Wie die Sanktionen den Alltag im Iran bestimmen

Im Streit um das iranische Atomprogramm nimmt der US-Senat Kurs auf eine weitere Verschärfung der Sanktionen gegen Teheran. Die Folgen der bisherigen Sanktionen sind schon jetzt spürbar: Etwa in dem System von zwei parallel existierenden Umtauschkursen für ausländische Währungen und täglich steigende Preise für Nahrungsmittel. Es wird vor Hungersnot gewarnt.
„Wenn es so weiter geht, herrscht hier in sechs Monaten eine Hungersnot.“ Als Assadollah Asgar Oladi am 13. Januar 2012 diesen spektakulären Satz in einem Interview mit der Nachrichtenagentur PANA aussprach, rätselten viele Fachleute, was er meinte. Denn Asgar Oladis Äußerungen über die iranische Wirtschaft muss man ernst nehmen. Der 76-Jährige gehört zu den reichsten Männern des Iran. Das US-Magazin Forbes schätzte 2003 seinen Reichtum auf 400 Millionen Dollar. „In der Rangliste der reichsten Leute des Iran bin ich aber nur der siebte!“, sagte er vor zwei Jahren dem Reporter von Djame Djam, dem Magazin des iranischen Fernsehens.
Man nennt ihn auch den Exportkönig. Seit Gründung der Islamischen Republik ist Asgar Oladi Präsident der iranisch-chinesischen Handelskammer und trotz des Handelsdefizit mit China wiederholt er oft den Satz: „Ich hasse Importe und liebe Exporte“.
Politisch wie wirtschaftlich ist Asgar Oladi ein Schwergewicht aus dem inneren Machtzirkel. Deshalb war man erstaunt, als er Mitte Januar über eine drohende Hungersnot sinnierte. Er sprach in dem Interview auch vom rapiden Zerfall der iranischen Währung, von einer Inflation, die in Wirklichkeit 40 Prozent beträgt – und nicht, wie offiziell behauptet, nur 18 – und von den Schwierigkeiten des Geldtransfers ins Ausland. Das alles sind Fakten, die mehr oder weniger bekannt sind – all das gehört zur alltäglichen „Normalität“, die jeder Iraner beim Einkauf erlebt. Täglich steigende Preise, ja, aber der Begriff „Hungersnot“ war für viele Beobachter schlicht übertrieben. Und den aus dem Munde eines nüchternen und geschäftstüchtigen alten Mannes zu hören, über dessen Treue zur islamischen Republik niemand zweifelt, überrascht. Von „Hungersnot“ sprach man im Iran nicht einmal während des achtjährigen Kriegs mit dem Irak.
Die Aussichten

FAO: "Der Iran wird im laufenden Jahr 8,2 Millionen Tonnen weniger Getreide produzieren".
FAO: "Der Iran wird im laufenden Jahr 8,2 Millionen Tonnen weniger Getreide produzieren".

