Der tote König lebt

Die Reise des iranischen Außenministers Javad Zarif zu den Trauerfeierlichkeiten für den verstorbenen König Abdallah von Saudi Arabien sollte der Beginn einer neuen Phase den Entspannung zwischen den beiden Ländern sein. Doch der kurze Trip wurde zum diplomatischen Fiasko. Ein Ende der Rivalität beider Regionalmächte ist nicht in Sicht.

Die Webseite Al Arabieh funktioniert wie eine Brille und ein Barometer zugleich. Wer erfahren will, aus welchem Blinkwinkel die saudischen Herrscher die Welt sehen, für den ist ein Besuch bei Al Arabieh unerlässlich. Und wenn man ins Detail gehen und die aktuelle Beziehungskälte zwischen Teheran und Riad messen möchte, sollte man unbedingt die persischsprachige Variante der Seite besuchen. Hier erfährt man etwa, wie die IranerInnen den Tod des saudischen Königs Abdallah und seine spektakuläre Beerdigungszeremonie sehen sollen, an der auch der iranische Außenminister Javad Zarif teilnahm.
Ein Begräbnis als Machtdemonstration
„Die ganze Welt gab dem geliebten Herrscher das letzte Geleit“, titelte die persischsprachige Al Arabieh am Sonntag. Aus dieser Überschrift spricht unverkennbar mehr Stolz und Macht als Trauer. „ Alle Mächtigen dieser Welt treffen sich bei uns, alle Blicke richten sich nach Riad, jeder Anwesende hat bezeugt, dass wir der Stabilitätsanker der Region sind.“ Diesen Eindruck möchten die Macher der Webseite mit Beiträgen, Videos und Leserkommentaren bei iranischen LeserInnen hinterlassen, und das nicht ohne Erfolg. Denn Saudi Arabien war tatsächlich in den vergangenen Tagen der Mittelpunkt der Welt, kein namhafter Politiker oder Prinz blieb der Königsbeerdigung fern, und wenn jemand nicht dabei sein konnte oder wollte, ließ er sich gebührend vertreten – wenn es sein musste, auch durch einen entmachteten Expräsidenten. Und der mächtigste Mann der Welt, der tatsächlich verhindert war, holt das Ganze nach: US-Präsident Barack Obama wird seinen Staatsbesuch in Indien frühzeitig beenden, um an diesem Dienstag persönlich in Riad sein Beileid auszudrücken.

Der neue saudische König (li.) wird als Feldherr im aktuellen Preiskrieg auf dem Ölmarkt bezeichnet, der dem Iran  bisher schwer geschadet hat!
Der neue saudische König (li.) wird als Feldherr im aktuellen Preiskrieg auf dem Ölmarkt bezeichnet, der dem Iran bisher schwer geschadet hat!

