Wahlen unter großem Druck
Fast 58 Millionen Iraner*innen, davon etwa drei Millionen Erstwähler*innen, sind aufgerufen, am 21. Februar ein neues Parlament für den Iran zu wählen. Expert*innen und politische Analyst*innen sind sich allerdings einig: Der Kampf um die 290 Abgeordnetensitze ist bereits entschieden.
Von Javad Kooroshy
Parlamentswahlen in der Islamischen Republik unterscheiden sich grundlegend von denen in Ländern mit laizistischen Regierungsformen. Im Iran sind uneingeschränkte Verbundenheit zu den islamischen Vorschriften und bedingungslose Treue zum religiösen Führer, derzeit Ayatollah Ali Khamenei, Grundvoraussetzungen für alle, die bei den Wahlen kandidieren wollen.
Andersdenkende, Säkulare oder Kritiker des religiösen Führers dürfen weder kandidieren noch als Gruppierungen Kandidat*innen aufstellen. Daher beschränkt sich die Auswahl der Parlamentsabgeordneten auf die Kandidat*innen der Konservativen und der reformorientierten Islamisten – die allerdings nicht als zwei Einheiten, sondern in mehreren unterschiedlichen Formationen auftreten.
Streng vorsortiert
Wer zur Wahl antreten will, wird zunächst von der Wahl-Aufsichtsbehörde des Innenministeriums überprüft. Diese Überprüfung beruht auf Informationen des Geheimdienstministeriums, der Polizei, der Justiz und des Einwohnermeldeamts. Für Kandidat*innen, die diese Hürde überwunden haben, beginnt dann die eigentliche „Eignungsprüfung“ durch den „Rat der Wächter der Verfassung“ (Wächterrat).
Diesem von den Konservativen dominierten Gremium genügen die Informationen der genannten staatlichen Institutionen nicht. Es führt weitere eigene Recherchen über die Kandidat*innen durch, wobei die Berichte unterschiedlicher Geheimdienste ausschlaggebend sind. Im Iran existieren neben dem Geheimdienstministerium noch der Geheimdienst der Revolutionsgarden, ein Geheimdienst der Justiz und einer der Polizei. Alle arbeiten unabhängig voneinander und alle werden von den Hardlinern kontrolliert.
Wahlen 2020
Bei der bevorstehenden 11. Wahlperiode verfahren die Kontrollorgane dabei noch strenger als sonst. Laut der Wahlaufsichtsbehörde hatten sich über 16.000 Personen als mögliche Kandidat*innen registrieren lassen – 88 Prozent davon Männer. Bei ihrer Überprüfung durch den Wächterrat wurden über 50 Prozent der Kandidat*innen abgelehnt, darunter viele der derzeitigen Abgeordneten.
Und nach Meinung vieler politischer Beobachter*innen unterscheiden sich die kommenden Parlamentswahlen noch in anderer Hinsicht von den bisherigen Wahlen. So wurden fast 90 Prozent der Kandidat*innen der reformorientierten Islamisten um den früheren Staatspräsidenten Mohammad Khatami abgelehnt – die konservativen Islamisten werden damit im nächsten Parlament wohl unter sich sein.
Auch bisher konnten Parlamente im Iran ohne Zustimmung von Staatsoberhaupt Khamenei kaum selbstständige Entscheidungen treffen. Sollten die Erzkonservativen im neuen Parlament die absolute Mehrheit erlangen, werden sie jedoch noch viel leichter Gesetze verabschieden können, die die bestehenden einengenden Regeln und Vorschriften im öffentlichen Leben verschärfen und einen härteren außenpolitischen Kurs einschlagen. Der frühere Parlamentspräsident Gholamali Hadad Adel, Schwiegervater von Khameneis Sohn, erklärte kürzlich, „einige“ wollten mit den USA verhandeln: „Daher muss ein Parlament gewählt werden, das gegenüber den USA standhaft bleibt.“
Diese Entwicklung im Vorfeld der Wahl stellt die Reformer vor ein Dilemma: Sie können die Wahlen boykottieren – oder sich dieser Demütigung unterwerfen. Auch Proteste von Staatspräsident Hassan Rouhani gegen den Druck auf die Reformer haben zu keinem Ergebnis geführt. Es wird deshalb erwartet, dass ein Großteil der Reformer die Wahlen boykottieren wird. Sollte die Bevölkerung dem Boykottaufruf folgen und bliebe die Wahlbeteiligung damit gering, wäre es für die Führung der Islamischen Republik schwierig, die Wahlergebnisse als Zeichen ihrer Legitimität und der Zustimmung zu ihrer Politik zu verkaufen.
Schwierige Bedingungen
Fortsetzung auf Seite 2