Verächtlicher Weltrekord

Wie entledigt man sich eines abscheulichen Weltrekordes? Das negative Image des Iran im Ausland hat auch und vor allem mit der hohen Zahl der Todesurteile zu tun, die in der islamischen Republik verhängt und vollstreckt werden. Präsident Rouhani versucht, dies auch seinen innenpolitischen Gegnern zu vermitteln und schlägt dabei Wege vor, wie der Gottesstaat seinen beschämenden Ruf loswerden könne: etwa durch eine Liberalisierung der Drogenpolitik.

Dieser Weltrekord ist ein Schandmal. Von dem verruchten Podest sollte man so schnell wie möglich absteigen, sagen die einen. Andere meinen dagegen, die Spitzenposition sei gerade der richtige Ort, man solle sich nicht einschüchtern lassen, vor allem nicht vom westlichen Ausland. Und während man weiter darüber streitet, bleibt man einstweilen Weltmeister. Aber vielleicht nicht mehr lange.

Beschämende „Weltmeisterschaft“

Die Rede ist von der Todesstrafe im Gottesstaat und von einer heftigen Debatte im iranischen Parlament darüber, wie man die Zahl der Hinrichtungen reduzieren könnte. Die Islamische Republik ist international unangefochtene Rekordhalterin in Sachen Todesstrafe. In keinem Land der Welt werden – gemessen an der Bevölkerungszahl – so viele Menschen hingerichtet wie dort. Selbst in absoluten Zahlen ist der Gottesstaat immer noch Vizeweltmeister, nur China mit seinen Milliarden EinwohnerInnen richtet noch mehr Menschen hin.

Im Jahr 2016 ist laut Amnesty International die Zahl der Hinrichtungen weltweit zwar um mehr als ein Drittel gesunken: von 1.634 auf 1.032. Doch für 87 Prozent der Hinrichtungen waren allein vier Länder verantwortlich: Iran (567), Saudi-Arabien (154), Irak (88) und Pakistan (87). Im Iran wurden laut Amnesty 2016 zudem mindestens zwei Menschen hingerichtet, die zur Tatzeit noch minderjährig waren. Und das, obwohl das Land seit bald fünf Jahren von einem gemäßigten Präsidenten regiert wird, der alles besser machen wollte als seine Vorgänger.

Geht es so weiter, wird die Islamische Republik den eigenen Rekord brechen und in diesem Jahr noch mehr Menschen hinrichten. Denn die Zahl der Hinrichtung im ersten Quartal 2017 nähert sich bereits den 200 an.

Hinrichtungen in der Öffentlichkeit ziehen viele Menschen an - Foto: Schaulustige bei einer öffentlichen Hinrichtung in der ostiranischen Stadt Maschhad
Hinrichtungen in der Öffentlichkeit ziehen viele Menschen an – Foto: Schaulustige bei einer öffentlichen Hinrichtung in der ostiranischen Stadt Maschhad

Wie endet man am Galgen?

Warum das Leben eines Delinquenten im Iran vor einem Erschießungskommando oder am Galgen endet, kann verschiedene Gründe haben. Wie anderswo in der Welt werden auch im Iran Mörder, Spione, bewaffnete Räuber oder Drogenhändler zum Tode verurteilt. Man kann als Iraner aber auch wegen religiöser Delikte wie etwa Kritik am Islam oder dem Koran zum Tode verurteilt werden. Auch damit ist der Iran keineswegs allein: In Saudi-Arabien oder Pakistan werden ebenfalls Menschen wegen Beleidigung der heiligen Werte und Symbole hingerichtet. Was ist also besonders an der Islamischen Republik, was macht den Iran zum Weltmeister der Todesstrafe?

Der ewig revolutionäre Zeitgeist

Die traurige Weltmeisterschaft verdankt der Gottesstaat seinen Revolutionsgerichten und seiner Drogenpolitik. Die Revolutionstribunale sind im Iran immer noch voll im Betrieb, obwohl die Revolution selbst bald vierzig Jahre alt ist. Im ganzen Land gibt es weiterhin Revolutionsgerichte und -staatsanwälte, die politische DissidentInnen mit demselben Eifer verfolgen wie zu Beginn der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts.

Doch mit einem Unterschied: Die revolutionäre Rechtsfindung ist mittlerweile fester Bestandteil der Justiz, sie ist nicht mehr chaotisch, sondern geregelt und gegliedert und findet nicht mehr in dunklen Kellern oder auf Hausdächern statt wie in den ersten Monaten der Revolution (1979). Heute fällen die Richter der Revolution, in der Regel Geistliche, ihre Urteile in modernen Gebäuden mit hellen geräumigen Sälen, die mit raffinierten Kameras und Mikrophonen ausgestattet sind: Denn diese Prozesse liefern oft geeignetes Filmmaterial für Propagandasendungen. In den vier Dekaden seit der Revolution haben sich dabei nur Äußerlichkeiten verändert. Die Zeit oder besser gesagt der Zeitgeist ist in diesen modernen Gerichtssälen stehen geblieben. Alles ist dort wie eh und je, also politisch: die Vergehen, die Gesetze, die Revolutionsrichter ebenso wie ihre Urteile.

„Moderne“ Revolutionstribunale

Fortsetzung auf Seite 2