Der Tod des Herrschers und die Beerdigungsrituale wurden erfolgreich wie eine imponierende Machtdemonstration zelebriert, und dabei standen fast alle großen und kleinen Mächte dieser Welt parat: allen schrecklichen Meldungen über Blogger-Auspeitschungen oder öffentliche Enthauptungen zum Trotz.
Auch der Begriff Stabilitätsanker ist keine Erfindung von Al Arabieh. Dieses Wort benutzten fast alle Regierungs- und Staatschefs, die ihr Beileid öffentlich bezeugten. Die Saudis seien verlässlich, sie seien Verbündete des Westens und sie würden die Stabilität der Region garantieren: Das sind Bestandteile einer unmissverständlichen Botschaft, die die saudische Regierung dieser Tage mit allen erdenklichen Mitteln in die Länder der Region verbreitet, vor allem in den Iran, den am meisten isolierten Staat der Welt.
Das Fiasko des versierten Diplomaten
Der iranische Außenminister wollte mit seiner Teilnahme an der Beerdigung des Königs für eine andere Stimmung zwischen beiden Ländern sorgen – ein wenig die mörderische Rivalität mildern, die eine ganze Region und mehr in Atem hält. Doch es war vergeblich. Zarif, dessen diplomatisches Geschick Freund und Feind bezeugen, erlebte in Riad eine Niederlage. Er wurde dort wie ein drittrangiger Gast behandelt, niemand von Rang und Namen empfing ihn, und nach seiner Rückkehr in den Iran versuchte er nicht einmal, seine Enttäuschung zu verbergen. Das ist angesichts dessen, was um Saudi Arabien herum passiert, nicht verwunderlich. Denn fast im selben Augenblick, als die Saudis den Leichnam ihres Königs in ein namenloses Grab versenkten, vollzog sich im Nachbarland Jemen ein Machtwechsel mit unabsehbaren Folgen. Die schiitischen Huthi-Rebellen haben dort faktisch die Macht übernommen und den Staatschef zum Rücktritt gezwungen. Dahinter sehen die Saudis natürlich den Iran am Werk, wie schon in Syrien, dem Irak und dem Libanon.
Eingekreist von Feinden
Doch ein möglicher Bürgerkrieg in Jemen mit seiner 1.600 Kilometer langen Grenze zu Saudi Arabien könnte für die Monarchie viel gefährlicher werden als die Kriege im relativ fernen Syrien oder Libanon. Nach Lesart der Saudis ist ihr Land, das Geburtsland des Islam, von iranischen Einflusszonen eingekreist: von einer schiitischen Regierung im Irak, die zum iranischen Einflussbereich gehört, von einem Regime in Syrien, das einen strategischen Bündnispartner für Teheran darstellt – und nun von jenen Huthi-Rebellen, die die Sunniten von der Macht im Jemen vertreiben.
Mögen die Huthis lediglich die Macht in der Hauptstadt Sanaa anstreben, doch im Jemen lauert auch eine andere, ernste und tödliche Gefahr, die seit Jahren das Herrscherhaus in Saudi Arabien ins Visier genommen hat: AQAH, Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel, ein Zusammenschluss von Al-Qaida-Kämpfern Saudi-Arabiens und Jemens.
Wenn Barack Obama am Dienstag nach Riad kommt, wird er nicht nur sein Beileid aussprechen, er wird wahrscheinlich das wiederholen, was er schon einmal im November in einem Interview gesagt hat: Die eigentliche Konfliktlinie in der Region verlaufe nicht zwischen Sunniten und Schiiten, sondern zwischen den terroristischen Sunniten wie Al Qaida oder IS und dem Rest der islamischen Welt. Für den Kampf gegen Al Qaida im Jemen werden die USA die Huthi-Rebellen ebenso brauchen wie jetzt im Irak, wo Schiiten und US-Truppen den gleichen Feind bekämpfen.
Historische Last, religiöse Feindschaft
Ob Barack Obama (hier mit dem verstorbenen König Abdallah) das Misstrauen zwischen dem Iran und dem Saudis beseitigen kann, ist höchst fraglich!
Ob Barack Obama (hier mit dem verstorbenen König Abdallah) das Misstrauen zwischen dem Iran und dem Saudis beseitigen kann, ist höchst fraglich!

Ob Obama das Misstrauen zwischen dem Iran und dem Saudis beseitigen kann, ist höchst fraglich. Tief sitzt es, im Iran ist die politische Differenz so alt wie die Islamische Republik selbst. „Eines Tages werde ich vielleicht Saddam Hussein verzeihen könne, aber den Saudis nie“, sagte Republikgründer Ayatollah Ruhollah Khomeini 1985 auf dem Höhepunkt des iranisch-irakischen Kriegs. Aus der Sicht der Saudis und des Kalifen des Islamischen Staates sind die Herrschenden im Iran „Rafidin“, also Abtrünnige, die seit eh und je den Islam aus dem Inneren heraus zerstören wollen: Viel gefährlicher also sogar als Juden und Christen. „Der Schlange muss der Kopf abgeschlagen werden“, forderte laut Wikileaks 2008 der gerade verstorbene saudische König Abdallah von den Amerikanern. Damals standen Iran und Saudi Arabien kurz vor dem Abbruch der diplomatischen Beziehung.
Eine eigenartige Koalition
Der iranische Präsident Hassan Rouhani sieht sich bei seiner Annäherung an den Westen einer merkwürdigen Koalition gegenüber. Sie besteht aus führenden US-Republikanern, die die antiiranischen Sanktionen wieder verschärfen wollen, dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der auf Einladung des US-Kongresses im Februar am Jahrestag der iranischen Revolution eine Rede halten will, den arabischen Scheichtümern der Golfstaaten und den Radikalen im Iran, die schon jetzt das Scheitern von Rouhanis Politik prophezeien.
Für Iran Diplomacy, eine gut informierte und gemäßigte Webseite ehemaliger Diplomaten, ist nach dem Tod König Abadallahs keine Besserung in Sicht. Der neue König sei als Ölkönig bekannt, sein Sohn stehe an der Spitze des saudischen Ölgeschäfts, er sei Feldherr im aktuellen Preiskrieg auf dem Ölmarkt, den die Saudis also unvermindert weiter überschwemmen würden, um den Druck gegen den Iran fortzusetzen, so die Webseite am vergangenen Samstag. Die iranischen Einnahmen aus dem Erdölhandel haben sich seit dem vergangenen Frühjahr bereits halbiert.
  ALI SADRZADEH