Vom schönen Schein der Islamischen Republik

Seit der Wahl von Präsident Hassan Rouhani lässt sich in vielen westlichen Iran-Analysen eine deutliche Zäsur feststellen: Während das Land noch zu Zeiten seines Vorgängers Mahmud Ahmadinedschad als Inkarnation des Bösen galt, so erscheint der Iran heute überwiegend im positiven Licht.
Von Ali Fathollah-Nejad
Bei vielen Iran-Analysen der letzten Jahre konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass diese getrieben waren vom Wunschdenken oder politisch motiviertem Anliegen, die in Gang gekommenen Atomverhandlungen und den darauffolgenden Annäherungsprozess zwischen dem Westen und dem Iran durch eine wohlwollende Berichterstattung zu stützen.
So erwecken viele Kommentare und Analysen in europäischen Medien den Eindruck, dass wir es seit dem Amtsantritt Rouhanis mit grundlegenden politischen Veränderungen im Iran zu tun haben. Dies ist ein Trugschluss, handelt es sich doch vielmehr um einen Wechsel innerhalb einer systemischen Kontinuität. Trotz des durchaus existierenden Wettstreits zwischen den unterschiedlichen Fraktionen innerhalb des ausschließlich islamistischen Spektrums der politischen Elite, haben wir es immer noch mit einem politisch-ökonomischen System zu tun, das sich als erstaunlich reformresistent erwiesen hat.
Das gängige Argument, wonach dem Westen die Verantwortung zukommt, mit seiner Politik das sogenannte „gemäßigte Lager“ (Hassan Rouhani, vormals Präsident Mohammad Khatami) gegenüber den „Radikalen“ zu stärken, verkennt allemal, dass beide politische Eliten in Wirklichkeit im gleichen Boot sitzen. Daraus folgt, dass keiner der beiden Seiten an einem wahrhaftigen Wandel im Iran interessiert ist und zuweilen durchaus bewusst das „Good Cop/Bad Cop“-Spiel gegenüber dem Westen in strategischer Manier verfolgt wird.
Politische Mitbestimmung
Das Spektrum der islamistischen Elite der Islamischen Republik reicht von Reformisten über Konservative bis hin zu Fundamentalisten und Extremisten. Obgleich Erstere durchaus bestimmte Einschränkungen politischer Freiheiten beklagen und die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie auf ihre Fahnen schreiben, kann man die als „religiöse Reformer“ bezeichneten politischen Kräfte wohl kaum als Verfechter von Demokratie und Menschenrechten ansehen.
Eine Auseinandersetzung mit ihren Demokratie- und Menschenrechtsdiskursen offenbart argumentative und strukturelle Defizite. Zwar vertreten „religiöse Reformer“ eine tolerantere Islam-Auffassung, können aber ihre Behauptung der Vereinbarkeit von Demokratie und Menschenrechten mit Letzterer nicht widerspruchsfrei belegen. Eher wird in vielen Fällen eine Art Mehrheitsherrschaft befürwortet, in der für religiöse Minderheiten und Nicht-Religiöse geringere politische Mitgestaltungsmöglichkeiten bestehen.

Mohammad Khatami glaubt an eine "islamische Demokratie"
Mohammad Khatami glaubt an eine „islamische Demokratie“

 
Auch Hassan Rouhanis wirtschaftspolitische Agenda wurde in vielen europäischen Medien nicht wirklich gründlich untersucht. Die meisten Wirtschaftsanalysen beleuchten lediglich die eine Seite der Medaille – nämlich die angeblich mannigfachen Potenziale und Anreize für westliche Unternehmen im Iran. Dabei wird oft argumentiert, unter Rouhani habe sich die Wirtschaft im Iran erholt. Außerdem sei der Iran mit seinen rund 80 Millionen konsumfreudigen und westlich orientierten Einwohnern der weltweit größte nicht erschlossene Markt seit dem Berliner Mauerfall.
Die Kehrseite der Medaille ist jedoch – und davon ist in vielen westlichen Medien kaum etwas zu erfahren –, dass die politisch-ökonomische Macht im Iran vor allem in den Händen der Revolutionsgarden liegt, denen aus ihrer Sicht ausländische Unternehmen nur ihre Monopole streitig machen.
Wenig mediale Beachtung findet auch Rouhanis zweifelhafte Wirtschaftspolitik. Denn wie bereits in zahlreichen anderen Ländern vor Augen geführt wurde, stellt sein Festhalten an einer neoliberal ausgerichteten Wirtschaftspolitik ein vollkommen ungeeignetes Mittel zur Überwindung der sozio-ökonomischen Probleme des Landes dar. Auch trägt sein ökonomischer „Reformkurs“ kaum etwas zu einer nachhaltigen und sozial verträglichen Wirtschaftsentwicklung bei. Seit Rouhanis Amtsübernahme nahmen relative Armut und Einkommensunterschiede weiter zu.
Eine „regulierte Demokratie“?
Seit der Rouhani-Präsidentschaft wurde dem politischen System Irans bescheinigt, es handle sich im Grunde um eine „Semi-Demokratie“, „regulierte Demokratie“ etc., was jedweder Grundlage entbehrt und eher der Selbstdefinition mancher Regime-Eliten entspricht.
In Analysen zum politischen System des Iran ist gemeinhin von der parallelen Existenz eines republikanischen und eines theokratischen Pfeilers die Rede. Demnach manifestiere sich der republikanische Pfeiler in der direkten Wahl des Präsidenten und des Parlaments, wohingegen der theokratische Pfeiler die anderen Institutionen, einschließlich des religiösen und staatlichen Oberhauptes (Oberster Führer), umfasst. Das Problem hierbei ist jedoch, dass der republikanische Pfeiler eigentlich gar keiner ist, da weder der Präsident noch die Parlamentsabgeordneten in freier, direkter und demokratischer Wahl gewählt werden, sondern all jene Kandidaten vorher vom Wächterrat ob ihrer Regimeloyalität auserkoren werden.
Wahlen im Iran stellen eher das Fortleben des Regimes in den von ihm definierten Grenzen sicher. Dennoch führen die nicht vorhersehbaren Ergebnisse zu einigen Politikwechseln und neuen Machtverteilungen innerhalb der politischen Elite. Somit böte es sich an, die Islamische Republik Iran als eine Spielart des sogenannten electoral authoritarianism zu begreifen. Doch weiß man auch unabhängig von der politischen Praxis im Iran, dass Wahlen per se keinen Beweis für die Existenz von Demokratie liefern. Dazu gehören auch politische Freiheiten, die aber in der Islamischen Republik weitgehend fehlen.
Irans Sicherheit auf tönernen Füßen
Fortsetzung auf Seite 2