Spekulationen um einen Todesfall

Der Anführer der iranischen Oppositionsgruppe Volksmudschahedin, Masoud Rajavi, soll verstorben sein. Während seine AnhängerInnen trauern, bejubeln viele IranerInnen den vermeintlichen Tod des umstrittenen Politikers, den ein regelrechter Führerkult umgab.


Lebt er oder lebt er nicht? Darüber rätseln Millionen von IranerInnen. Seit Jahren soll Masoud Rajavi, Führer der iranischen Volksmudschahedin, schon tot sein, sagen die einen, während die anderen ihn quicklebendig in Israel, Saudi-Arabien, Kanada, Frankreich oder den USA vermuten. 
Grund für die neu entfachten Spekulationen über ein Ableben Rajavis ist eine Rede des saudischen Prinzen Turki Al-Faisal im Rahmen einer Kundgebung des „Nationalen Widerstandsrates Iran“, dem politischen Arm der militanten Volksmudschahedin, in Paris am 9. Juli, bei der auch zahlreiche internationale Gäste anwesend waren.
Dabei bezeichnete Al-Faisal Rajavi zweimal als „verstorben“. Bis zum jetzigen Zeitpunkt gibt es jedoch von der Führungsebene der umstrittenen Volksmudschahedin weder eine Bestätigung noch ein klares Dementi.
Aufstieg der Volksmudschahedin
Doch wer sind die Volksmudschahedin? Warum polarisieren sie so sehr?
Mitte der 60er Jahre gegründet, um den Schah Mohammad Reza Pahlavi zu stürzen, entwickelten sie sich in den folgenden Jahrzehnten zu einer der führenden Oppositionsgruppen des Iran. Die Ideologie der damaligen Volksmudschahedin, eine Kombination aus Marxismus und Islam, zog viele iranische Studierende, ArbeiterInnen und gläubige Muslime in ihren Bann. Die heutige Organisation lehnt jedoch das Etikett „islamisch-marxistisch“ ab und gibt an, dass ihre Vorstellungen zur Umgestaltung der iranischen Gesellschaft stets nur auf islamisch-schiitischer Grundlage basiert hätten.
Die Volksmudschahedin waren Ende der 70er Jahre unter dem charismatischen Masoud Rajavi – auch durch militante Aktionen – maßgeblich am Sturz des Schah-Regimes beteiligt, verloren aber nach der Revolution die Auseinandersetzung um die Vormachtstellung im Iran. Als Reaktion auf die blutige Verfolgung ihrer Mitglieder durch die damals neu gegründete Islamische Republik griffen sie zunehmend zu terroristischen Mitteln. Zahlreiche IranerInnen sollen seither Opfer von Anschlägen der Organisation geworden sein.
Vom Regime verboten und immer rigoroser verfolgt, floh ein großer Teil der Führungsriege 1981 nach Frankreich. Dort wurden sie 1986 ausgewiesen und verlegten ihr Hauptquartier ausgerechnet in den Irak Saddam Husseins, der sich damals im Krieg mit dem Iran befand.
Saddams HelferInnen


Vom Irak aus versuchten die Volksmudschahedin bis zum Sturz des irakischen Diktators mit dessen materieller und finanzieller Unterstützung einen militärischen Widerstand gegen den Iran zu organisieren. Bei bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem Iran verloren zahlreiche KämpferInnen der Organisation ihr Leben.

Masoud Rajavi beim irakischen Diktator Saddam Hussein
Masoud Rajavi (re.) bei einem Treffen mit dem irakischen Diktator Saddam Hussein

Doch nicht nur die Terroranschläge und die Verbrüderung mit dem Erzfeind kostete die Organisation Sympathien bei der iranischen Bevölkerung. Auch der skurrile Führerkult um das Ehepaar Masoud und Maryam Rajavi, die von der Gruppe als Präsidentin des Iran betrachtet wird, und die Berichte von Ex-Mitgliedern über sektenähnliche Zustände innerhalb der Organisation bis hin zu Folterungen der eigenen Anhängerschaft führten dazu, dass die Volksmudschahedin unter den IranerInnen heute einen überwiegend negativen Ruf haben.
Nicht nur Saddam Hussein nutzte die Rajavi-Gruppe für seine Feindschaft gegen den Iran. Viele Experten sind sich einig, dass die Volksmudschahedin die USA beim Eingreifen im Irak, bei diversen Aktionen im Nahen Osten und beim so genannten „Kampf gegen den Terror“ unterstützt haben. Auch bei der Veröffentlichung des iranischen Atomprogramms sollen sie eine wichtige Rolle gespielt haben.
Nach dem Ende des Irakkriegs 2003 wurden die Volksmudschahedin in ihrem Stützpunkt Camp Ashraf im Irak von der US-Armee entwaffnet und 2012 zum großen Ärger Teherans von der Liste internationaler Terrorgruppen gestrichen. Jüngsten Berichten zufolge sollen viele Kader und AnhängerInnen der Gruppe vom Irak nach Albanien gebracht worden sein. Masoud Rajavi soll sich aber weder im Irak noch in Albanien oder Frankreich befinden, wo seine Frau Maryam Rajavi im Pariser Exil lebt.
Von vielen verehrt


