Wirtschaftliche Halbzeitbilanz der Regierung Rouhani
Die Senkung der Inflation und die Stabilität des Devisenmarktes sind zwei Wahlversprechen, die der iranische Präsident Hassan Rouhani einhalten konnte. Einige wirtschaftliche Projekte sind unter den internationalen Sanktionen jedoch kaum realisierbar, andere aufgrund der Machtstruktur im Iran zum Scheitern verurteilt.
Am 18. August 2013 begann die Amtszeit des iranischen Präsidenten Hassan Rouhani. Die Stagflation, eine Mischung aus volkswirtschaftlichem Stillstand und Inflation, war die größte wirtschaftliche Herausforderung seiner Regierung nach zwei Amtszeiten Mahmoud Ahmadinedschads. Rouhani musste einer 45-prozentigen Inflation Herr werden und eine Volkswirtschaft ankurbeln, die einen jährlichen Rückgang von 6,5 Prozent erreicht hatte. Kürzlich nun meldeten Regierung und iranische Zentralbank, dass sich die Inflation in den vergangenen zwei Jahren um das Dreifache vermindert habe: Sie beträgt „nur noch“ 15 Prozent. Und die Volkswirtschaft soll von März 2014 bis März 2015 um drei Prozent gewachsen sein.
Dass die rasante Zunahme der Inflation in den vergangenen zwei Jahren wirklich nachgelassen hat, steht außer Frage. Über den tatsächlichen Rückgang der Teuerung lässt sich jedoch streiten. Kritiker meinen, dass die Regierung eine willkürliche Auswahl von Waren und Dienstleistungen in den Index aufnimmt, um die Inflation zu berechnen. Die reale Inflation ergebe sich aber aus Preisanstiegen in anderen Bereichen. Assadollah Asgaroladi, der Chef der iranisch-chinesischen Handelskammer, stellte schon im März 2014 die offiziellen Angaben in Frage. „Die reale Inflation kann man bei den Waren und Dienstleistungen feststellen, die nicht staatlich subventioniert werden“, so der langjährige Geschäftsmann. Um die tatsächliche Inflation berechnen zu können, solle man die Waren unter die Lupe nehmen, deren Preise nicht staatlich kontrolliert und damit künstlich niedrig gehalten würden. Asgaroladi schätzte damals die reale Inflation auf cirka 25 Prozent.
Rouhanis Regierung strebt eine Inflation von unter 10 Prozent bis 2016 an. Eine sehr ehrgeizige Zielsetzung, meinen Experten. Denn die Inflation ist in den ersten vier Monaten dieses Jahres kaum zurückgegangen. Wirtschaftsexperten sind der Meinung, dass die Regierung den „harten Kern“ der Inflation erreicht hat. Ohne Aufhebung der internationalen Sanktionen, massive Investitionen aus dem Ausland und tiefgreifende Reformen des Arbeits- und Finanzmarktes seien weitere positive Entwicklungen kaum zu erwarten.
Zweifel am Wachstum
In einem weiteren Punkt sind sich ebenso alle einig: Die Regierung Rouhanis hat die Talfahrt der Volkswirtschaft bremsen können. Bedeutet dies aber, dass die Stagnation – der wirtschaftliche Stillstand – überwunden ist?
Vor knapp einem Monat sagte der Parlamentarier Shahbaz Hassanpur vor Journalisten: „Die Behauptung der Regierung, dass der wirtschaftliche Stillstand vorbei sei, lässt sich in keiner Branche beweisen.“ Steuererhöhungen und fehlende finanzielle Hilfe von Banken nähmen Kleinunternehmern die Luft zum Atmen, so der Abgeordnete. Fast zeitgleich berichteten Medien über die Schließung von etwa 2.300 Steinmetzbetrieben in Teheran und Isfahan. Auch Assadollah Asgaroladi glaubt nicht an das Ende des wirtschaftlichen Stillstands. Er begründet seinen Zweifel mit der „ständigen Zunahme der Zahl ungedeckter Schecks auf dem Markt“; ein Argument, dass sich laut offiziellen Angaben als richtig erweist. Die iranische Studenten-Nachrichtenagentur (ISNA) zitierte vor Kurzem einen Bericht der iranischen Zentralbank. Demnach soll der Gesamtwert ungedeckter Schecks in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres mehr als 13,3 Milliarden Euro betragen haben. Dies sei ein 35-prozentiger Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Auch der iranische Aktienmarkt rutscht ständig ins Minus, der Immobilienmarkt kommt nicht in Schwung, und immer mehr Unternehmen melden Insolvenz an oder sind nicht ausgelastet. Genug Indizien für eine schwere Stagnation, meinen Kritiker.
