Ein Lichtblick in Rouhanis Amtszeit

Wird Rouhani, wenn er Präsident bleibt, in der Lage sein, frauen- und kinderverachtende Familiengesetze zu korrigieren? Am Willen fehlt es ihm nicht. Den Weg dorthin soll seine zukünftige Stellvertreterin für Frauenangelegenheiten finden. Die derzeitige Stellvertreterin fördert zeitgemäße Gesetze für moderne Familien, wie sie heute im Iran leben: “Wir bewegen uns heute im Iran zunehmend weg von einem patriarchalen Familiensystem und sind mit anderen Formen von Familie konfrontiert: allein lebende Menschen, Alleinerziehende mit einem oder mehreren Kindern, Wohngemeinschaften und gleichgeschlechtliches Zusammenleben”, so Molaverdi. Das impliziere “eine Metamorphose des Wertesystems”, die sich in vielen Veränderungen ausdrücke: “Mehr Schwangerschaftsabbrüche, freiwillige Kinderlosigkeit, reduzierte Anteile der Mütter an der Kindererziehung, zunehmende Betreuung in Kindertagesstätten, höherer Stellenwert der Frau in der Familie, Wachstum der Scheidungsraten und ein anderes Verständnis von Scheidung vom Tabu zu einem Ausweg.“
Das Mindestalter für Eheschließung liegt im Iran bei 13 Jahren für Mädchen und 15 Jahren für Jungen. Für Ausnahmefälle hat der Gesetzgeber eine Hintertür geöffnet: Wenn der Vater oder bei dessen Fehlen Großvater, Onkel, Großonkel oder ein Vormund der Heirat zustimmt, kann die Ehe auch früher geschlossen werden. Molaverdi fordert, Kinderehen zu unterbinden. Auch kritisiert sie das kurz nach Rouhanis Amtsantritt verabschiedete Gesetz, das die Ehe zwischen Stiefvater oder Vormund mit Stieftöchtern erlaubt. Ebenso fordert sie die Streichung des 45 Jahre alten Gesetzes, das Frauen verbietet, ohne Erlaubnis ihres Ehemannes das Land zu verlassen. Solange das nicht geschehen ist, versucht sie, Ausnahmen für Sportlerinnen und Wissenschaftlerinnen durchzusetzen.

Bildung und Beschäftigung

In den vergangenen Jahrzehnten haben Frauen die iranischen Hochschulen erobert: das einzige Feld, auf dem die rechtlich benachteiligten und marginalisierten Iranerinnen ihre Stärke zeigen konnten. Während junge Männer sich amüsierten, auf Reisen gingen und auf den Sportplätzen tobten, qualifizierten sich ihre Altersgenossinnen. Der Frauenanteil an den Hochschulen liegt heute zwischen 60 und 70 Prozent. Auch die Gesamtzahl von Studierenden wächst mit den zahlreichen privaten Hochschulen, die selbst in kleinen und kleinsten Städten errichtet wurden. Heute studieren 4,4 Millionen Menschen an 2.500 iranischen Hochschulen. Folglich ist eine große Zahl von Fachkräften auf dem Markt, die miteinander konkurrieren. Dabei schmälern die Akademikerinnen die Chancen von jungen Männern. Das missfällt einigen radikalen PolitikerInnen im iranischen Parlament, .Sie versuchen durch diverse Einfälle und Methoden, den Frauenanteil an den Hochschulen zu reduzieren.

Selbst so eine Aufteilung in den Lehrsälen ist den Hardlinern zu "unislamisch"!
Selbst so eine Aufteilung in den Lehrsälen ist den Hardlinern zu „unislamisch“!

 
Eine Hürde gibt es schon: Frauen dürfen nicht studieren, wenn ihre Ehemänner das nicht erlauben. Und unverheiratete Frauen dürfen in der Regel zwecks Studium den Wohnort ihrer Familie nicht verlassen, da seit 2008 ein Dekret Mädchen eine „Provinzbindung” beim Studium vorschreibt. So muss eigentlich die gesamte Familie umziehen, wenn eine ledige Frau an einem anderen Ort als ihrem Wohnort studieren will.
Ein weitere Maßnahme, um Frauen von der Hochschule fernzuhalten, war die Einrichtung von Quoten. Seit 2008 gilt: Hochschulen sollen 30 Prozent Männer und 30 Prozent Frauen aufnehmen. Die übrigen 40 Prozent sollen nach Kenntnissen und Voraussetzungen vergeben werden.
Khamenei versus Rouhani
Ayatollah Khamenei, Staatsoberhaupt und mächtigster Politiker des Iran, unterstreicht die Bedeutung der Islamisierung der Hochschulen: Diese sei “lebensnotwendiger als das Mahl, das wir zu uns nehmen.“ Damit meint er vor allem die Geschlechtertrennung an den Universitäten. Rouhani hingegen sagt: “Nirgendwo in der Verfassung ist erwähnt, dass Männer und Frauen in getrennten Räumen oder an getrennten Hochschulen studieren müssen.“ Und ironisch fügt er hinzu, bei der Islamisierung der Hochschulen gehe es nicht darum, “dass Frauen ihre Kopftücher dichter oder weiter entfernt vom Haaransatz” trügen.

Frauen-Empowerment auf der Tagesordnung

Rouhani und seine Stellvertreterin Molaverdi kritisieren Geschlechtertrennung und Männerquoten an Universitäten. Die Befürworter dagegen meinen, dass dadurch die Benachteiligung von Männern kompensiert werden könne.
Molaverdi kritisiert zudem die Reduzierung des frauenpolitischen Blickfelds auf Hausfrauen: Frauen-Empowerment und -Beschäftigung sollten auf der Tagesordnung der jetzigen Regierung stehen, fordert sie: “Das ist das beste Mittel, um eine stärkere Partizipation am politischen Leben zu erreichen.”
 NASRIN BASSIRI*

 

*Dr. Nasrin Bassiri ist Autorin, Journalistin und Frauenbeauftragte an der Kunsthochschule Weißensee in Berlin.

© Iran Journal

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