„Wir haben eine Periode der Gewalt und der Furcht vor uns“

Eine friedliche Demonstration zu attackieren ist immer der Anfang davon, Proteste in Richtung Gewalttätigkeit zu lenken. Banken und andere Institutionen professionell in Brand zu setzen ist aber nichts, was einfache Menschen machen, die auf der Straße demonstrieren. Uns rief eine Frau aus dem Ort Boomehen nahe Teheran an und sagte, dort seien so viele Banken durch Feuer vernichtet, einige dem Erdboden gleichgemacht worden – das könne gar nicht von den Menschen auf der Straße gemacht worden sein. Roodehen und Boomehen sind zwei kleine Städtchen, wo die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sich kennen. Sie sind gar nicht in der Lage, innerhalb so kurzer Zeit so häufig professionell Feuer zu legen.
Es wird behauptet, dass Brandanschläge auf Geschäfte und öffentliche Einrichtungen von den Sicherheitskräften selbst verübt worden seien – was halten Sie davon?
Es bedarf aufwändiger Recherchen, um feststellen zu können, welche Feuer und Zerstörungen von offiziellen Kräften ausgingen – oder auch von organisierten Kräften, die nicht der offiziellen Seite angehören. Reifen und Abfallbehälter anzuzünden waren immer auch Protestakte von Demonstrant*innen. Das hilft gegen Tränengas und wirkt als Schutzmauer gegen Angreifer. Es wird aber gesagt, dass Beamte in Zivil an den Brandstiftungen an Banken beteiligt waren.
Wie alt waren die Protestierenden und welcher Bevölkerungsschicht gehörten sie an?
Sie waren überwiegend zwischen 18 und 30 Jahre alt und gehörten unteren Schichten an, nur Teile waren aus der Mittelschicht.

Reza Khandan: Die Protestbewegung ist jetzt breiter und massiver als vor zehn Jahren!
„Die Protestbewegung ist jetzt breiter und massiver als vor zehn Jahren!“

 
Viele Iraner*innen leiden unter der wirtschaftlichen Misere des Landes. Meinen Sie, dass es bei den Protesten nur um die Benzinpreiserhöhung ging?
Die Benzinverteuerung bot den Menschen Gelegenheit, ihre Proteste gegen die allgemeine Politik des Staates kundzutun.
Sehen Sie Ähnlichkeiten und Unterschiede zu den Massenprotesten vom Sommer 2009 und den Unruhen im Dezember 2017?
Die Proteste vor zehn Jahren haben hauptsächlich in Teheran und einigen Provinzhauptstädten stattgefunden. Die derzeitigen Proteste haben mehr Ähnlichkeit mit denen vom Winter 2017, mit dem Unterschied, dass die Protestbewegung jetzt breiter und massiver ist. 2009 richteten sich die Proteste gegen den Wahlbetrug. Sie haben sich kaum mit den Machtstrukturen des Staates auseinandergesetzt und hatten nicht das Ziel, einen Wandel der derzeitigen Staatsordnung zu fordern.
Frühere Proteste wurden von den iranischen Medien mehr oder weniger ignoriert. Heute berichten sie ausgiebig, wenn auch nicht wahrheitsgetreu über die Geschehnisse. Warum dieser Wandel?
Weil die Proteste so massiv sind, dass sie nicht mehr geleugnet werden können.
Was sagen uns die Ereignisse auf politischer Ebene, etwa die Rücktrittserklärungen einiger Abgeordneter, die Attacken der Hardliner auf Präsident Rouhani oder das Auftauchen eines noch nie dagewesenen Entscheidungsträgers namens „Chefs der drei Staatsgewalten“, der in der Verfassung nicht erwähnt ist und das Parlament noch mehr von wichtigen Entscheidungen ausschließt?
Fortsetzung auf Seite 3