Iran zwischen Ukraine-Krise und ISIS-Vormarsch

Seit den spektakulären Eroberungserfolgen der islamistischen ISIS im Irak wird im Westen ernsthaft über eine Annäherung zwischen dem Iran und den USA diskutiert. Doch die Außenpolitik der Islamischen Republik bewege sich längst in einem starren Rahmen, festgelegt vom mächtigsten Mann des Landes, schreibt der Iran- und Nahostexperte Ali Sadrzadeh in einem Gastbeitrag für TFI. Entscheidend sei dabei die Treue zu Russland, die nicht infrage gestellt werden dürfe.

Es ist von einer „historischen Wende“ die Rede und dabei sind sich sogar Kommentatoren aller politischen Ausrichtungen einig: die schwer bewaffneten Truppen der ISIS, der islamistischen Armee „Islamischer Staat in Irak und Syrien“, machten das Unmögliche möglich. Die Erzfeinde Iran und USA würden bald eine Kooperation militärischer und geheimdienstlicher Art anstreben müssen, wenn sie den gemeinsamen Feind erfolgreich besiegen wollten. So oder so ähnlich lesen sich in den vergangenen Tagen viele Kommentare in den westlichen Medien.
Und in der Tat sprachen am Rande der Atomverhandlung in Wien am vergangnene Montag hochrangige Diplomaten aus beiden Ländern offiziell und in Anwesenheit der EU- Außenbeauftragten Catherine Ashton offen über den Irak und ISIS. Am Dienstag leistete London dazu symbolisch eine wichtige Beihilfe, indem es bekannt gab, dass die seit zweieinhalb Jahren geschlossene britische Botschaft in Teheran wieder eröffnet werde. Das Ende einer für alle Beteiligten teuren Feindschaft scheine damit greifbar, hofft die Mehrheit der IranerInnen – und mit ihnen auch viele der westlichen Kommentatoren.
Doch mehr als eine Hoffnung scheint das nicht zu sein – jedenfalls momentan nicht. Am Sonntag hat das Staatsoberhaupt Khamenei noch einmal seine Abneigung gegen die „amerikanische Einmischung im Irak“ bekräftigt und ein kurzer Blick in iranische Medien offenbart, dass es eher um Wunschdenken als um greifbare Realität geht. Die Tageszeitung Iran etwa, das Organ der Rouhani-Regierung, lobt zwar den neuen Pragmatismus Amerikas beim Kampf gegen Terrorismus. Die Zeitung erinnert allerdings zugleich an schlechte Erfahrungen bei diesbezüglichen Kooperationen mit Amerika „wie einst in Afghanistan“. Damals half der Iran 2001 George W. Bush bei seiner Invasion in Afghanistan, um wenige Monate später von den USA neben Saddam Hussein und Nordkorea selbst auf die „Achse der Bösen“ gehievt zu werden.

Irans Staatsoberhaupt Khamenei der Sieg der ISIS-Truppen im Irak (Foto) sei ein Machwerk der USA und ihrer westlichen Verbündeten
Irans Staatsoberhaupt Khamenei  glaubt, der Sieg der ISIS-Truppen im Irak (Foto) sei ein Machwerk der USA und ihrer westlichen Verbündeten

Andere reformorientierte Zeitungen schlagen einen ähnlichen Ton an. In einer wohldosierten Mischung aus Hoffen und Warnen kommentieren sie die „historische Wende“. Und damit dabei das Hoffen nicht überhand nimmt, sorgt der Generalsekretär des nationalen Sicherheitsrats des Iran, General Ali Shamkhani, für mehr Warnen: Eine mögliche Kooperation mit Amerika sei momentan nicht mehr als eine von den westlichen Medien ins Spiel gebrachte Finte – und alle, die von Hoffnung redeten, sollten auf der Hut sein, damit die Maßstäbe nicht verrückt würden, sagte der Ex-Verteidigungsminister, der im iranischen Machtgefüge eigentlich zu den Gemäßigten gehört, also als Rouhanis Mann gilt.
