Sackgasse: Kollaps der iranischen Wirtschaft
Sinkende Ölpreise, Sanktionen und innenpolitischer Streit über den künftigen Kurs lähmen die iranische Wirtschaft. „Widerstandsökonomie“ oder Versöhnung mit dem Rest der Welt? Darüber streiten die Mächtigen im Iran.
Jeder iranische Freitagsprediger ergreift bei seiner wöchentlichen Predigt zweimal das Wort. Die erste Ansprache vor dem gemeinsamen Gebet mit den Gläubigen ist für himmlische Themen wie Gottesfurcht oder Moral reserviert. Mit seinem zweiten Kanzelwort nach dem Gebet verlässt der Prediger dann die spirituelle Sphäre. Inhalt und Sprache seiner Rede ändern sich völlig, denn in diesem Teil beschäftigt er sich ausschließlich mit profanen Dingen – wie etwa der Innen- , Außen- oder Wirtschaftspolitik.
Welches Thema in diesem Teil der Rede angesprochen werden soll, wird wöchentlich vom „Stab der Freitagsprediger“ in Teheran bestimmt. Wie und mit welchen Koranzitaten jeder Prediger seine Ansprache ausschmückt, ist seinen jeweiligen rhetorischen Fähigkeiten überlassen: nur die Richtung, die Linie muss stimmen. Der Teheraner Freitagsprediger ist dabei eine Art „primus inter pares“: Nur seine Rede wird in voller Länge landesweit vom staatlichen Fernsehen übertragen. Und spätestens damit weiß jeder im Land, worüber sich die Herrschenden gerade den Kopf zerbrechen.
90 Jahre alt und trotzdem furchterregend
Am vergangenen Freitag befassten sich die Prediger landesweit mit der schwierigen Wirtschaftslage des Iran und forderten die Menschen zu Bescheidenheit und Sparsamkeit auf. Denn parallel zum rapiden Preisverfall des Erdöls hat sich die ökonomische Situation im Land in den vergangenen Wochen so dramatisch verschlechtert, dass man die Misere nicht mehr verschweigen kann und darf.
„Vielleicht müssen wir Iraner künftig nur einmal am Tag essen. Das ist Teil des Widerstands.“ Kaum hatte der Teheraner Freitagsprediger Ayatollah Jannati am vergangenen Freitag diesen Leitgedanken auf dem Campus der Universität der Hauptstadt ausgesprochen, griffen alle Webseiten und Agenturen, gleich welcher politischen Richtung, seine Sätze auf – denn sie liefern eine düstere und durchaus wahrscheinliche Perspektive aus berufenem Munde.
Der fast 90-jährige Jannati, immer noch quicklebendig, mächtig und furchterregend, gehört zum innersten Zirkel der Macht im Iran. Seine Webseite zählt Dutzende Posten und Gremien auf, die er innehat oder -hatte und führt. Das wichtigste und mächtigste seiner Ämter ist der Vorsitz des zwölfköpfigen Wächterrats, jenes Gremiums, das nicht nur die Parlamentsgesetze, sondern auch die Eignung aller Kandidaten vor jeder Wahl prüft. Vom Votum des Rats waren und sind also Präsidenten und Parlamentarier ebenso abhängig wie Bürgermeister in den entlegensten Ecken des Iran.
Jannati leitete in den ersten Monaten der Islamischen Revolution in verschiedenen iranischen Provinzen Revolutionstribunale. Aus dieser Zeit stammen Geschichten und Gerüchte über seine selbstlose Entschiedenheit oder – wie seine Gegner sagen – grenzenlose Grausamkeit. Auch jene fast unglaubliche Geschichte, die Jannati jedoch selbst mehrmals bestätigt hat: Nachdem sein konterrevolutionärer Sohn samt Ehefrau gefasst und hingerichtet wurde, habe er vierzig Tage lang gefastet – als Zeichen des Dankes.
Konzepte für Katastrophe
Wenn ein mächtiger Greis mit einer solchen Biographie ein ganzes Volk zur Aufopferung auffordert, lässt sich erahnen, an welchem Abgrund die iranische Wirtschaft steht – und welche Lösungen den Mächtigen für dessen Überwindung vorschweben. Der Appell zur Enthaltsamkeit ist keineswegs reine Propaganda oder nur ein Kanzelwort, das wie viele andere bald in Vergessenheit geraten wird. Er ist Teil eines Konzepts, das „Widerstandsökonomie“ genannt wird: ein Konzept, für das der iranische Revolutionsführer Ali Khamenei unablässig wirbt. Es ist sein Gegenentwurf zur Politik des moderaten Präsidenten Hassan Rouhani. Man solle nicht auf das Ende des Atomkonflikts und die mögliche Aufhebung der internationalen Sanktionen hoffen, so Khameneis These. Diese Sanktionen würden noch lange bestehen. Der Westen werde sich mit ihrer Aufhebung Zeit lassen, bis der Iran völlig in die Knie gegangen sei. Der Schlüssel zur Lösung der Schwierigkeiten liege daher nicht im Ausland, sondern in der Mobilisierung aller Kräfte im Inneren. „Hoffen auf den Westen ist eine Reise nach Nirgendwo“ – dieser Satz steht seit vergangener Woche in großen Lettern auf Khameneis Webseite.
