Am Rande des Abgrunds – Machtkampf in Zeiten der Kriegswirtschaft

Die schmerzhaften Sanktionen, die internationale Isolation und die rasante Talfahrt der iranischen Wirtschaft dauern an. Rationierung und Essengutscheine werden bald den Alltag der Iraner bestimmen. Und als ob das alles nicht genug wäre, tobt vier Monate vor der Präsidentenwahl ein unerbittlicher Machtkampf, der für manche Akteure ein wahrer Überlebenskampf ist.

Der Befund ist sachlich und offen und liest sich wie eine unmissverständliche Warnung: „Die Grundfesten des Staates sind erschüttert“, resümieren 43 Wirtschaftswissenschaftler der Universität Teheran in einem offenen Brief an den iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Das Schreiben war in der vergangenen Woche Hauptthema vieler iranischer Zeitungen und Webseiten. Die Wissenschaftler zeichnen darin ein düsteres Bild der Gegenwart und warnen vor einer schrecklichen Zukunft, die schneller eintreten könnte als gedacht. Die horrende Inflation treibe die Mehrheit der Iraner in eine unvorstellbare Armut, soziale Unruhen seien nicht ausgeschlossen, so die Professoren. Ihre Analyse beruht dabei ausschließlich auf offiziellen Zahlen.
Doch selbst diese behördlich geschönten Daten sprechen eine eindeutige Sprache: So sind nach Angaben des iranischen Ölministers Rostam Ghasemi die Ölexporte und damit auch die Staatseinnahmen in den vergangenen Monaten um etwa 50 Prozent geschrumpft. In der Rangliste der zehn Länder mit der höchsten Inflationsrate steht der Iran an dritter stelle. Es gibt praktisch keine Bankverbindungen mehr ins Ausland, ed kommen kaum noch Devisen ins Land, die Landeswährung Rial hat binnen eines Jahres die Hälfte ihres Wertes verloren. Diese beispiellose Misere könne man nicht allein den internationalen Sanktionen anlasten. Es sei vor allem die Politik der Regierung, die den Niedergang beschleunige, so die Professoren. Das sei alles Wahlkampf-Getöse, erwidert Ahmadinedschad den Wirtschaftsexperten.
Wappnen gegen den Volksaufstand

Die Regierung befürchtet soziale Unruhen wie die nach den umstrittenen Präsidentenwahlen von 2009
Die Regierung befürchtet soziale Unruhen wie die nach den umstrittenen Präsidentenwahlen von 2009

Und der Präsident hat in gewisser Weise sogar recht. Es ist tatsächlich dem Wahlkampf zu verdanken, dass sich die Professoren so offen äußern dürfen. Doch auch die Regierung fürchtet sich vor sozialen Unruhen. Das haben Sicherheitsorgane in den vergangenen Wochen mehrmals offen ausgesprochen. Die Rede ist dabei von der „aufgestachelten Menge“, die zu kontrollieren sei. „Der Feind“ werde „diesmal die Menschen in den Provinzen aufzuwiegeln versuchen und nicht wie vor vier Jahren in den Großstädten“, sagte etwa General Mohammad Reza Naghdi, der Chef der paramilitärischen Basij-Verbände schon Anfang Januar. „Wir sind aber auf alles vorbereitet“, beruhigte er damals die versammelten Journalisten. Drei Wochen nach diesem Interview meldete die Webseite „Iran Diplomacy“ beiläufig, eine Gruppe höherer Offiziere der Revolutionsgarden befinde sich in Russland, um die Aufstandsbekämpfung zu trainieren. Damit keine Zweifel über ihre Entschlossenheit aufkommen, veranstalten die Sicherheitskräfte in den Provinzen seit Wochen regelmäßig Manöver gegen imaginäre Feinde.