Die Warnungen der Hardliner
Eindeutiger melden sich die prinzipientreuen Zeitungen und Webseiten zu Wort – allen voran die Tageszeitung Kayhan, deren Herausgeber Hossein Schariatmadari vom Khamenei selbst ernannt wurde. Schariatmadari besitzt eine klare und radikale Sprache, die der Spiegel einmal mit Beton verglich. Seine Kommentare sind oft gespickt mit Hintergrundinformationen und gelten gemeinhin als die wahre und eigentliche Meinung Khameneis. Schariatmadari sitzt bei fast jeder öffentlichen Audienz Khameneis in der ersten Reihe. Er hat für den mächtigsten Mann des Landes die Bezeichnung „Herr“ eingeführt, die inzwischen von allen prinzipientreuen Medien und Freitagspredigern benutzt wird. Das Wort „Herr“ assoziiert im Persischen Vater, Imam, Feudalherr und Besitzer uneingeschränkter Souveränität. In Schariatmadaris Verständnis allerdings ist Khamenei der Imam, angelehnt an Ali, den ersten Imam der Schiiten.
„Der Herr weiß, dass es keine Finte ist, dass es tatsächlich Pläne gibt, die Koordinaten der iranischen Außenpolitik zu erschüttern, und leider gibt es bei uns Leute, die bewusst oder unbewusst als fünfte Kolonne fungieren und in diese Falle tappen. Der Herr wird es aber nicht zulassen, denn Außenpolitik obliegt bekanntlich gemäß der Verfassung ihm allein“, schrieb Schariatmadari am Dienstag vergangener Woche in einem Kommentar. Einen Tag später ersetzte Khamenei fast alle als moderat geltenden Mitglieder der Strategiekommission für Außenpolitik durch Radikale wie den früheren Atomunterhändler Said Djalili und den Kommandanten der Revolutionsgarde.
Mehr Russlandverliebter als Putinversteher
Khamenei hat eine genaue Vorstellung der iranischen Außenpolitik und des Platzes der Islamischen Republik Iran zwischen den Mächten dieser Welt – und der ist unverrückbar an der Seite Russlands. Er kann sich zwar punktuelle Zusammenarbeit mit Amerika, Europa, Indien, China und jeder anderen Macht vorstellen – was er in seiner 25-jährigen Herrschaft auch oft bewiesen hat -, doch die Beziehung zum mächtigen Nachbar im Norden ist für ihn von anderer Natur. Sie ist eine strategische, längerfristige und offenbar auch eine Herzensangelegenheit.
Dass sich Khamenei dem russischen Volk innerlich verbunden fühlt, dafür gibt es zahlreiche Episoden und Beispiele, etwa eine sehr bemerkenswerte Szene aus den gerade veröffentlichten Memoiren von Ali Akbar Nategh Nuri, dem langjährigen Parlamentspräsidenten. Nuri, derzeit Chef des Überwachungsbüros Khameneis, erzählt dort von einer Reise des russischen Parlamentspräsidenten in den Iran: „Eines Tages haben wir für ihn einen Besuch beim Führer (gemeint ist Khamenei, die Red.) organisiert. Bei dieser Audienz war der Parlamentspräsident verblüfft, als er sah, wie der Führer Russland verehrt und wie informiert er über das Land und seine Literatur ist. ‚Ihr könnt Eure vergangene Stärke wieder zurückgewinnen, ihr seid mutige, stolze und kräftige Leute, Eure Rasse und Eure Generation zeigt, dass Ihr wiederkommen werdet, ihr seid Slawen‘, sagte der Herr und fügte hinzu, dass er über Napoleons Angriff auf Russland zwei Bücher gelesen habe, eins von einem französischen und eins von einem russischen Autor. Der Franzose spreche immer von Zerstörung, Verbrennung und Eroberung, während der russische Autor von Heroismus, Abwehr und Widerstand erzähle: ‚So seid Ihr Russen!’“, schildert Nuri die Besuchsszene, um zu beschreiben, wie Khamenei über den nördlichen Nachbarn denkt.