In sozialen Netzwerken und Online-Kommentarspalten trauert nun die Volksmudschahedin-Anhängerschaft um den vermeintlich verstorbenen Masoud Rajavi: „Diese Nachricht ruft in mir eine unendliche Trauer hervor. Bruder Masoud ist gestorben, ohne sein Land von den Mullahs befreit gesehen zu haben“, schreibt Ramin unter einem Nachrichtenbeitrag von BBC Farsi auf Facebook. „Mit Masoud ist der edelste Kämpfer des Islam und des Iran gestorben. Er hat sein Leben für sein Land gegeben. Möge er in Frieden ruhen und Gottes Schutz genießen“, schreibt wiederum Avisa. „Masoud lebt in Maryam weiter. Sein Kampf geht weiter“, so eine anderer Web-User.
Andere AnhängerInnen Rajavis sind der Überzeugung, dass er noch lebt: „Nur wenn er für tot erklärt wird, kann er in Ruhe den Widerstand gegen das Mullah-Regime aus dem Untergrund führen. Durch den Atomdeal haben sich die Islamische Republik und die USA auf eine nie zuvor dagewesene Art und Weise angenähert. Rajavi genießt nun keinen Schutz mehr“, glaubt Arash auf der Facebookseite von VOA Persian zu wissen. „Es gibt keinen Grund zu trauern. Rajavi lebt. Ich weiß das aus einer sicheren Quelle“, schreibt ein anderer Iraner.
Ein anonymer Anhänger Rajavis schreibt dagegen auf der Webseite Parsine: „Er ist vermutlich schon längst verstorben. Aber im Grunde genommen spielt es überhaupt keine Rolle, ob er nun wirklich tot ist oder noch lebt. Wie Rajavi es immer selbst sagte: Nicht Individuen sind wichtig, sondern die Ideale der Bewegung“, so der Iraner.
Von den meisten gehasst
Die Führer der Mudschahedin Masoud und Maryam Rajavi wachen über das "Camp Ashraf" im Irak - Foto: bokhdinews.af
Die Führer der Mudschahedin Masoud und Maryam Rajavi wachen über das „Camp Ashraf“ im Irak – Foto: bokhdinews.af



Doch bei der überwiegenden Mehrzahl der iranischen Web-NutzerInnen kann von Trauer und Bestürzung keine Rede sein. „Ich bete zu Gott, dass dieser elende Sektenführer wirklich gestorben ist. Soll er doch in der Hölle verrotten“, so Danial auf der Facebookpräsenz von Euronews Persian. „Masoud war ein Feind des iranischen Volkes. Man soll nicht über den Tod eines anderen Menschen frohlocken. Aber Gott möge mir verzeihen, wenn ich vor Freude tanze“, schreibt Mahsa auf Balatarin. „Mögen seine Frau und die gesamte Organisation ihm ins Grab folgen. Es gibt wohl weltweit keine politische Gruppierung, die beim eigenen Volk so verhasst ist“, so Cherik56 auf der Facebookseite des iranischen Auslandssenders Manoto TV.
„Rajavi war schlimmer als Khamenei. Gott sei Dank hatte er nur Macht über seine eigene Anhängerschaft“, schreibt Shideh auf der Nachrichtenplattform Radio Farda. Die Volksmudschahedin könnten heute eine beliebte Bewegung sein, wenn sie nicht eine derart fatale Entwicklung durchgemacht hätten, glaubt ein Radio-Farda-User mit dem Pseudonym Mohajer. „Man könnte denken, dass der IS seine Methoden bei Rajavi abgeguckt hat: religiöser Wahn, Kult um die eigene Organisation, Terror gegen Zivilisten und die eigenen Anhänger“, so der Iraner weiter.
Negativ wird auch die aktuelle Politik der Volksmudschahedin von zahlreichen iranischen Web-User bewertet: „Wieder einmal begehen sie offenen Verrat. Vor 20 Jahren sprangen sie in die Arme Saddams, heute liegen sie im Bett der Saudis“, schreibt ein anonymer Iraner auf der Nachrichtenseite Aftab News. Maryam Rajavi müsse sich schämen, schreibt auch Alijoon auf BBC Farsi: „Sich bei der saudischen Königsfamilie Unterstützung zu holen, markiert selbst für ihre Verhältnisse einen neuen Tiefpunkt.“
  JASHAR ERFANIAN
Quellen:
OUR MEN IN IRAN? ، Umsturzpläne im Pariser Umland ، Wahnsinn mit System ، Die mit den schwarzen Mappen ، kayhanlondon.biz ، www.radiofarda.com/a/f2 ، aawa-association.de ، peyvande-rahaee.fr ، www.yaraniran.com ،  www.mojahedin.org/home/en , www.irajmesdaghi.com/maghaleh, www.youtube.com