Essensgutscheine in Zeiten des Wahl- und Machtkampfes
Und auch mit zivilen Methoden versucht die iranische Regierung möglichen Aufständen vorzubeugen. Zum bevorstehenden persischen Neujahr will sie an rund 80 Prozent der Iraner eine Geldsumme von 30 bis 50 Euro überweisen. Vergangene Woche beschloss das Parlament zudem, ein Gutscheinsystem und eine Essenskorbausgabe mit Öl, Reis, Kartoffeln und Fleisch für bedürftige Familien einzuführen. Dieser Korb soll alle drei Monate an die Bedürfnisse angepasst werden, die Regierung hat die notwendigen Finanzmittel dafür im kommenden Budget anzuweisen. Damit kehre die Kriegswirtschaft zurück, sagt der Ökonom Djamschid Assadi von der Universität Paris. Mit dem System der Rationierung und Zuteilung von Lebensmitteln seien die Iraner ja bestens vertraut: Während des achtjährigen Kriegs mit dem Irak gehörte das praktisch zum Alltag.
„Mafia-Methoden“
Ahmadinedschad und sein engster Vertrauter Esfandiar Rahim Mashaee
Ahmadinedschad und sein engster Vertrauter Esfandiar Rahim Mashaee

Mit den Neuwahlen im Juni wird auch die Ära Ahmadinedschads zu Ende sein. Denn nach zwei Amtsperioden darf er gemäß der iranischen Verfassung nicht mehr antreten. Sang- und klanglos will der Präsident die politische Bühne aber nicht verlassen. In den letzten Monaten seines Amtes präsentiert er sich deshalb als einfacher Mann aus dem Volk, der unermüdlich gegen die mächtigen, reichen – und korruptionsverdächtigen Familien und Banden kämpft.
Wie spektakulär und gerissen er dabei vorgeht, zeigte Ahmadinedschad, als er Anfang Februar in einer Parlamentsdebatte ein Video vorspielte. Das heimlich aufgenommene Band zeigt Verhandlungen über Bestechungsgelder in Höhe von 30 Millionen Dollar. Der Clan des Parlamentspräsidenten Ali Laridjani stand im Mittelpunkt dieses Deals. „Robin-Hood-Spiele“ und „verächtliche Mafia-Methoden“, nannte Laridjani die Enthüllungen des Präsidenten. Die ungewöhnliche Reaktion des Parlamentschefs demonstriert, dass man Ahmadinedschad und seine Taktik zu Recht fürchten muss. Denn die ist erprobt und erfolgversprechend. Mit genau dieser Vorgehensweise entmachtete er vor vier Jahren bereits den omnipotenten Rafsandjani-Clan.
„Ein Meisterstück des Populismus“
„Das war ein Meisterstück des Populismus, gepaart mit Frechheit, Rücksichtslosigkeit und Brutalität“, erinnert sich daran Modjtaba Vahedi, Berater des arrestierten Oppositionsführers Mehdi Karrubi. Doch diesmal täusche sich Ahmadinedschad gewaltig, sagt der Bruder des Präsidenten, Dawood Ahmadinedschad. Denn Ahmadinedschads Konflikte mit dem Revolutionsführer Ali Khamenei haben den Präsidenten in Ungnade fallen lassen. Khamenei nahestehende Zeitungen und Webseiten machen sich bereits darüber Gedanken, wann genau nach der kommenden Präsidentenwahl Ahmadinedschad verhaftet werden wird. Das weiß der Präsident, und deshalb versucht er, einen seiner Männer, Esfandiar Rahim Mashaee, als Präsidentschaftskandidaten durchzusetzen. Nur so kann er der Rache seiner mächtigen Gegner entkommen. Doch laufe der Wahlkampf nach den üblichen Methoden der Islamischen Republik, werde am Ende auch diesmal ein Vertrauter Khameneis Präsident werden, schreibt die gut informierte Webseite „Baztab“. Und dann seien die Tage Ahmadinedschads als freier Mann gezählt.
Suche nach einer Lebensversicherung
Doch der Präsident zeigt sich kämpferisch und verheißt in Anspielung auf die arabischen Revolutionen einen „iranischen Frühling“. Gleichzeitig droht er mit weiteren Enthüllungen über die Mächtigen. Eigentlich sei Ahmadinedschad auf der Suche nach einer Lebensversicherung, meint der Satiriker Ibrahim Nabawi.