Landraub am Kaspischen Meer: Aus Reisfeldern werden Villen
In der nordiranischen Provinz Mazandaran ist ein Tauschgeschäft zwischen Behörden und einem privaten Entsorgungsunternehmen genehmigt worden, das mehr als 60 Hektar fruchtbarer Reisfelder in Bauland umwandelt. Offiziell dient die Vereinbarung der „Abfallentsorgung“ – tatsächlich aber hebelt sie Umweltschutzgesetze aus und treibt die Umwandlung landwirtschaftlicher Flächen in lukrative Villengrundstücke voran.
Mazandaran liegt an der Küste des Kaspischen Meeres, die mit ihren Reisfeldern und den uralten, von der UNESCO geschützten Hyrkanischen Wäldern als „grüner Gürtel“ Irans gilt. Die Region zieht Tourist*innen und Immobilienspekulant*innen an, da viele Iraner*innen dort Zweitwohnungen besitzen. Die Dörfer unterliegen lokalen Entwicklungsplänen, die eigentlich die Nutzung von Land und Wald regeln und deren Ausverkauf verhindern sollen. In den vergangenen Jahren jedoch wurden immer wieder land- und forstwirtschaftliche Flächen illegal in Bauland umgewandelt.
60 Hektar Ackerland für Müllentsorgung
Der jüngste Skandal setzt dieses Muster fort: Ein Abfallentsorgungsvertrag dient als Vorwand, um Dorfgrenzen zu erweitern und wertvolles Ackerland in Villenviertel zu verwandeln. Laut einem Bericht der Teheraner Tageszeitung Shargh vom 22. Oktober 2025 hat die Firma Abadgostar Mehregan, ein privates Entsorgungsunternehmen, mit der Behörde für Abfallwirtschaft von Mazandaran ein Abkommen geschlossen, das Expert*innen als illegal bezeichnen. Demnach soll das Unternehmen die Abfallentsorgung mehrerer Städte der Provinz übernehmen, im Gegenzug werden über 60 Hektar landwirtschaftlicher Flächen vier Dörfern angeschlossen und damit als Bauland ausgewiesen.
In den Protokollen vom 6. September 2025 heißt es demnach: „Um die kritische Abfallsituation in Mazandaran zu lösen und angesichts des Bevölkerungszuwachses infolge von Migration, die nach dem 12-tägigen Krieg mit dem zionistischen Regime stark angestiegen ist, hat sich der Bedarf an Wohnraum deutlich erhöht.“ Das Abkommen wurde von den höchsten Behörden der Provinz unterzeichnet, darunter Provinzgouverneur Mehdi Younesi und der oberste Justizvertreter von Mazandaran, Abbas Pouryani.
Die Vereinbarung, die bereits im Mai 2025 unterzeichnet und im September 2025 genehmigt wurde, sieht vor, dass die Firma die Entsorgungsanlagen errichtet und den Kommunen kostenlos übergibt. Als Gegenleistung werden ihre Flächen in die offiziellen Dorfbebauungspläne aufgenommen und von landwirtschaftlicher in Wohnnutzung umgewandelt. Das Unternehmen soll eine gesetzliche Abgabe in Höhe von 60 Prozent der Wertsteigerung entrichten, die durch die Umwidmung entsteht.
Kritik von Umweltexpert*innen
Umweltexpert*innen sprechen von einem gefährlichen Präzedenzfall. Laut Shargh versuchte die Behörde im September 2025, die Ausweitung der Dorfgrenzen damit zu rechtfertigen, dass viele „Zuzügler“ oder „Zweitwohnungsbesitzer“ untergebracht werden müssten. Tatsächlich, so einer der Expert*innen, sei die geplante „Bevölkerungsquote“ direkt an die 60 Hektar Land gekoppelt, die das Unternehmen gewinnbringend verkaufen wolle. Die Folge wäre ein Bevölkerungszuwachs, der weit über die genehmigten Dorfentwicklungspläne hinausgehen würde.
