„Eine Einigung im Atomkonflikt ist in Israels Sinne“

Der iranische Atomkonflikt könnte bald Geschichte sein. Wie realistisch ist die Vorstellung, dass die Islamische Republik  im Falle einer Einigung bei den Atomverhandlungen zum Verbündeten der westlichen Welt wird? Wäre eine Zusammenarbeit zwischen dem Iran und dem Westen nicht gegen die Interessen Russlands und Israels? Werden die Menschenrechte wirtschaftlichen Interessen zum Opfer fallen? Ein Gespräch mit dem Grünen-Politiker und Bundestagsabgeordneten Omid Nouripour.
Experten sind sich einig: Ob der Iran seine marode Wirtschaft sanieren, seine Erdölindustrie, Haupteinnahmequelle des Landes, modernisieren, und irgendwann sogar seinem Nachbarn Russland die Gewinne auf dem europäischen Energiemarkt streitig machen kann – ob das islamische Land also zu einer Großmacht in der Region aufsteigen wird, hängt vom Ergebnis der Atomverhandlungen ab. Die laufen derzeit in kleinen Kreisen auf Hochtouren. Beide Seiten, der Iran und die sogenannte 5+1 Gruppe aus den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates und Deutschland, hegen die Hoffnung, dass es bei der nächsten großen Verhandlungsrunde am 24. November – die eventuell in New York stattfinden soll – zu einer Einigung kommt und damit der Atomkonflikt gelöst wird.
Einig sind sich die Experten zudem auch darüber, dass der Zerfall von Staaten oder die Auflösung territorialer Souveränität, insbesondere im Irak, die gesamte Region in ein noch größeres Chaos als bisher führen würde. Um das zu verhindern, brauche die Weltgemeinschaft „stabilisierende Kräfte, die koordinierte Maßnahmen zur Eindämmung religiös motivierter Gewalt unterstützen“, schreibt Ana de Palacio in einem Artikel für Project Syndicate. Die ehemalige Außenministerin Spaniens und Vizepräsidentin der Weltbank hat im Juni an der Zusammenkunft des Bergedorfer Gesprächskreises in Teheran teilgenommen. Auf der von der Körberstiftung in Zusammenarbeit mit dem iranischen Think Tank Institute for Political and International Studies organisierten Sitzung diskutierten 30 PolitikerInnen sowie hochrangige Regierungsvertreter und ExpertInnen aus Europa, den USA und dem Iran über die Möglichkeiten künftiger Zusammenarbeit  – „wobei man wichtige Erkenntnisse gewann, die für zukünftige politische Entscheidungen herangezogen werden sollten“, so de Palacio.
Einer der deutschen Teilnehmer war Omid Nouripour. Mit dem 1975 in Teheran geborenen Grünen-Politiker und Bundestagsabgeordneten sprach TfI über das Treffen in Teheran, über die Möglichkeiten künftiger Kooperationen mit dem Iran, über Menschenrechtsverletzungen und darüber, ob der Westen der Islamischen Republik bei der Lösung regionaler Konflikte vertrauen kann.
TfI: Herr Nouripour, war das Treffen in Teheran eine einmalige Initiative der Körberstiftung oder ging es aus anderen Aktivitäten hervor?
Omid Nouripour: Es war ein einmaliges Treffen. Ich war an den Vorbereitungen nicht beteiligt. Ich wurde gefragt und nach reichlicher Überlegung sagte ich zu.
Gibt es ähnliche Treffen, die sich mit Kooperationsmöglichkeiten mit der Islamischen Republik beschäftigen?

