Picassos Kinder und die Zensur im Iran
Wenn Zensur, dann in klar definierten Grenzen, verlangen iranische Verlage und Autoren vom neuen Präsidenten des Landes. In den vergangenen acht Jahren hat die iranische Literatur einen beispiellosen Rückschlag erlebt. Nun hoffen Autoren und Verleger auf entspanntere Zeiten.
„Zur Vernichtung einer Kultur bedarf es keiner Bücherverbrennung. Es reicht aus, dafür zu sorgen, dass keiner ein Buch liest.“ Mit diesem Satz beginnt der populäre iranische Dichter Yaghma Golrui einen offenen Brief an den neuen Präsidenten des Iran, Hassan Rouhani. Angesichts der verheerenden Zensur in den letzten Jahren fragt Golrui den Staatschef: „Meine Seele ist müde, können Sie sie erfrischen?“
Mit seiner Resignation ist Golrui im Iran nicht allein, wie aus einer Umfrage des Nachrichtenportals Doshanbe hervorgeht. Befragt wurden iranische Schriftstellerinnen und Schriftsteller nach der Zensur und deren Einfluss auf ihr Werk. Viele schwiegen, einige wenige gaben an, in der Zensur sogar Inspiration zu finden. Andere verglichen die Situation bildhaft mit einer „Gefangenschaft mit gefesselten Händen und zugebundenen Mündern“.
Der Erzähler und Literaturübersetzer Shahriar Waghfipour sagt über seine Erfahrung mit der Zensurbehörde: „Drei meiner eigenen Romane sowie drei meiner Roman-Übersetzungen sind durch die Zensur gefallen. Vier meiner Bücher wurde nach der Zulassung die Genehmigung entzogen; von meinen rund dreißig veröffentlichten Werken blieben nur drei von der Schere der Zensur verschont.“
„In den vergangenen acht Jahren habe ich dem Propagandaministerium vier Bücher vorgelegt“, so der Erzähler Hamed Esmailion. „Eines davon fiel durch, die übrigen drei sind mit Streichungen davon gekommen. Bei einem Buch musste ich sogar eine Figur ganz herausnehmen.“
Picassos uneheliche Kinder
Wonach richtet sich die Empfindlichkeit der Zensurbehörde? Der Schriftsteller Mehdi Rezai, der bis heute nur ein Buch veröffentlichen durfte, sagt dazu: “Früher waren die Beamten des Kulturministeriums mit politischen und religiösen Fragen beschäftigt. Heute kümmern sie sich auch um die sozialen und familiären Aspekte einer Erzählung.“ Und die bekannte und erfahrene Übersetzerin Lili Golestan berichtet: „Bei einem Buch über das Leben mit Picasso bemängelte der Zensurbeamte die Lebensgemeinschaft Picassos mit Francoise Gilot und die Erwähnung der beiden Kindern des Paares. Der Grund: Das seien doch uneheliche Kinder!“ Was wie eine Anekdote klingt, ist im Iran an der Tagesordnung.
„Geregelte“ Zensur
Viele iranische Autorinnen und Autoren ebenso wie Verleger würden sich mit der Zensur abfinden, wenn sie gesetzlich geregelt wäre. Sie verlangen ein Ende der herrschenden Beamtenwillkür. Irans bekannter Dichter und Literaturkritiker Mohammad Ali Sepanlu sagt in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ILNA: „Unsere Mindestforderung an Präsident Rouhani und seinen Propagandaminister ist, die in den vergangenen acht Jahren herbeigeführte Kunst- und Kulturmisere wieder gutzumachen.“
Zum Thema Zensur veröffentlichte auch die Tageszeitung Bahar vergangene Woche eine Reihe Interviews mit Verlegern. „Ich erwarte keine grundlegende Veränderung, sondern klare Richtlinien“, erklärte dort etwa Manuchehr Hassanzade, Geschäftsführer des Morwarid-Verlags. Auch Mohammad Washui, Chef des Mahi-Verlags, bemängelte gegenüber der Zeitung die fehlenden „klaren Bestimmungen der Zensur“. Amir Hosseinzadegan, Geschäftsführer des Verlags Ghoghnus, sagte der Tageszeitung: “Die wichtigste Forderung der Verleger an die neue Regierung ist, dass die Verantwortlichen die Gesetze einhalten.“ Der Verleger wünscht sich zurück in die Situation unter dem reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami, in der zwar Zensur ausgeübt, der Bücherbetrieb aber damit nicht in den Ruin geführt worden sei.
Hilferuf
In einem gemeinsamen Brief an den neuen iranischen Präsidenten beklagen zahlreiche Verleger auch ihre schlechte Finanzlage. Das Schreiben wurde von der staatlichen Nachrichtenagentur ILNA vergangenen Mittwoch veröffentlicht. Dem zufolge steht „das Buchgeschäft wegen zu niedriger Auflagen und des schlechten Vertriebssystems an der Grenze zur Insolvenz“. Die Verleger bitten die Regierung, den Verlagen mit vorausschauender Planung, finanziellen Erleichterungen und Förderung des gerechten Wettbewerbs zu helfen.
FP