Wie Irans Wirtschaftskrise den Alltag prägt – drei Lebensrealitäten
Irans Wirtschaft steckt in einer tiefen Krise – und sie prägt den Alltag der Menschen bis ins kleinste Detail. Drei Familien aus unterschiedlichen sozialen Schichten erzählen, wie sich ihr Konsumverhalten verändert hat und was es bedeutet, wenn selbst Grundnahrungsmittel zum Luxus werden.
Ein Bericht aus Teheran von Afra
In den vergangenen Monaten hat der wirtschaftliche Niedergang in Iran nicht nur makroökonomische Kennzahlen ins Wanken gebracht, sondern den Alltag der Menschen spürbar verändert. Steigende Inflation, sinkende Kaufkraft, explodierende Wohn- und Transportkosten sowie der Preisanstieg bei Grundnahrungsmitteln haben eine zentrale Frage aufgeworfen: Trifft diese Krise alle gleich – oder vertieft sie die sozialen Gräben?
Während offizielle Statistiken vom wachsendem finanziellen Druck der Haushalte berichten, vermitteln Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern aus unterschiedlichen Stadtteilen Teherans sowie aus der Peripherie ein eindringlicheres Bild. Manche versuchen, ihren Lebensstandard mit Einschränkungen zu halten. Andere greifen immer häufiger zu minderwertigen Produkten. Und für viele ist der Alltag längst zu einem Kampf um das Nötigste geworden.
Oberschicht: „Viele Dinge, die selbstverständlich waren, sind heute Luxus“
Eine 43-jährige Bewohnerin eines wohlhabenden Viertels im Norden Teherans, Eigentümerin von Wohnung und Auto, beschreibt einen tiefgreifenden Wandel ihres Konsums: „Früher konnten wir jede Woche einmal essen gehen, ohne Überlegung hochwertiges Fleisch kaufen und hochwertigen Reis auf Vorrat besorgen. Ich habe jeden Monat Geld zurückgelegt. Heute ist vieles davon aus unserer Einkaufsliste verschwunden.“
Besonders auffällig sei die schleichende Verkleinerung von Lebensmittelverpackungen: „Viele Produkte werden in kleineren oder ungewohnten Größen verkauft, damit sie preislich akzeptabel bleiben. Bei manchen Marken sieht die Packung aus wie früher, aber der Inhalt ist deutlich weniger geworden.“ Auch Reparaturen prägen inzwischen ihren Alltag: „Früher hätten wir defekte Geräte einfach ersetzt. Heute lassen wir alles mehrfach reparieren, weil wir uns neue Haushaltsgeräte kaum noch leisten können.“
Am Monatsende bleibe trotzdem kein Geld mehr übrig: „Wir zählen die Tage bis zum nächsten Gehalt. Unsere Lage mag äußerlich stabil wirken, aber unser Lebensstil hat sich massiv verändert.“
Mittelschicht: zwei Jobs – und doch reicht es kaum
Der zweite Gesprächspartner, ein 38-jähriger Familienvater aus dem Zentrum Teherans, steht exemplarisch für die erodierende Mittelschicht. Er arbeitet ganztags als Fahrer in einem privaten Unternehmen. Doch selbst mit diesem festen Job kann er seine Familie nicht versorgen: „Wenn meine reguläre Schicht endet, beginnt die zweite. Ich fahre bis spät in die Nacht Taxi. Ohne diesen Zusatzverdienst könnten wir nicht einmal die Miete zahlen.“ Die Kosten für sein Auto, sein wichtigstes Arbeitswerkzeug, verschlingen dabei wiederum einen Großteil seines Einkommens.