Umgehung gesetzlicher Verfahren
Nach iranischem Recht dürfen landwirtschaftliche Nutzflächen – insbesondere Reisfelder im Norden – nicht ohne Genehmigung einer speziellen Kommission umgewidmet werden. Diese Kommission, eingerichtet auf der Grundlage von Paragraph 1 zu Artikel 1 des Gesetzes zum Schutz landwirtschaftlicher Nutzflächen, muss jeder Änderung zustimmen. Doch weder der Gouverneur noch die Justizvertreter sind Mitglieder dieser Kommission oder befugt, solche Beschlüsse zu fassen.
Zudem fließt das Geld nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben, in den Staatshaushalt. Ein Experte sagte gegenüber Shargh: „Die Vereinbarung sieht vor, dass Abadgostar Mehregan die Gebühren auf das Konto der Provinzbehörde für Abfallwirtschaft einzahlt. Das verstößt gegen geltendes Recht, wonach Einnahmen aus Dorfentwicklungsplänen ausschließlich in die Staatskasse fließen dürfen. Der Gouverneur hat hier eindeutig gegen das Gesetz verstoßen.“
Umstrittener Firmenchef
Auch der Geschäftsführer von Abadgostar Mehregan steht in der Kritik. Mohsen Ravandmand war bereits 2011 wegen „illegaler Bereicherung“ verurteilt und zu einer Haftstrafe sowie Rückzahlungen an Banken verpflichtet worden. Laut Shargh läuft bei der Staatsanwaltschaft von Mazandaran derzeit ein weiteres Verfahren gegen ihn wegen mutmaßlicher Verstöße seiner Firma.
Kritiker*innen sehen in der Vereinbarung einen weiteren Fall systematischen Landraubs: Unter dem Deckmantel der Abfallentsorgung und des Bevölkerungswachstums werden mehr als 60 Hektar fruchtbares Land in Villenareale verwandelt – mit Zustimmung der höchsten Provinzbehörden. Der Gouverneur rechtfertigte den Schritt mit mangelnden staatlichen Mitteln zur Lösung der Abfallkrise. Fachleute widersprechen: Dieses „alternative Finanzierungsmodell“ sei schlicht rechtswidrig.
Auch Wälder betroffen
Nur wenige Wochen zuvor, am 30. September 2025, hatten Umweltaktivist*innen in Mazandaran aufgedeckt, dass Bonyad-e Mostazafan – eine unter der direkten Aufsicht von Ayatollah Ali Khamenei stehende Stiftung – versucht hatte, eines der größten Wald- und Tieflandgebiete bei Kelarabad-Abbasabad zu verkaufen. Die Stiftung hatte bereits zuvor rund 980 Hektar der 50 Millionen Jahre alten Hyrkanischen Wälder in der Region Yalbandan unter ihre Kontrolle gebracht. Zahlreiche Bäume wurden gefällt, das Gelände in private Obstgärten umgewandelt – offenbar, um die Schutzbestimmungen für National- und Waldflächen zu umgehen.
Der Angebotspreis für die abgeholzten Flächen lag bei 1,96 Billionen Toman (rund 18 Millionen US-Dollar zum Kurs von Ende September 2025), mit nur zehn Prozent Anzahlung und einer zweijährigen Ratenzahlung.
Systematisches „Forest Grabbing“
Im gesamten Norden Irans – insbesondere in Mazandaran – operieren Netzwerke, die Wälder illegal roden, Holz verkaufen und Waldflächen in Agrar- oder Baugebiete umwandeln. Etwa 53 Prozent der Hyrkanischen Wälder liegen in Mazandaran. Teile davon werden regelmäßig für Villen- und Wohnprojekte gerodet, oft mit stillschweigender Duldung oder gar Unterstützung der Behörden.
Neben dem ökologischen Schaden offenbaren diese Fälle ein tief verwurzeltes System aus Korruption, Vetternwirtschaft und Machtmissbrauch – in einer der fruchtbarsten Regionen Irans.
Quelle: Radio Zameneh
