sofort einen öffentlichen Brief. Der in Norwegen lebende Rechtanwalt verfasste das Schreiben zusammen mit anderen iranischen Rechtsanwälten der „Universal Tolerance Organization“.  Darin gehen die Verfasser zunächst auf die Motive der iranischen Regierung für einen solchen Akt ein: „Die iranische Regierung will dadurch ihre Macht sowie die Autorität ihrer Justiz präsentieren und hat deshalb die Bevölkerung der Stadt Sabzevar als Publikum zu dieser Hinrichtung eingeladen. Es nahmen daran viele Menschen, darunter auch Kinder teil. Wir Mitglieder der ‚Universal Tolerance Organization‘ verurteilen die Todesstrafe auf das Schärfste und sind der Meinung, dass Hinrichtungen nicht das Begehen von Gewalttaten beenden können.“ ُEin Leser des offenen Briefes kommentiert: „In Sabzevar gibt es sehr wenig Freizeitmöglichkeiten,  deshalb wird so eine brutale Aktion zu einem Event“.
Der Blogger „Ghouzak platini“ nimmt das Ereignis in Sabzevar zum Anlass, um den „Sinn einer Hinrichtung“ zu hinterfragen: „Seit mehr als dreißig Jahren werden hier Menschen gehängt und immer noch haben die Verantwortlichen nicht kapiert, dass Gewalt noch mehr Gewalt produziert, dass Töten nichts weiter als noch mehr Todesopfer mit sich bringt.“ Ein System, das seine Existenz hauptsächlich durch Hinrichtungen rette, sollte sein eigenes Ende fürchten, meint der Blogger.
„Heiliger Ort“ für eine Gewalttat missbraucht
Auch das persischsprachige Sportportal „Goal.com“, das normalerweise ausschließlich Neuigkeiten aus der Fußballwelt veröffentlicht, hat in einem Artikel die Hinrichtung harsch kritisiert: “Ein Sportplatz hat eine klare Aufgabe. Dort sollen Körper und Seele der Menschen aufgebaut werden. Zudem haben Sportler normalerweise eine Art Vorbildfunktion für gesundes Leben.“ Goal.com äußert die Vermutung, dass eine solche Aktion den Protest der Sportler mit sich bringen könnte, denn „man hat einen heiligen Ort für Sport für für eine Gewalttat benutzt“. Ein Leser des Artikels schreibt: „Wenn ich ein Sportler wäre, würde ich nie wieder auf diesem Sportplatz trainieren.“ Ein anderer schreibt zynisch: “Ich glaube, wir müssen im Iran neue Bezeichnungen für unsere Einrichtungen erfinden.“
Kritik auch an der Bevölkerung
Aus den Kommentaren im Internet kann man entnehmen, dass zahlreiche iranische InternetuserInnen die Todesstrafe zwar befürworten, aber öffentliche Hinrichtungen ablehnen. Auch einige Blogger denken ähnlich. Der Blogger „harfhaei az tahe del“ etwa kritisiert das Publikum, das sich freiwillig eine Hinrichtung anschaut: “Was soll man zu Menschen sagen, die sich in die Schlange stellen und eine Hinrichtung in der Öffentlichkeit bejubeln?“ Er habe nichts gegen die Todesstrafe, doch die Vollstreckung sollte besser  nicht vor Publikum stattfinden. Unter den Fotos der Hinrichtung, die auf Nachrichtenportalen wie „Fararu“ oder „Digarban“ zu sehen sind, gibt es ungewöhnlich viele Kommentare der Gegner und Befürworter: „Wir sollten uns vor dem Tag fürchten, an dem die Leute ihre Freizeit statt mit Wandern oder Kino mit dem Besuch von Hinrichtungen gestalten.“ Ein anderer schreibt: „Islamisches Recht ist das Beste. Wenn der Schuldige nicht gehängt wird, wer weiß, was er sonst alles noch angestellt hätte“. Ein Gegner der Todesstrafe antwortet „Todesstrafe ist keine Lösung. Unser Staat sollte besser etwas gegen die Arbeits- und Perspektivlosigkeit der jungen Menschen in unserem Land tun.“