Foto: irinn.ir
Beide Seiten setzten auf Verhandlung und sind optimistisch – Foto: irinn.ir

Nicht dass ich wüsste. Wenn es Kontakte zum Iran gab, wurden sie nach der gefälschten Wahl von 2009 unterbrochen. Der Dialog war damit praktisch zu Ende gegangen. Nun gibt es einen anderen Präsidenten, und jetzt gilt es, ihm auf den Zahn zu fühlen. Das war auch einer der Gründe, warum ich hin gefahren bin.
Das heißt, die Beziehungen werden wieder normalisiert?
Momentan gibt es keinen Anlass für Normalisierung. Wir haben die harten Zeiten der Atomverhandlungen. Und die Menschenrechtssituation im Iran ist nicht so, dass man sich Rouhani an den Hals werfen möchte.
Rechnen Sie mit einer baldigen Normalisierung?
Es ist ganz sicher, dass es keine Normalisierung mit dem Iran geben kann, nur weil die Atomfrage geklärt ist – falls sie geklärt wird. Es gibt zwei andere Elefanten im Raum: die Menschenrechtssituation und die Frage der Anerkennung des Existenzrechts von Israel.
Im Bericht der Körber Stiftung heißt es über die Sitzung in Teheran: „In Syrien und Irak gibt es erhebliche Interessendivergenzen zwischen dem Iran und dem Westen.“ Ist es sinnvoll, trotzdem auf eine effektive Zusammenarbeit mit dem Iran zu hoffen?
Wenn die Elefanten verschwinden, dann gibt es natürlich Hoffnung, dass man für gemeinsame Interessen zusammenkommt. Eine Normalisierung bedeutet nicht, dass man in allem übereinstimmt, sondern dass man gemeinsame Interessen findet und dabei zusammen arbeitet.
In welchen Bereichen könnte man gemeinsame Interessen finden?
Da ist zum Beispiel die Situation im Irak und in Afghanistan und die Frage der Bekämpfung von Drogenschmuggel. Und es gibt riesige Potenziale auch in anderen Bereichen, zum Beispiel der Wirtschaft. Da gibt es viel, was man gemeinsam tun könnte.
Der Iran wird beschuldigt, die regionalen Konflikte geschürt, wenn nicht ausgelöst zu haben. Anderseits betrachten die westlichen Länder die Islamische Republik als ein stabiles System und hoffen, mit ihrer Hilfe die eskalierende Gewalt einzudämmen. Wie realistisch ist diese Hoffnung?
Die Atomanlage Natans - Jahre lang ein Streitpunkt zwischen dem Iran und dem Westen
Die Atomanlage Natans – Jahre lang ein Streitpunkt zwischen dem Iran und dem Westen

Es gibt in Saudi-Arabien die Obsession, dass alles, was schief läuft, der Iran verantwortet. Und ein Stück weit gibt es diese Obsession auch andersherum. Viele Iraner erzählen mir, dass sie glauben, hinter der IS (die Gruppe Islamischer Staat, TFI) stehe Saudi-Arabien. Das halte ich für ein Gerücht und es ist auch nicht plausibel. Dieses sich gegenseitige Hochschaukeln ist natürlich ein Hindernis dabei, dass der Iran und Saudi-Arabien zusammenkommen. Und die Saudis machen starke Lobbyarbeit gegen die Normalisierung der Beziehungen zum Iran. Doch das kann nicht im Interesse des Westens sein.
Gibt es konkrete Anreize seitens des Westens, den Iran zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zu motivieren?
Es gibt ein Paket von Anreizen und Druck, das seit Jahren auf dem Tisch ist. Hoffentlich gelingt jetzt endlich der Durchbruch.
Wenn das Paket bisher nicht gewirkt hat, warum sollte es jetzt anders werden?
Weil es andere Zeichen aus dem Iran gibt – zum Beispiel eine andere Rhetorik des neuen Präsidenten, was regionale Fragen und Israel betrifft. Mit Mohammad Javad Sarif gibt es außerdem einen Diplomaten an der Spitze der Atomverhandler, der den Eindruck macht, dass er wirklich einen Deal will. Das war von 2005 bis 2013 nicht der Fall. Das sieht man auch jetzt noch an den Reaktionen von Ahmadinedschad und seinem Umfeld, die jeden Fortschritt bei den Atomverhandlungen als Ausverkauf der nationalen Interessen des Iran bezeichnen.
Wird die Außenpolitik des Iran nicht vom religiösen Führer Ayatollah Ali Khamenei bestimmt?
Diejenigen, die in Genf verhandeln, behaupten zumindest, dass sie Prokura haben. Man muss ihnen die Chance geben, das zu beweisen.
Viele Experten gehen davon aus, dass im Falle einer Einigung im Atomstreit der Iran zur Führungsmacht im Nahen Osten werden könnte. Glauben Sie, dass Israel und Saudi-Arabien das ohne weiteres hinnehmen würden?
Ich glaube, dass in grundsätzlichen Diskussionen notwendig ist zu klären, wer ein strategisch besserer Partner für den Westen sein kann: der Iran mit den vielen gemeinsamen Interessen, die es gibt – auch wenn sie immer wieder von der Realität und den Hardlinern torpediert werden -, oder Saudi-Arabien, Welthauptfinanzier des Dschihadismus. Ich glaube, es ist sehr im Sinne des Israels, wenn der iranische Atomkonflikt gelöst wird. Denn die Israelis haben existentielle Ängste, und wenn wir das Problem lösen könnten, wäre es doch eigentlich in ihrem Sinne.
Im Falle Saudi-Arabiens beobachten wir keine Anstrengung seitens der westlichen Regierungen, die Menschenrechtslage dort zu verbessern. Glauben Sie, dass sich das ändern wird, falls sich die Islamische Republik und der Westen einigen?
Als Folge der Embargos arbeitet die iranischen Erdölindustrie im Schneckentempo
Als Folge der Embargos arbeitet die iranischen Erdölindustrie im Schneckentempo