Fleisch sei deshalb nahezu vollständig aus dem Speiseplan verschwunden: „Wir kaufen vielleicht alle zwei Monate ein kleines Stück, das wir in mehrere Mahlzeiten aufteilen. Selbst Joghurt, früher ein banaler Artikel, können wir nur einmal im Monat kaufen.“ Die Kinder mussten ihre Interessen begraben: „Meine Tochter war eine hervorragende Schwimmerin, mein Sohn spielte Musik. Wir konnten es nicht mehr bezahlen. Sie mussten alles aufgeben.“
Von gemeinsamer Freizeit könne keine Rede mehr sein: „Wir hatten früher einmal im halben Jahr einen kleinen Familienausflug. Jetzt fehlen uns sowohl die Zeit als auch das Geld. Ich selbst komme abends so erschöpft nach Hause, dass ich manchmal einfach ins Bett falle, ohne zu essen.“ Der Mann fasst seine Lage zusammen: „Wir arbeiten von früh bis spät, nur um irgendwie durchzukommen. Keine Ersparnisse, keine Planung. Alles wird zur Rechnung, die man hin- und herschiebt.“
Prekariat: „Wir kaufen nur, was uns vor dem Hunger bewahrt“
Das dritte Gespräch führt uns zu einem 41-jährigen Mann aus einer Stadt am Rand Teherans. Er arbeitet tagsüber als Wachmann in einem luxuriösen Komplex im Norden der Stadt und nachts in der Küche eines Restaurants. Sein Tagesablauf beginnt um vier Uhr morgens. Nach zehn Stunden Wachschicht fährt er zwei Stunden zurück in seine Gegend, wo er von 19 bis Mitternacht im Restaurant arbeitet.
Seine Familie lebt inzwischen am Existenzminimum: „Wir kaufen nur noch billiges, gefrorenes Fleisch – wenn überhaupt. Seit drei Monaten haben wir uns keinen Reis leisten können.“ Seine Frau versuche, das Einkommen zu ergänzen, indem sie zuhause Gemüse putzt, trocknet oder verarbeitet. Doch auch das reiche nicht.
Besonders hart trifft es die Kinder: „Der Arzt sagt, meine jüngere Tochter hat Mangelernährung. Aber wir haben kein Geld für Behandlungen, für Zahnärzte oder Untersuchungen. Seit Jahren hat niemand von uns ein Gesundheitscheck gemacht.“ Er selbst wirkt deutlich älter als seine 41 Jahre: abgemagert, blass, gezeichnet von Schlafmangel und körperlicher Anstrengung.
„Wir essen nur das, was uns gerade genug Energie gibt, um weiterzumachen. Nicht für die Gesundheit, nicht für die Kinder – nur, um satt zu werden.“ Früher sei das Leben einfach, aber erträglich gewesen: „Wir hatten wenig, aber wir hatten genug. Wir hatten keine Angst vor dem nächsten Tag.“ Heute beschreibt er seinen Alltag so: „Jeden Morgen frage ich mich zuerst, ob wir es schaffen, heute nicht hungrig ins Bett zu gehen. Leben ist das nicht mehr. Es ist Überleben.“
Ein Land, drei Realitäten
Die drei Gespräche zeigen, wie ungleich sich die wirtschaftliche Krise in Iran auswirkt. Während wohlhabendere Haushalte ihren Konsum reduzieren und auf Komfort verzichten, kämpft die Mittelschicht darum, grundlegende Ausgaben zu stemmen. Für die ärmsten Familien geht es längst um das physische Überleben, um Ernährung, Gesundheit und Würde.
Die Belastung ist allgegenwärtig – doch sie trifft die Schwächsten am härtesten. Und sie hinterlässt Spuren: in der körperlichen Gesundheit, in der psychischen Stabilität, in den Zukunftschancen der Kinder.
Die Erzählungen dieser drei Familien machen deutlich, dass die wirtschaftliche Misere in Iran weit mehr ist als ein abstraktes Problem von Inflation und Währungskrise. Sie ist Teil des täglichen Lebens – und sie vertieft die sozialen Brüche, die das Land bereits seit Jahren prägen.
