„Der Bazar wird nicht mehr sein, was er einmal war“
Seit fast zwei Monaten streiken Textilhändler im Teheraner Bazar – eine traditionelle Stütze der Islamischen Republik. Was spaltet die alten Verbündeten? Ein Gespräch mit dem Iran-Experten Kamran Dadkhah, Professor an der Northeastern Universität in Boston.
Die enge Beziehung zwischen den Kaufleuten des Bazars und den Geistlichen hat eine Jahrhunderte lange Tradition. So haben die Barzaris im Jahre 1979 mit ihrer finanziellen Unterstützung den Weg für den Sturz der Pahlavi-Dynastie und die Herrschaft der islamischen Regierung geebnet. Jetzt aber, 32 Jahre nach dem Sieg der Revolution, stehen sich Regime und Händler in mancherlei Hinsicht feindlich gegenüber. Die von der iranischen Wirtschaftskrise besonders gebeutelten Kaufleute leisten Widerstand gegen die Mehrwertsteuer um vier Prozent.
Die über 6000 Textilhändler sehen sich als die am stärksten von der Wirtschaftskrise betroffene Gruppe im Iran. Sie fordern eine fünfjährige Verzögerung bei der Umsetzung der Mehrwertsteuer. Die Regierung lehnt dies rigide ab. Das Parlament wirft den Bazaris Steuerhinterziehung, Schmuggel sowie die Verursachung der Wirtschaftskrise vor.
TFI: Was sind die Besonderheiten des iranischen Steuersystems?
Kamran Dadkhah: Das Steuerrecht im Iran ist weitgehend dem europäischen angelehnt. Der Unterschied liegt jedoch in der Durchführung. Die Menschen haben kein Vertrauen in den Staatsapparat. Sie glauben nicht, dass sie eine Gegenleistung erhalten, wenn sie Steuer zahlen. Daher gibt es im Iran massive Steuerhinterziehungen. Dazu werden die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung nicht in dem erforderlichen Maße beachtet und umgesetzt.
Warum wehren sich die Bazaris gegen die Mehrwertsteuer und nicht gegen das Einkommensteuergesetz?
Die Mehrwertsteuer betrifft den Umsatz. Grundsätzlich ist das für den Verkäufer kein Problem, weil er die Umsatzsteuer ja vom Käufer erhält. Aber während einer Rezession und entsprechend sinkender Kaufkraft verringert sich durch eine Erhöhung des Preises um vier Prozent Steuer der Kaufanreiz – die Händler verkaufen weniger, weil ihre Ware teurer wird.
Warum bringen die Kaufleute ihre Proteste durch Streik und Schließung der Läden zum Ausdruck?
Der Bazar war immer das Wirtschaftszentrum des Landes, hat aber allmählich seine Position verloren und ist der Regierung unterordnet worden. Damit hat der Bazar seine wirtschaftliche und politische Macht verloren. Die Streiks zeigen die Verärgerung der Kaufleute über diese Situation.
Fordert der Bazar wegen seiner Rolle bei der Einrichtung der islamischen Revolution besondere Privilegien?
Der Bazar hat tatsächlich dabei eine große Rolle gespielt. Viele Kaufleute haben ihren Anteil am Sieg der Revolution erhalten und wichtige Positionen erreicht. Aber jetzt hat sich die Situation verändert: Irans Wirtschaft lebt weitgehend vom Öl, das von der Revolutionsgarde kontrolliert wird. Nicht mehr die Kaufleute, sondern die Revolutionsgarde haben die Wirtschaft des Landes in der Hand. Auch werden wesentliche Leistungen wie Produktion, Vertrieb und Logistik außerhalb des Bazars erbracht. Nicht einmal Einkaufsketten sind abhängig von dem Bazar. Auch der Großhandel erfolgt durch andere. Der Bazar hat schließlich seine Rolle im Export verloren, weil China, Indien, Pakistan und die Türkei einen großen Teil des Handels mit traditionellen Gütern wie Nüsse, Felle und Teppiche übernommen haben.
Hat der Streik Aussicht auf Erfolg?
In der Regel werden in demokratischen Ländern die Parteien miteinander diskutieren, um die Probleme zu beheben. Das aber ist nicht der Fall im Iran. Im Iran ist alles kompliziert, es gibt zu viele politische Gruppierungen. Niemand weiß genau, wer gegenüber den Bazar-Kaufleuten als Repräsentant des Regimes auftreten soll. Da gibt es die Gruppe um Präsident Ahmadinedschad und auch die um das Staatsoberhaupt Khamenei. Eine Lösung zeichnet sich nicht ab. Der Präsident hat zu viel gelogen. Niemand vertraut mehr der Regierung. Dennoch dauert es meiner Meinung nach nicht mehr lange, bis die Bazar-Kaufleute den Streik beenden. Im Gegenzug werden sie ein paar Konzessionen erhalten.
Kann man sagen, dass der Bazar zum Scheitern verurteilt ist?
Nein, aber die Zeiten haben sich geändert. Der Bazar wird nicht mehr sein, was er ursprünglich einmal war. Heutzutage werden alle staatlichen Fabriken, die Ölindustrie sowie der Im- und Export von Waren von der Regierung und der Revolutionsgarde kontrolliert. Der Bazar spielt nur noch eine begrenzte Rolle in dem Bereich iranischen Wirtschaft und Produktion. Er muss sich mit seiner neuen Rolle zufrieden geben.