Putin denkt an Jesus
Russlands Präsident Putin soll in Khamenei Jesus gesehen haben (Foto: Treffen beider Politiker 2007)
Russlands Präsident Putin soll in Khamenei Jesus gesehen haben (Foto: Treffen beider Politiker 2007)

Diese Verehrung und Bewunderung ist keineswegs einseitig, sondern beruht auf Gegenseitigkeit. Khamenei nahestehende Webseiten berichten über einen Besuch Putins bei Khamenei 2007, bei dem der Atheist Unglaubliches gesagt haben soll. Etwa yahojjatollah.blogsky.com/1389/12/14: Putin sei von der Persönlichkeit und Ausstrahlung Khameneis so überwältigt gewesen, dass er nach der Audienz einem Journalisten habe: „Ich kenne Jesus nicht, aber nach all dem, was ich in der Bibel gelesen habe, sah ich in Khameneis Gesicht die Aura von Jesus Christus.“
Solche maßlosen Übertreibungen, die zwischen Teheran und Moskau hin und hergehen, haben offenbar nur eine Funktion: Die besondere Beziehung – manche Kritiker sagen: die völlige Abhängigkeit – des Gottesstaates von dem mächtigen Nachbarn im Norden zu rechtfertigen.
Standort in der Ukraine-Krise
Viele im Iran sehen Khamenei daher in der Tradition der Russophilen, also jenes Typs persischer Politiker, die stets innen- wie außenpolitisch fest an der Seite Russlands stehen. Dafür hat er selbst immer wieder Belege geliefert: Auf dem Höhepunkt der Ukraine-Krise etwa hielt Khamenei Anfang Juni am Grab des Republikgründers Ayatollah Ruhollah Khomeini eine programmatische Rede, von der die russische Agentur Ria Novosti enthusiastisch berichtete. Khamenei geißelte darin die Politik der EU, mit der die Europäer sich selbst in Gefahr brächten, indem sie die USA als ihren Verbündeten betrachten. Die Ausführlichkeit, die die Agentur dieser Meldung widmete, ist bemerkenswert. Wörtlich schrieb sie: „Zwar haben die Länder Europas derzeit gemeinsame Interessen mit den USA, doch sie sollten sich auf den Tag gefasst machen, wo Amerika ihnen in den Rücken fallen wird. Europa beging einen strategischen Fehler, indem es die USA als Verbündeten akzeptierte und begann, in ihrem Interesse zu handeln.“
Nicht nur verbal, sondern auch in der Praxis hat Khamenei längst den Rahmen der Beziehungen zu Russland abgesteckt, den alle iranischen Regierungschefs zu beachten und zu pflegen haben, mögen sie Reformer wie Khatami, Radikale wie Ahmadinedschad oder Gemäßigte wie Rouhani sein. Daher ist selbstverständlich, dass der neue Verteidigungsminister Hossein Dehghan nach seiner Ernennung zuerst Russland besuchte. Dehghan ist seit Beginn der Revolution ausschließlich mit Militärpolitik beschäftigt, er gehört zu den Architekten der gemeinsamen Militärprojekte mit Russland und der Bewaffnung der iranischen Armee mit russischen Waffen. Dehghan trägt einen Doktortitel für Management und lehrt nebenbei an Militärakademien der Revolutionsgarden. Über seine Reise nach Moskau mitten in der Ukraine-Krise berichteten alle russischen Medien wohlwollend, ja triumphierend. Ria Novosti leitete ihren Bericht mit folgenden Sätzen ein:
„Angesichts der politischen Situation in der Welt wollen Russland und der Iran ihre militärische und militärtechnische Zusammenarbeit auf ein neues Niveau bringen. Darauf einigten sich die Verteidigungsminister beider Staaten, Sergej Schoigu und Hossein Dehghan. ‚Es handelt sich um ein grundsätzlich neues Niveau‘, sagte Dehghan nach den Gesprächen. Die beiden Minister verurteilten die Politik der Vereinigten Staaten von Amerika (USA).“ Dann zählt die Agentur auf, welche weiteren Rüstungsgüter der Iran zu kaufen beabsichtigt, welche gemeinsamen Militärprojekte geplant sind und weckt schließlich die Hoffnung, „angesichts der Verschlechterung der Beziehungen mit dem Westen könnten die ausgesetzten Lieferungen von S-300-Raketenabwehrsystemen an den Iran wieder aufgenommen werden.“ Der Iran hatte diese Raketen im Wert von 800 Millionen US-Dollar 2007 in Russland bestellt, doch 2010 wurde die Lieferung gestoppt. Begründet wurde das mit den Sanktionen des UN-Sicherheitsrats, die jegliche Lieferung moderner Waffen an den Iran untersagen.
