Behandlung gegen Schmiergeld

Die ärztlichen Behandlungstarife der Krankenkassen im Iran sind seit Jahren konstant geblieben. Deshalb verlangen Ärzte und Krankenhäuser von den PatientInnen horrende Extrasummen. Nicht nur PatientInnen, auch der Gesundheitsminister beschwert sich über die „Schmiergelder“.
Was lange schon ein offenes Geheimnis war, wird nun seit über einem Jahr in den iranischen Medien heiß diskutiert: Iranische Ärzte und Krankenhäuser verlangen Bestechungsgelder. Wer akut krank ist oder ohne lange Wartezeit operiert werden möchte, wird inoffiziell zur Kasse gebeten.
Natürlich gibt es immer noch ÄrztInnen und Krankenhäuser, die arme PatientInnen in Not nicht vernachlässigen oder gar nach Hause schicken. Doch die Zahl der „korrupten ÄrztInnen“, wie sie in den Medien genannt werden, scheint enorm. Gesundheitsminister Hassan Ghazizadeh Hashemi beklagt „das unsittliche Verhalten“ der MedizinerInnen. Er schätzt die Höhe der gezahlten Schmiergelder in den Krankenhäusern auf umgerechnet zwei bis drei Milliarden Euro jährlich.
Bereits Anfang 2014 hatten Medien über die Korruption berichtet. Im März 2014 veröffentlichte das Internetportal des iranischen Parlaments eine Liste der ÄrztInnen, die Bestechungsgelder verlangt haben sollen. HerzspezialistInnen, NeurochirurgInnen, FrauenärztInnen sowie allgemeine und ästhetische ChirurgInnen sind dort aufgelistet.
Verständnis für Bestechungsgelder
Der Hals-Nasen-Ohren-Spezialist Reza Kamrani aus Teheran, der nach eigenen Aussagen selbst niemals Bestechungsgeld annehmen würde, hat dennoch Verständnis für die bestechlichen KollegInnen: “Die ÄrztInnen in den staatlichen Krankenhäusern, besonders ChirurgInnen, werden so schlecht bezahlt, dass sie ohne Bestechungsgelder nicht über die Runden kommen. Für eine Blinddarmoperation erhalten sie in manchen Krankenhäusern nur 50.000 Tuman (etwa 15 Euro), für eine Mandeloperation 30.000 Tuman (neun Euro). Für die gleichen Operationen in privaten Kliniken werden dem Patienten zwei oder drei Millionen Tuman (500 bis 750 Euro) in Rechnung gestellt.“

Derartige Karikaturen machen im Internet die Runde - Foto: kebnanews.ir
Derartige Karikaturen machen im Internet die Runde – Foto: kebnanews.ir

Dr. Sima J., Frauenärztin aus Teheran, bestätigt die Tarifunterschiede. Sie habe des öfteren gehört, dass manche Krankenhäuser notwendige Operationen hinauszögerten, weil die Familie des Kranken nicht die geforderte Summe aufgebracht habe. Das passe nicht zu der Berufsethik der ÄrztInnen, betont J. Sie selbst sei Zeugin „unmoralischen Handelns“ ihrer KollegInnen gewesen: „Viele wohlhabendere Patienten aus der Provinz lassen sich in Teheran operieren, weil sie den Krankenhäusern ihrer Wohnorte nicht trauen. Sie sind dann bereit, jeden Preis zu zahlen, um schnell operiert zu werden.“ Sie weiß von zwei Fällen, die statt 1.500 Euro mehr als das Zehnfache bezahlt haben sollen: „In beiden Fällen bekamen die Patienten einen sofortigen OP-Termin.“ Laut der Frauenärztin gibt es „in manchen staatlichen Krankenhäusern auch für Notfälle mehrwöchige Wartezeiten, so dass der Patient zu Schmiergeldzahlungen gezwungen“ werde.
Ärztemilliardäre
Anfang April berichteten viele Medien von „superreichen“ ÄrztInnen: Demnach hätten etwa Neurochirurgen ein monatliches Einkommen von 60.000 bis 90.000 Euro, ließ die Nachrichtenagentur MEHR wissen. Die Nachrichtenagentur berichtet von einer „Studie des iranischen Fernsehens“, die belege, dass 2.000 ÄrztInnen Monatslöhne von über 150.000 Euro bekommen.
Dies sei „von den Medien erfunden“, konterten die ÄrztInnen. Sie klagen über Unterbezahlung und verlangen von den Verantwortlichen „realistische Tarife“. In letzter Zeit haben Proteste der ÄrztInnen zugenommen. Die Teheraner Ärztekammer hat mehrfach mit Streiks und landesweiten Demonstrationen gedroht.
Um die Lage zu beruhigen, mischte sich das Gesundheitsministerium ein. Ende April kam die Stellungnahme des stellvertretenden Gesundheitsministers Iraj Harirchi: „Es gibt viele übertriebene Berichte über Einkommen von Ärzten im Iran“, sagte er. Es gebe zwar einige ÄrztInnen, die viel verdienten, aber das sei „überall in der Welt eine normale Sache“. Durchschnittseinkommen der Ärzte sei etwa 3.850 Euro, so der Politiker.
Im Iran arbeiten etwa 21.000 FachärztInnen in staatlichen Krankenhäusern, 70 Prozent von ihnen Vollzeit.
„Wirtschaftssanktionen sind schuld“
Für eine Blinddarmoperation sollen die ChirugInnen in manchen Krankenhäusern 50.000 Tuman (etwa 15 Euro) erhalten!
Für eine Blinddarmoperation sollen die ChirugInnen in manchen Krankenhäusern 50.000 Tuman (etwa 15 Euro) erhalten!

Die Versicherten beklagen Medienberichten zufolge die zu niedrigen Leistungen der Krankenkassen. Die Behandlungskosten für die meisten schweren Erkrankungen werden laut Medienberichten nur bis zu höchstens 30 Prozent von den Kassen übernommen, für die restliche Summe müssen die PatientInnen selbst aufkommen.
Der Parlamentsabgeordnete Abdolreza Mesri erklärte in einem Interview mit der Tageszeitung Arman im vergangenen Februar: „Die Krankenkassen zahlen seit Jahren die gleichen Tarife, während die Behandlungskosten bis um das Dreifache gestiegen sind.“ Das Mitglied des Gesundheitsausschusses des iranischen Parlaments, Abed Fatahi, bestätigte die massive Erhöhung der Behandlungskosten. Im Gespräch mit der Zeitung Arman nannte er „die Verteuerung der Geräte“ als Hauptgrund für die hohen Kosten der medizinischen Behandlung, die wiederum durch die Wirtschaftssanktionen verursacht sei. Aufgrund der Sanktionen gegen iranische Banken müssten die medizinischen Geräte auf Umwegen teuer erworben werden.
Die staatlichen Verantwortlichen im Gesundheitsbereich begnügen sich mit der Aufzählung der Probleme. Für deren Lösung haben sie bis jetzt nichts unternommen. Selbst der Gesundheitsminister kritisierte die Krankenkassen und die staatlichen Krankenhäuser für die hohen Behandlungskosten. Ob der Kritik auch Konsequenzen folgen werden, kann aber niemand voraussagen.
  MINA TEHRANI
Übertragen aus dem Persischen von Omid Shadiwar