Wirtschaftskrise schlimmer als angenommen

Jüngste Statistiken und Aussagen der Verantwortlichen im Iran zeugen von einer gravierenderen Wirtschaftskrise als bisher vermutet wurde. Das negative Wachstum der iranischen Industrie von Rund 14 Prozent sorgt in den Medien für Unbehagen. Die Zahl der jungen Arbeitslosen wurde nach oben, auf 25 Prozent korrigiert. Der staatlich festgesetzte Lohn wird kritisiert.

Die neuen Statistiken der iranischen Zentralbank löste in den persischsprachigen Medien innerhalb und außerhalb des Landes eine Welle der Kritik aus. Der „Bericht Nummer 70“ der Zentralbank bietet vor allem den Kritikern der alten Regierung eine weitere Möglichkeit, ihre Vorwürfe gegen den Ex-Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad und sein Kabinett zu rekapitulieren. „Empörend“, „Unglaublich“, „Menschverachtend“ sei die Wirtschaftspolitik der alten Regierung gewesen, schreiben sie. Ahmadinedschads Kabinett habe jahrelang die Miseren des Landes mit falschen Daten manipuliert.
Unerfreuliche Zahlen
Zum ersten Mal in den letzten acht Jahren veröffentliche die Zentralbank des Iran unverfälschte Zahlen, schrieben zahlreiche iranische Zeitungen und Internetportale am vergangen Dienstag. Der neuen Statistik zufolge betrug die Inflationsrate des Landes im Zeitraum von November 2011 bis Oktober 2012 durchschnittlich 27,4 Prozent. Im Oktober 2012 allerdings habe die Inflationsrate bei 37 Prozent gelegen. Die Arbeitslosenrate in den ersten neun Monaten von 2012 wird mit 11,2 Prozent beziffert. Sie habe bei Menschen unter 24 Jahren die Rekordhöhe von mehr als 25 Prozent erreicht.

Arbeiterprotest in Teheran: "Arbeitslosigkeit = Armut und Hunger"
Arbeiterprotest in Teheran: „Arbeitslosigkeit = Armut und Hunger“

Die Weltbank hatte in ihrem letzten Bericht die Inflationsrate im Iran im Jahr 2012 mit 27,3 Prozent angegeben. Damit habe das Land weltweit – nach Syrien und Weißrussland – die dritthöchste Inflationsrate gehabt. Hinsichtlich der „Beschäftigung“ errang der Iran auf der Rangliste der Weltbank Platz 145 der insgesamt 185 Staaten. Seit Beginn der Datenerhebungen durch die Weltbank vor neun Jahren rutscht der Iran auf deren Werteskala stetig nach unten.
Laut der in Teheran erscheinenden Zeitung Etemad habe das Wachstum der iranischen Gesamtindustrie im Jahr 2012 einen enormen Einschnitt erlitten und sei um 13,7 Prozent gefallen. 2010 habe  ihre Wachstumsrate im Vergleich zum Vorjahr noch stolze 10 Prozent betragen, so Etemad.
Gegen die Würde der Arbeiter
Der Zerfall der iranischen Industrie in den letzten Jahren hat zur Kündigung von Zehntausenden Arbeitern und Angestellten geführt. Diese Entwicklung hatte unter anderem die Verschlechterung der rechtlichen Situation der Arbeiter zur Folge: Zeitverträge ohne Kündigungsschutz und Dumpinglöhne gehören heute zur Selbstverständlichkeit. Doch das soll anders werden, hatte der neue Präsident Hassan Rouhani beim Wahlkampf versprochen. Deshalb richten sich nun alle Augen auf ihn.  Am 2. Oktober hat der „Verband islamischer Arbeiterräte“ (VIA) in einem offenen Brief an Rouhani die niedrigen Arbeiterlöhne kritisiert. Der Verband weist darauf hin, dass der staatlich festgesetzte Mindestlohn von 487.000 Tuman (etwa 120 Euro) nicht einmal die Grundbedürfnisse einer vierköpfigen Familie decken würde. „Angesichts der 40prozentigen Inflation“ sei die Höhe des Mindestlohnes eine Zumutung. Damit habe das Arbeitsministerium die Würde der Arbeiter verletzt, schreibt der regierungsnahe Arbeiterverband. VIA verlangt vom neuen Arbeitsminister schnelles Handeln.
Aufhebung der Sanktionen
Irans Autoindustrie steht kurz vor dem Konkurs
Irans Autoindustrie steht kurz vor dem Konkurs

Präsident Rouhani habt sich zum Ziel gesetzt, durch Annäherung an den Westen und die Lösung des Atomkonflikts die Weichen für die Aufhebung der internationalen Sanktionen zu stellen. Damit erhofft er sich die Erdöleinnahmen zu verdoppeln, die Landeswährung aus ihrem Sturzflug zu retten, den Warenverkehr mit dem Rest der Welt wieder anzukurbeln und schließlich die marode Industrie zu sanieren. Die internationalen Sanktionen gegen den Iran haben das Land immer mehr isoliert. Sogar die Türkei, die nach Medienberichten viele Jahre der Islamischen Republik beim Umgehen der Sanktionen geholfen haben soll, reduzierte den Umfang ihrer offiziellen und inoffiziellen Zusammenarbeit mit dem Nachbarland. Laut der türkischen Statistikbehörde fiel das Handelsvolumen beider Länder in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres gegenüber dem gleichen Zeitraum im Vorjahr um 41 Prozent.
Doch die Schaffung einer soliden Basis zur Aufhebung der Sanktionen liegt nicht nur in Rouhanis Hand. Die Revolutionsgarde als größte Industrie- und Wirtschaftsmacht des Landes möchte mitreden. Mohammad Ali Jafari, Chef der Revolutionsgarde, kritisiert bereits jetzt das Vorgehen des neuen Präsidenten gegenüber dem Westen. Im Interview mit dem Nachrichtenportal Tasnim bezeichnete der General das Telefongespräch zwischen Rouhani und US-Präsident Barak Obama als eine “falschen Strategie“, und verlangte, der Präsident müsse seinen „Fehler“ korrigieren und „wiedergutmachen“. Der Iran sei eine Weltmacht gleichen Ranges wie die USA, und „diese Tatsache“ müsse die US-Regierung anerkennen, betonte Jafari.
FF
Aus dem Persischen: Said Shabahang