Die Regierung hat ihr Versprechen gehalten und das Einkommen der Arbeiter im zweiten Jahr ihrer Amtszeit erhöht, allerdings nicht der Inflation entsprechend. Einwände der Arbeitgeber und die Sorge um eine tiefere Stagnation soll die Regierung davon abgehalten haben, die Löhne weiter anzuheben.
Die Stärkung der Landeswährung – des iranischen Rial – war ein anderes Projekt Rouhanis. Man kann sie jedoch nur im Vergleich zu den Krisenjahren der Regierung Ahmadinedschads für erfolgreich halten. Dem Finanzteam des Präsidenten ist es immerhin gelungen, die starken Schwankungen des Devisenmarktes trotz der langwierigen Atomverhandlungen einzudämmen.
Sorgenkind sozialer Wohnungsbau
„Maskane Mehr“ war eines der Prestigeprojekte von Präsident Ahmadinedschad. Hunderttausende staatlich geförderte Wohnungen pro Jahr hatte der Populist den sozial schwachen Schichten versprochen. Die Milliardensummen, die trotz der Warnungen von Wirtschaftsexperten in das Projekt investiert wurden, katapultierten die Inflation in die Höhe und belasteten die Bevölkerung umso mehr. Die Regierung Rouhanis hat nicht nur den Namen des Projektes geändert, sondern das Vorhaben zunächst auf Eis gelegt und versprochen, es erst dann fortzusetzen, wenn „die Mängel des Konzeptes“ beseitigt worden sind. Laut dem Ministerium für Straßen- und Städtebau soll die Regierung mit einem Gesetzesentwurf die Einrichtung eines Fonds beantragen, um das Wohnungsbauprojekt finanzieren zu können. Angesichts der bevorstehenden Parlamentswahlen im März 2016 könnte der Entwurf erst im neuen Parlament abgestimmt werden. Deshalb wird das Projekt sozialer Wohnungsbau auch bis zum Ende des dritten Amtsjahres Rouhanis nicht ins Rollen kommen.
Atomabkommen und „Wirtschaftsboom“
Die Regierung habe in den vergangenen zwei Jahren stark auf das Atomabkommen mit dem Westen gesetzt und damit hohe Erwartungen in der Bevölkerung geweckt, dass auf das Abkommen ein unmittelbarer Wirtschaftsboom folgen werde, kritisierte der Parlamentarier Abouzar Naimi vergangene Woche. Das Industrieministerium berichtet, dass die industrielle Produktion in den ersten Monaten dieses Jahres, also noch vor dem Atomabkommen, im Vergleich zum gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres aufgrund fehlender Nachfrage stark zurückgegangen sei. Medienberichten zufolge setzten auch viele Unternehmer auf die Ergebnisse der Atomverhandlungen und ihre Auswirkungen auf den Preis der Rohstoffe und Importwaren, so dass die Produktion fast stilllag.
Strukturelle Hindernisse
Die Intensivierung der internationalen Sanktionen im Jahr 2012 traf die ohnehin problembeladene Wirtschaft des Iran mit voller Wucht. Doch auch Jahrzehnte alte strukturelle Defizite darf man nicht außer Acht lassen. Experten meinen, Missmanagement, niedrige Effizienz, uferlose Korruption, eine auf Erdöl basierende Rentenökonomie, unübersichtliche Wirtschaftsaktivitäten religiöser und militärischer Organisationen, Staatsinterventionismus und Scheinprivatisierungen fügen der iranischen Wirtschaft mehr Schaden als die Sanktionen zu. Einige dieser Probleme kann die Regierung nicht allein lösen. Denn zahlreiche militärische, religiöse und revolutionäre Einrichtungen sind nicht der Regierung zugeordnet. Sie agieren vor allem unter der Aufsicht des religiösen Führers Ali Khamenei.
Um noch einige Reformen realisieren zu können, hofft Rouhani auf ein neues Parlament, das mit seiner Regierung „besser harmonisiert“. Das neue Parlament wird seine Arbeit allerdings erst am Anfang des letzten Amtsjahres der jetzigen Regierung offiziell aufnehmen. So werden einige Großprojekte der Regierung wie die Steigerung der Öl- und Gasproduktion, das Wirtschaftswachstum, die Entspannung des Arbeits- und Finanzmarktes und die Senkung der Arbeitslosigkeit bis zur endgültigen Aufhebung der Sanktionen und der Wahl eines neuen Parlaments weiterhin auf halber Strecke bleiben.
Quelle: Deutsche Welle
Übersetzt aus dem Persischen und überarbeitet von Iman Aslani