Des Professors Buch für die Entscheider
Für eine „Widerstandsökonomie“ brauche man aber das Vertrauen des Volkes, sagte dazu Präsident Rouhani Anfang Januar auf einer Konferenz zur Bekämpfung der Korruption. Und ohne Transparenz gebe es eben kein Vertrauen.
„Widerstandsökonomie“ oder Aussöhnung mit dem Westen: Darüber streiten im Iran mächtige Interessengruppen sehr ernsthaft. Letztlich geht es dabei um die Aufhebung der Sanktionen und die Hoffnung auf ein Ende der iranischen Schattenwirtschaft. Je länger die Sanktionen andauerten, umso mächtiger werde die Untergrundwirtschaft, heißt es im jüngsten Bericht der Teheraner Handelskammer. Momentan bilde sie 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Schmuggel und Korruption sind die Folgen. Nach dem Index of Economic Freedom liegt der Iran unter 157 Länder auf Rang 151, danach kommen Länder wie Zimbabwe, Nordkorea oder Libyen.
„Unsere Wirtschaft ist in einer Sackgasse, aus der niemand einen Ausweg kennt“, sagt der bekannte Ökonom und Universitätsprofessor Mohsen Renani in seinem Buch „Politische Ökonomie und Kosten des Atomkonflikts“, das jüngst erschienen ist. Geschrieben habe er das Buch bereits vor neun Jahren, sagte der 50-Jährige kürzlich in einem Interview mit der Webseite „Iran Emrooz“. Absichtlich habe er damals nur fünfzig Exemplare vervielfältigt und sie jenen fünfzig Personen geschickt, die über das Schicksal des Landes entscheiden. Denn mit dem Buch wolle er weder Geld noch Ruhm, so Renani: Ihm sei es um die Zukunft des Landes gegangen. Er habe die heutige Misere kommen sehen, doch zu der Zeit regierte noch Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Niemand habe sich für seine Studie interessiert, denn Geld war noch ausreichend da: Der Ölpreis lag bei 110 US-Dollar pro Barrel. Trotzdem habe man als Ökonom schon damals ausrechnen können, in welche ausweglose Situation sich der Iran durch die Sanktionen manövrieren werde, so der Professor. Sein Buch habe er nun, wo der Ölpreis bei 40 Dollar pro Fass liege, aktualisiert, um die Tiefe der Katastrophe zu verdeutlichen. Die Grundaussage habe sich nicht geändert, nur der Niedergang sei beschleunigt worden.
Staatseinnahmen halbiert
Auch Hassan Rouhani, damals Chef des Nationalen Sicherheitsrates, habe das Buch bekommen, sagt der Professor, und fügt hinzu: „Hoffentlich nützt es ihm.“ Bei Rouhanis Amtsantritt vor 16 Monaten lag der Ölpreis bei 120 Dollar. Trotzdem hat Rouhani seinen aktuellen Staatshaushalt auf der Basis von nur 70 Dollar pro Fass kalkuliert. Doch auch diese Vorsichtsmaßnahme ist mittlerweile überholt. Und die Ölpreise würden noch weiter sinken, selbst unter die 30-Dollar-Marke, prophezeit Renani – vorausgesetzt, es gebe keine weltbewegende Katastrophe.
Den Mittelstand gebe es im Iran längst nicht mehr, der Staat – existentiell vom Ölpreis abhängig – kontrolliere 80 Prozent der Wirtschaft – und dieser Staat sei gelähmt, denn seine Einnahmen reichten nicht einmal aus, um die Gehälter der Beamten, Subventionen für Nahrungsmittel und andere tägliche Ausgaben zu bezahlen. Und angesichts von 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, der Schattenwirtschaft, der Kriege um den Iran herum und der steigenden Militärausgaben sei die Zukunftsperspektive beängstigend, so Renani.
Im US-Kongress gibt es derzeit Überlegungen, noch schärfere Sanktionen gegen den Iran zu verhängen. Aus dem internationalen Bankensystem SWIFT ist das Land seit zwei Jahren ausgeschlossen, ein normaler Devisenverkehr zwischen dem Iran und dem Rest der Welt existiert nicht. Die Hauptabnehmer des iranischen Öls – etwa eine Million Barrel täglich – sind China, Indien und die Türkei, und diese Länder bieten als Gegenleistung nur Konsumwaren, keine Devisen. Darin liege auch der Grund für den Niedergang des iranischen Mittelstandes, sagt Professor Renani: Deshalb habe er sein Buch „Politische Ökonomie und Kosten des Atomkonflikts“ genannt.
ALI SADRZADEH