Warum der Iran trotzdem in naher Zukunft wenn nicht mit einer Hungersnot, so doch mit einer ernsthaften Lebensmittelknappheit rechnen muss, zeigte zwei Wochen nach diesem Interview ein ausführlicher Bericht von BBC Persian über einen „Schiffsstau“ im persischen Golf. Zehn Schiffe beladen mit etwa 400 Tonnen Getreide warteten im Imam-Khomeini-Hafen auf das Löschen ihrer Ladung, so der britische Sender. Der Grund: Seitdem die USA und die Europäische Union Sanktionen gegen die iranische Zentralbank verhängt haben, sind keine Überweisungen aus dem Iran an Geschäftspartner im Ausland mehr möglich. Solange die ausländischen Lieferanten aber kein Geld von ihren iranischen Kunden bekämen, würden die Schiffe nicht ausgeladen, sagte ein Mitarbeiter der europäischen Getreidebörse der Nachrichtenagentur Reuters. Bei solchen Geschäften ist Barzahlung nicht möglich. Die Schiffe warten also auf sogenannte „Letters of Credit“ (LC). Doch wenn die Zentralbank des Landes unter Sanktionen steht, wird keine ausländische Bank einen LC für den Iran ausstellen.
Die Lage wird sich in den kommenden Monaten zuspitzen, denn der Iran  braucht laut internationalem Getreiderat jährlich 4,5 Millionen Tonnen Getreide. Eine solche Menge lässt sich ohne funktionierende Bankverbindungen nicht einführen. Seit Mitte Januar stauen sich die Getreideschiffe im Persischen Golf. Erst jetzt begreift man, warum der erfahrene alte Basari Asgar Oladi schon damals von einer drohenden Hungersnot sprach.
Die Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der Vereinten Nationen FAO geht davon aus, dass der Iran im kommenden Jahr 8,2 Millionen Tonnen weniger Getreide produzieren wird. Diese Prognose veröffentlichte die FAO allerdings vor der Verhängung der Sanktionen gegen die iranische Zentralbank. Nicht nur bei Getreide, sondern bei vielen anderen Lebensmitteln – unter anderem Fleisch – ist der Iran auf Importe angewiesen. Das iranische Jahr sei noch nicht zu Ende und der Iran habe schon 107.000 Tonnen Fleisch importiert, „obwohl wir für das ganze Jahr unter 100.000 bleiben wollten“, schreibt die Nachrichtenagentur ISNA.
Die Importabhängigkeit des Iran ist während Ahmadinedschads Präsidentschaft weiter gestiegen. Nach Angaben des iranischen Landwirtschaftsministeriums sind in den letzten sieben Monaten die Einfuhren von Reis um 23 Prozent und von Mais um 31 Prozent gestiegen, schrieb Ende Januar die Teheraner Zeitschrift Donjaye Sanaat („Die Welt der Industrie“). Wie dieser gestiegene Bedarf ohne reguläre Bankverbindung gedeckt werden kann, ist ungewiss.
Inzwischen haben auch Katar und die Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) angekündigt, keine LC für den Iran auszustellen. Dabei sind die VAE mit einem Warenaustausch von jährlich etwa 23 Milliarden Dollar der größte Handelspartner Teherans. Ohne LC sind auch normale Exporte aus dem Iran nicht möglich. Deshalb musste ein Schiff, beladen mit 300 Tonnen iranischem Obst, nach zwei Wochen Warten unverrichteter Dinge den saudischen Hafen Dammam verlassen, berichtete Ende Januar Reza Nourani, Chef des iranischen Bauernverbandes. Am vergangenen Wochenende bekamen fünf der Getreideschiffe im Imam-Khomeini-Hafen die Order, Kurs auf Katar oder Dubai und Singapur zu nehmen und dort ihre Ladungen zu löschen, berichteten Nachrichtenagenturen.
Rauswurf aus der SWIFT
Grundnahrungsmittel der Iraner ist Reis.
In den letzten sieben Monaten ist die Einfuhr von Reis um 23 Prozent gestiegen.

Inzwischen mehren sich Anzeichen für eine Verbannung des Iran aus dem SWIFT-System.
SWIFT ist die Abkürzung von Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication. Die Aufgabe dieses Verbandes von Geldinstituten ist es, den Nachrichtenaustausch für seine Mitgliedsbanken durch ein funktionierendes Telekommunikationsnetzes – das sogenanne SWIFT-Netz – zu ermöglichen. Er tätigt die Abwicklung des gesamten Finanzverkehrs von mehr als 8.000 Geldinstituten in der ganzen Welt.
Den Ausschluss Irans aus der SWIFT hatte der zuständige Senatsausschuss in Washington am Donnerstag beschlossen, am Freitag reagierte der belgische Finanzdienstleister SWIFT mehr oder weniger positiv. Man werde alle iranischen Finanzinstitute ausschließen, die sich nicht an die Vorschriften halten, sagte ein SWIfT-Sprecher der Nachrichtenagentur Reuters. Ein Rauswurf aus der SWIFT würde das Ende regulärer Wirtschaftsbeziehungen des Iran zur Außenwelt bedeuten.
Wie in den letzten Jahren Saddams?
Für Medikamente müsse man einen Ausweg suchen, denn parallel zum Dollarkurs seien in den vergangenen Wochen auch viele Medikamentenpreise gestiegen – in manchen Fällen um 100 Prozent, sagte am Freitag ein Apotheker aus Teheran dem Radiosender Farda. „Öl gegen Nahrungsmittel und Medikamente, das hat es schon einmal gegeben, in unserem Nachbarland Irak. Nun sind wir selbst daran“, schreibt ein Hörer auf der Webseite des Senders.