Iran als russische Goldgrube
Irans Staatsoberhaupt Khamenei steht auf der Seite Russlands (Foto: Eine Demonstration in Kiew - www.presstv.ir)
Khamenei steht in der Ukraine-Krise auf der Seite Russlands (Foto: Eine Demonstration in Kiew – www.presstv.ir)

Seitdem streiten Teheran und Moskau zwar über den Vertrag zur S-300-Lieferung, doch Russland bleibt trotzdem der wichtigste, weil fast einzige Waffenlieferant des Iran. Für wie viele Milliarden Dollar der Gottesstaat dort jährlich tatsächlich einkauft, ist nicht bekannt, denn Militärausgaben gehören zu den Geheimnissen ersten Ranges im Iran.
Für die russischen Waffenverkäufer sei der Iran genau so eine Goldgrube wie für Geschäfte in den Bereichen Energie, Landwirtschaft und Industrie, schreibt aber etwa der Journalist und Islamgelehrte Emad Baghi. Und es gebe leider auch mächtige Kreise im Land, die diese Goldgrube für Russland bewahren wollten. Baghi bezieht sich damit auf einen Leitartikel der Tageszeitung Kayhan, in dem der iranische Energieminister Hamid Chit Chian mit einem Verräter verglichen wurde, der der Armee des Islam mit einem Dolch in den Rücken falle. Denn der Minister hatte zu sagen gewagt, solle Russland wegen der Ukraine-Krise als europäischer Gaslieferant ausfallen, könne man darüber nachdenken, ob der Iran Russland nicht ersetzen solle. Seitdem die einflussreiche Zeitung den Minister zurechtwies, ist er stumm.
18 Monate Haft für die Wahrheit über Atompolitik
Wie ergiebig diese Goldgrube für Russland ist, beschrieb auch der Politologe Sadegh Ziba-Kalam am Beispiel des Atomkraftwerks Bushehr. Alles in allem habe dieser Atommeiler etwa 170 Milliarden Dollar gekostet, wirtschaftliche Kosten der UN-Sanktionen und der politischen Isolation nicht eingerechnet, schrieb der Professor anlässlich der Einigung bei den Atomgesprächen in Genf. Dabei werde der Meiler irgendwann wenn überhaupt nur zwei Prozent des iranischen Stromverbrauchs liefern – und das in einem Land, in dem der Energieverlust wegen maroder Leitungen bei fünfzehn Prozent liegt. Sollte jemand im Iran glauben, das lohne sich trotzdem, denn die atomare Zusammenarbeit mit Russland könne anderen Zwecken dienen, sollte er nicht vergessen, dass Russland allen UN-Resolutionen und Sanktionen gegen den Iran zugestimmt habe, denn auch Russland dulde keine Atommacht an seiner südlichen Grenze, so Professor Ziba-Kalam. Am Donnerstag wurde er wegen genau dieser Aussagen zu achtzehn Monaten Haft verurteilt.
ALI SADRZADEH