2013 – das iranische Schicksalsjahr

„Raus aus der Atomfalle“ – das war die politische Priorität der Islamischen Republik Iran im Jahr 2013. Die ersten Bausteine dafür sind gelegt. Doch wie sieht es am Ende des Jahres mit der Wirtschaft und den Bürgerrechten im Iran aus? Eine Bestandsaufnahme von Mehran Barati.
Zweifellos waren die wichtigsten Ereignisse des Jahres 2013 im Iran die Wahl Hassan Rouhanis zum Staatspräsidenten und die Wiederaufnahme der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm. Mit dem Ende des Ahmadinedschad-Regimes sollten auch das ruinöse Wirtschaftsembargo beendet und die Beziehung zu den Regional- und Weltmächten verbessert werden.
In seiner Ansprache zum iranischen Neujahr am 21. März hatte Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei das Jahr 1392 (März 2013 bis März 2014) wieder einmal zum „Jahr des wirtschaftlichen und politischen Heldentums” erklärt. Der “heroische Kampf des Volkes” gegen die Embargos sollte die lahmgelegte Wirtschaft reaktivieren und die widerwillig eingestandene politische Isolation des Landes überwinden. Die Herkulesaufgabe der Organisation des “wirtschaftlichen und politischen Heldentums” wurde dem im Juni 2013 gewählten Präsidenten übertragen, der nach der politischen Logik nicht mehr vom Schlage Ahmadinedschads sein konnte.
Das Ende des politischen Rowdytums

Irans Außenminister M. Javad Sarif reicht bei den Verhandlungen in Genf seinem US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry die Hand
Irans Außenminister M. Javad Sarif reicht bei den Verhandlungen in Genf seinem US-amerikanischen Amtskollegen John Kerry die Hand

Die populistisch-ideologische Ära Ahmadinedschads und seines Ziehvaters Ayatollah Khamenei sollte mit der Wahl des neuen Präsidenten Hassan Rouhani beendet werden. Dieser musste zunächst die Gefahr eines Angriffskriegs der USA und Israels auf iranische Atomanlagen abwenden und zugleich die Spannungen mit den Regionalmächten abbauen.
In der Tat haben Rouhani und sein Außenminister Mohammad Javad Sarif in den wenigen Monaten nach ihrem Regierungsantritt durch kluge Diplomatie die Gefahr einer militärischen Konfrontation abwenden und die Wirtschaftssanktionen aufweichen können. Die Regierung bereitet sogar Musterverträge vor, die westliche Staaten zu Investitionen im Iran ermutigen sollen. Termingeschäfte bei Ölverkäufen auf Wertpapierbasis sollen eine Grundlage für die Förderung von Kapitalinvestitionen bieten.
Doch trotz des Durchbruchs in der ersten Verhandlungsphase besteht 2014 die nicht gering zu schätzende Gefahr, dass bei Beharren des Iran auf den Betrieb seiner Urananreicherungsanlagen der ganze Verständigungsprozess noch kippt. Festzustellen bleibt zudem, dass selbst bei voller Realisierung des vereinbarten Sanktionsabbaus der Iran bestenfalls über 7 Milliarden Dollar seines gesperrten Guthabens von 100 Milliarden verfügen darf. Das ist nicht mehr als der bekannte Tropfen auf den heißen Stein.
Wohin führte der “heroische Kampf”?
Das iranische Wirtschaftswachstum wird für das laufende iranische Jahr 1392 minus sechs Prozent betragen. Die iranische Industrie liegt in den letzten Atemzügen, weil die nötigen Importe von Technologien und Materialien fehlen. Eine Inflation von über 40 Prozent und Kreditzinsen von 30 Prozent lassen zudem keinen Raum für eine auf dem Weltmarkt konkurrenzfähige Produktion. Auch Geld drucken geht unter diesen Umständen nicht.
Als Folge der Embargos arbeitet die iranischen Erdölindustrie im Schneckentempo
Als Folge der Embargos arbeitet die iranischen Erdölindustrie im Schneckentempo

