Der Traum von Atomenergie der Alptraum der Ölindustrie
Die Zahl der Unfälle in der iranischen Erdölindustrie nimmt zu. Sie forderte in den letzten achtzehn Monaten 130 Tote und Verletzte. Passieren die Unfälle zufällig oder sind sie Folgen von falschem Management, mangelnden Sicherheitsvorkehrungen, veralteter Technik und Sanktionen? Experten meinen, solange die Priorität der Regierung auf Atomenergie liege, werde die iranische Erdölindustrie mit solchen Unfällen leben müssen.
30 Tote und etwa 100 Verletzte innerhalb der letzten 18 Monate. Das ist die Bilanz der Unfälle in der iranischen Erdölindustrie. Die Regierung hat sich bis jetzt vor einer Bekanntgabe des Umfangs der materiellen Schäden gedrückt.
Zu den verheerenden Unfällen gehören Brände in den petrochemischen Anlagen auf der Insel Khark und in der südiranischen Stadt Assalouyeh, Brände in den Ölquellen der Städte Naft-Shahr und Bandar Abbas, die Lecks in den Pipelines der Raffinerien Shahid-Hashemi und Gachsaran und eine Explosion in der Ölraffinerie Abadans.
Die neuesten Ereignisse: Explosion der Öl- und Gaspipelines in den südlichen und nördlichen Grenzregionen. Innerhalb von drei Wochen explodierte die iranisch-türkische Gaspipeline im nördlichen Grenzgebiet Bazargan zwei Mal – am 29. Juli und 12. August. Laut der halbamtlichen Presseagentur „Fars“ hatte die letzte Explosion eine enorme Wucht. Die Flammen seien 60 Meter hoch gestiegen. Javad Ouji, stellvertretender Minister für Erdöl und Leiter des nationalen Erdgaskonzerns, ordnete einen sofortigen Stopp der Gaslieferung in die Türkei an.
Ende Juni wurde auch eine Ölpipeline in der Nähe der südiranischen Stadt Shoosh in Brand gesteckt. Nach Angaben der Behörden soll es sich dabei um einen „terroristischen Sabotageakt“ radikaler arabischer Gruppierungen gehandelt haben. Etwa zwei Prozent der iranischen Bevölkerung sind Araber, die in den südlichen Provinzen Khusestan und Hormosgan leben.
Potenzielle Gefahren
Die iranische Erdölindustrie leidet seit 32 Jahren unter den Folgen des achtjährigen Krieges gegen den Irak (1980 – 1988) sowie unter Wirtschaftssanktionen und fehlenden ausländischen Investitionen. Nach Meinung vieler Experten sind die maroden Anlagen ständigen Gefahren ausgesetzt.
Reza Taghizadeh von der Universität Glasgow zählt außer der veralteten Technologie auch andere Gründe für die Desaster auf: „Die schnell durchgeführten Projekte in der Ölindustrie, die nur der Propaganda dienen, ein schwaches Management und die provozierende Politik der Regierung gegenüber ethnischen Minderheiten sind potenzielle Gefahren für die iranische Erdölindustrie.“
Wegen des umstrittenen iranischen Atomprogramms haben in den letzten Jahren die Vereinten Nationen, USA und die EU den Iran mit Sanktionen belegt. Im Zuge dieser Strafmaßnahmen fehlen im Land finanzkräftige ausländische Investoren. Viele ausländische Firmen haben das Land verlassen; darunter wichtige Partner wie die norwegische Statoil, die französische Total, die britische Shell, der russische Konzern Gasprom, die italienische ENI, die südkoreanische LG. Sogar der chinesische Konzern CNPC hat seine Arbeit eingestellt.
Groß angelegte Projekte im Bereich der Erdöl- und Erdgasgewinnung, u. a. „Süd Pars“, wurden aufs Eis gelegt. „Süd Pars“, eine der größten Gaskondensat-Lagerstätte der Welt, gehört dem Iran und dem Emirat Katar an. Doch der Iran kann in „Süd Pars“ täglich nur 242 Millionen Kubikmeter Erdgas erschließen, während Katar dort fast die zehnfache Menge an Erdgas gewinnt.
Das atomare Abenteuer
In den letzten Jahren hat die Revolutionsgarde ihre Macht in der iranischen Wirtschaft ausgebaut. Sie investiert in alle wichtigen Industrieprojekte, auch in der Erdölindustrie.
Der Iran-Experte Reza Taghizadeh ist der Meinung, dass die Revolutionsgarde nicht dafür qualifiziert sei, die Sicherheit von komplizierten Industrieanlagen zu garantieren. Die iranische Erdölindustrie brauche keine Gardisten, sondern Investoren, Fachkräfte und neue Technologien. „Erst dann kann man hoffen, dass die Gefahren und Unfälle in den Raffinerien und Pipelines eingedämmt werden.“
Der Politologe Taghizadeh sieht aber wenig Chancen für eine positive Entwicklung auf diesem Gebiet. Zum einen, weil „die konfliktorientierte Außenpolitik der Islamischen Republik“ ein großes Hindernis dafür sei. Zum andern: „Die Priorität der Regierenden liegt auf dem Atomprogramm. Hätte man statt dessen der Erdölindustrie den Vorrang gegeben, hätte man die Beziehungen mit dem Rest der Welt neutralisieren können. Und das atomare Abenteuer hätte nicht so verheerende Folgen für die Wirtschaft und Industrien Irans gehabt“.