Ich habe vor Jahren sehr lange mit einer iranischen Menschenrechtsaktivistin gesprochen. Am Ende habe ich gefragt, was eigentlich die Hauptangst der Aktivistenszene im Iran sei. Sie sagte: „Wir haben Angst, dass der Atomkonflikt gelöst wird und wir vergessen werden, wie Libyen. Nachdem Ghadhafi ein paar Chemikalien in der Wüste verbrannt hat, wurde er zu eurem Freund. Ihr habt dann dort Flüchtlingslager aufgebaut, aber was in seinen Kerkern passierte, hat euch nicht mehr interessiert.“ Das darf in diesem Fall nicht passieren. Wenn es eine Lehre gibt aus den gesamten Umstürzen der vergangenen Jahre in der Region, kann sie nur lauten: Friedhofsruhe bringt keine Stabilität. Stabilität gibt es, wenn die Menschen zufrieden sind. Und sie werden zufrieden sein, wenn sie Freiheiten haben – persönliche wie politische.
Europa möchte seine Abhängigkeit von russischen Energieimporten verringern. Wird der Iran in absehbarer Zeit Russlands Konkurrent im Energiesektor?
Das ist einer der Gründe, warum die Atomverhandlungen so schwierig sind. Die Russen stehen unter einem heftigen ökonomischen Druck und sind auf hohe Preise für Energie angewiesen – was im Übrigen auch für Saudi-Arabien gilt. Wenn der Iran wieder komplett in den Weltmarkt integriert ist, wird der Ölpreis zunächst sinken. Deshalb spielen Russland und Saudi-Arabien auch keine Superrolle bei der Lösung des Atomkonflikts. Das sollte für den Iran vielleicht die Frage aufwerfen, ob Russland tatsächlich der richtige strategische Partner ist.
Vor einigen Tagen hat Ali Akbar Velyati, der außenpolitische Berater des religiösen Führers Khamenei, gesagt, China und Russland würden die wichtigsten Partner des Iran bleiben und zusammen ein Atomkonsortium aufbauen.
Dass der Iran auf Russland setzt, ist nicht neu. Meiner Meinung nach stellen die Iraner dabei aber eine falsche Berechnung an. Die Russen werden kein Interesse daran haben, dass der Iran auf den Weltmarkt zurückkommt – im Gegenteil. Sie wären die großen Gewinner einer gescheiterten Atomverhandlung.
Herr Nourpour, vielen Dank für das Gespräch.
  Interview: Farhad Payar