Auch alle Projekte in den Bereichen Erdöl, Gas, Petrochemie, Bergwerke und Stahlindustrie als Haupteinnahmequellen des Landes sind vom Import von Maschinen und Ausrüstungen abhängig. Als Folge der Embargos liegen diese Bereiche entweder komplett brach oder arbeiten im Schneckentempo. Die meisten iranischen Ölfelder sind 50 Jahre alt. Nur wenige sind rentabel. Es werden zudem immer mehr Quellen mit weniger Ertrag erschlossen. Vor 40 Jahren gab es nur 272 Quellen, 2013 waren es 1.500. Für den Export vorgesehenes Gas wird in Hunderte alter Quellen gepumpt, um das Erdöl zutage zu fördern.
Die Embargos tun ihr Übriges. 2013 soll der Iran täglich zwischen 2,5 und 3,2 Millionen Barrels Erdöl exportiert haben. Die tatsächlichen Einnahmen entsprechen jedoch einer Exportmenge von nur 500.000 Barrels. Als Folge der Ölverkaufssanktionen hatte das Land einen Einnahmeverlust von 60 Milliarden Dollar im Jahr. Und selbst über diese reduzierten Einnahmen konnte nicht verfügt werden, weil das Land vom internationalen Bankensystem abgeschnitten ist.
Unter diesen Bedingungen verlor die iranische Währung gegenüber dem Dollar zu Beginn des Jahres 2013 im Vergleich zum Vorjahr 168 Prozent an Wert. In der Koppelung von populistischer Wirtschaftspolitik und internationalen Embargos gehen Inflation, Produktionsrückgang und Arbeitslosigkeit Hand in Hand. Die Inflation, die nach Angaben der Zentralbank 27,4 Prozent, nach anderen Berechnungen 36 Prozent betragen soll, läge zurzeit tatsächlich bei 110 Prozent, würden im zugrunde liegenden Warenkorb auch Wohnkosten, Bildungs-, Ausbildungs-, Gesundheits- und sonstige Dienstleistungskosten berücksichtigt.
Während der Präsidentschaft von Ahmadinedschad sollen auf dem Papier sieben Millionen neue Jobs geschaffen worden sein. Wo alle diese Arbeitsstellen geblieben sind, weiß aber niemand. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit im Iran bei 12,2 Prozent. Denkt man die nicht existierenden sieben Millionen Stellen weg, so vervierfacht sich aber die tatsächliche Arbeitslosenquote. Der Fehler liegt in der offiziellen Berechnungsmethode. Nach der iranischen Statistik gilt jeder Iraner als beschäftigt, der pro Woche eine Stunde arbeitet – auch dann, wenn die Arbeit unbezahlt geleistet wurde.
Menschen- und bürgerrechtliche Folgen
Seit mehr als 1.000 Tagen unter Hausarrest: Die Anführer der "Grünen Bewegung" Mir Hossein Moussavi (li.) und Mehdi Karrubi
Seit mehr als 1.000 Tagen unter Hausarrest: Die Anführer der „Grünen Bewegung“ Mir Hossein Moussavi (li.) und Mehdi Karrubi

Für den iranischen Revolutionsführer war das Jahr 2013 ein Jahr des Autoritätsverlustes. Er musste seinen Lieblingspräsidenten fallen lassen, zusehen, wie dieser und seine Verbündeten von der Justiz wegen Korruption belangt wurden, hinnehmen, dass die Reformer den Nichtreformer Rouhani für sich beanspruchten, und dass ihm immer lauter die Zerschlagung der grünen Bewegung und die Inhaftierung ihrer Anführer zur Last gelegt wurden. Khamenei musste seinen ideologischen Radikalismus zügeln, weniger reden und der Exekutive mehr Spielraum lassen.
In der Frage von Menschen- und Bürgerrechten hat dies ebenso wie Rouhanis Wahl bislang jedoch nicht zu spürbaren Verbesserungen geführt. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2013 wurden 402 Menschen hingerichtet, 200 davon in den ersten vier Monaten nach Rouhanis Wahl. Unter den Hingerichteten waren Dutzende Angehörige ethnischer Minderheiten – Kurden, Belutschen und Araber -, die aus politischen Gründen verhaftet worden waren.
Die Islamische Republik Iran erkennt die Existenz von politischen Gefangenen allerdings offiziell gar nicht an. Jede politische Opposition oder Gegnerschaft wird als Verbrechen geahndet. Die genaue Zahl politischer Gefangener in iranischen Gefängnissen ist deshalb nicht bekannt. Der UN-Menschenrechtsbeauftrage für den Iran, Ahmad Shaheed, berichtete im März 2013 über mindestens 160 dokumentierte politische Gefangene. Hunderte Andere sollen aufgrund politisch motivierter Anschuldigungen inhaftiert sein.
Unter den religiösen Minderheiten im Iran werden insbesondere den etwa 300.000 Angehörigen des Baha’i-Glaubens jegliche Bürgerrechte verwehrt. Sie verlieren ihre Arbeits- und Studienplätze, dürfen weder reguläre Bildungs- und Ausbildungsstätten besuchen noch eigene aufbauen, werden aus ihren Häusern vertrieben und sogar ihre Gräber werden zerstört. Am 24. August 2013 fand die letzte bekannt gewordene Hinrichtung eines Baha’i statt. Damit erhöhte sich die Zahl der seit der Revolution von 1979 hingerichteten oder sonst getöteten Baha’i auf 225. Auch einige Christen und zum Christentum Konvertierte befinden sich als „Feinde des Islams“ in Haft.
Auch die Unterdrückung von Journalisten und die Einschränkungen der Pressefreiheit wurden unter Rouhani bislang nicht beendet. In den acht Jahren der Präsidentschaft Ahmadinedschads waren mehr als 200 Zeitungen geschlossen und über 300 Journalisten und Online-Aktivisten festgenommen, gefoltert oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Zwar dürfen einige der verbotenen Zeitungen seit Rouhanis Wahl wieder erscheinen. Doch sitzen derzeit noch 54 Journalisten, Blogger und Netzaktivisten in Haft. Erst Anfang Dezember wurden in der Provinz Kerman erneut 16 Internetaktivisten von den Revolutionsgarden verhaftet, sieben davon Mitarbeiter der prominenten iranischen Tech-Website narenji.ir.
   Mehran Barati *
Der in Arak/Iran geborene Mehran Barati ist einer der exponierten Oppositionellen aus dem Iran, der zurzeit in Berlin lebt. Er ist regelmäßiger unabhängiger Analyst auf BBC Persian und VOA (Voice of America)-Persian. Er gilt als Experte für internationale Beziehungen.