Warum Irans Staatsoberhaupt ein Referendum für Palästina fordert
Ajatollah Ali Khamenei hat sich gegen die Entscheidung der Palästinenser für die UNO-Vollmitgliedschaft ausgesprochen. Er fordert ein Referendum für die Lösung der Palästina-Frage. Was bezweckt er damit?
Als „kurzsichtig“, „abweichend“ oder sogar „versklavt und verführt durch Amerika und Israel“ bezeichneten iranische Politiker die regierungskritischen Demonstranten, die im September 2009 auf Teheraner Straßen „Nicht Gaza, nicht Libanon, mein Leben für Iran“ skandierten. Der Grund, warum die Machthaber auf diesen Slogan so wütend reagierten, liegt auf der Hand. Schließlich gehören die Unterstützung von Hamas und Hisbollah und die Feindschaft gegenüber Israel zur Doktrin der Islamischen Republik – sie sind unentbehrlicher Bestandteil der Identität des politischen Systems. Über drei Jahrzehnte lang haben die vom Staat kontrollierten iranischen Medien die Bürger dementsprechend manipuliert. Ihre einseitige Berichterstattung dämonisiert Israel und macht die Palästinenser zu Helden. Doch im Sommer 2009 trauten sich einige Bürger, diesen Kurs zum ersten Mal öffentlich in Frage zu stellen.
Dabei sei diese Kritik „eigentlich nichts Neues“, meint ein iranischer Journalist, der namentlich nicht genannt werden möchte: „Wenn Sie unter Iranern sind, hören Sie oft negative Äußerungen über Araber und Palästinenser. Sie meinen, das Geld, das die Regierung für Hisbollah und Hamas ausgibt, sollte lieber für uns ausgegeben werden.“
„Plan zur Teilung Palästinas“
Davon lässt sich die Regierung der Islamischen Republik jedoch nicht beirren. Sie unterdrückt solche kritischen Stimmen und verfolgt weiterhin ihre alte Politik. So lehnte Ajatollah Khamenei am letzten Samstag die Entscheidung des Palästinenserpräsidenten Mahmud Abbas, eine UNO-Vollmitgliedschaft Palästinas zu beantragen, als „Plan zur Teilung Palästinas“ ab. „Wir empfehlen kein militärisches Eingreifen durch die Armeen islamischer Länder. Wir fordern nicht, dass die jüdischen Einwanderer ins Meer geworfen werden, und wir wollen auch nicht, dass die UNO (über die Palästinenserfrage) entscheidet. Wir schlagen nur ein Referendum unter den Palästinensern vor“, so Khamenei. „Alle einheimischen Palästinenser, Muslime, Christen und Juden, aber nicht die fremden Einwanderer“ sollten an diesem Referendum teilnehmen und über „das künftige politische System Palästinas“ entscheiden.
„Vernichtung Israels“
Dabei hatten iranische Machthaber in den vergangenen 32 Jahren immer wieder die Vernichtung Israels gefordert. Der Gründer der Islamischen Republik, Ajatollah Khomeini, hatte diesen Wunsch ebenso oft zum Ausdruck gebracht wie der heutige iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad. Wie kommt es, dass der jetzige Führer, der Israel einst als „Krebsgeschwür“ brandmarkte, plötzlich wie ein Pazifist von einem Referendum spricht? Und was genau meint er damit?
„Der Vorschlag stammt eigentlich von Ex-Präsident Mohammad Khatami. Er ging jedoch nie auf Details ein und sagte nicht, was er genau mit einem Referendum meinte. Aber im Falle von Herrn Khamenei kann man sicher sein, dass er damit indirekt eine Auflösung des Staates Israel fordert“, sagt Ali Mazrooi, ein reformorientierter iranischer Politiker, der seit kurzem im europäischen Exil lebt. Die Palästinenser sollten in dem Referendum gefragt werden, ob sie mit der Existenz Israels einverstanden wären oder nicht, glaubt er. Und die Antwort sei für den obersten Machthaber Irans von vorneherein klar. Sie lautet: Nein.
Der bereits zitierte iranische Journalist vermutet in Khameneis Vorschlag noch einen anderen taktischen Zug: „Die Tötung von Dutzenden Teilnehmern an Demonstrationen gegen die Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen von 2009 und die massive Unterdrückung von Regimekritikern in den vergangenen zwei Jahren haben zu einem starken Imageverlust Khameneis und des ganzen politischen Systems des Iran in der islamischen Welt beigetragen“, meint er. Durch seine radikale Positionierung gegen Israel versuche Khamenei nun, sein Ansehen zu verbessern.
Bei seinen iranischen Kritikern kann er damit offenbar nicht punkten. „Warum schlagen Sie nicht vor, ein Referendum über Ihre eigene Herrschaft im Iran durchzuführen?“ fragen viele von ihnen in Internet-Foren. „Wenn Du ständig für Palästina eintrittst, warum regierst du wie ein König in Teheran? Gehe nach Palästina und kehre nie wieder zurück“, lautet ein anderer Kommentar eines iranischen Internet-Nutzers.