Ein dunkles Kapitel der iranischen Geschichte

Im Sommer 1988 erließ der Revolutionsführer und Gründer der Islamischen Republik Ayatollah Ruhollah Khomeini ein Dekret, mit dem Tausende politische Häftlinge zum Tode verurteilt wurden. Interview mit der Zeitzeugin Monireh Baradaran.

Die Hingerichteten waren Gefangene, die Jahre zuvor wegen ihrer politischen Aktivitäten verurteilt worden waren und zum Teil ihre Haftstrafen bereits abgesessen hatten.
Monireh Baradaran war in dieser Zeit als linke Aktivistin im Gefängnis und erlebte, wie ihre Zellengenossinnen zur Hinrichtung abgeholt wurden. Nach ihrer Entlassung verließ sie den Iran und lebt seit 1991 in Deutschland. Ihre Gefängnismemoiren hat Baradaran der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Buch mit dem Titel „Erwachen aus dem Alptraum“ wurde in mehrere Sprachen, auch ins Deutsche, übersetzt.
Das Iran Journal hat Monireh Baradaran aus Anlass des 30. Jahrestags der Massenhinrichtungen interviewt.

Iran Journal: Warum hat das Regime die Massenhinrichtungen im Sommer 1988 durchgeführt – warum nicht früher oder später?

Monireh Baradaran: Die so genannten Säuberungen in den iranischen Gefängnissen im Sommer 1988 waren Teil einer Strategie, die die Islamisten zur Verfestigung eines islamischen Systems schon seit 1979, direkt nach der Revolution, angewendet hatten, nämlich die Beseitigung aller Andersdenkenden und Oppositionellen. Es ging darum, keine Gegenstimmen von Linken, Volksmudschaheddin oder parteipolitisch neutralen Intellektuellen in der Gesellschaft zuzulassen. Sie alle wurden entweder hingerichtet, verhaftet oder ins Exil getrieben. Diese Praxis hält in veränderter Form bis heute an.

Glauben Sie, dass das eine spontane Aktion seitens des Regimes war, oder war es von langer Hand geplant?

Monireh Baradaran
Monireh Baradaran

Das Regime hatte diese Massenhinrichtungen länger geplant. Wochen vorher wurden viele Gefangene voneinander getrennt, manche wurden in andere Gefängnisse verlegt. Man hatte den Eindruck, dass etwas Besonderes, etwas Furchtbares bevorsteht. Es war kurz vor Ende des achtjährigen Krieges gegen den Irak. In dieser Zeit griffen die Mudschaheddin mit Unterstützung der irakischen Armee vom Irak aus den Iran an, in der Hoffnung, das Regime zu stürzen. Ihr Angriff wurde innerhalb von drei Tagen zurückgeschlagen. Im Gegenzug richtete das Regime verstärkt Gefangene hin, die den Volksmudschaheddin angehörten. Bei den Massenhinrichtungen wurde auch mit den Linken abgerechnet.

Wie wurde das Geschehen legitimiert?

Durch ein Dekret von Ayatollah Khomeini.

Gibt es genaue Zahlen der Hingerichteten?

Mehr als 3.800 Fälle wurden bisher dokumentiert. Etwa 90 Prozent davon gehörten den Mudschaheddin an. Die Familien der Hingerichteten haben die Leichen ihrer Angehörigen nie bekommen.

Wurde bei Frauen und Männern ähnlich vorgegangen?

Bei den linken Frauen wurde das religiöse Gebot Ertedad (Apostasie) angewandt. Nach diesem Gebot muss man Frauen, die vom Glauben abgekommen sind, so lange in Haft behalten, bis sie Reue zeigen oder sterben. Bei vielen linken Frauen wurde angeordnet, dass sie täglich zu den Gebetszeiten fünfundzwanzig Peitschenhieben bekommen. Das Auspeitschen dauerte so lange wie das Gebet.

Und die Frauen der Mudschaheddin?

Sie wurden hingerichtet, obwohl sie gläubige Musliminnen waren. In unserem Trakt gab es 44 Mudschahed-Frauen, die alle hingerichtet wurden.

Wer suchte die Opfer aus?
Fortsetzung auf Seite 2