Mystiker, Evangelikale und Meta-Therapeuten: Die neuen Feinde der Islamischen Republik

Während in den arabischen Staaten der Islam privat wie politisch an Bedeutung gewinnt, leeren sich ausgerechnet in der Islamischen Republik Iran die Moscheen. Auf der spirituellen Suche wenden sich viele Menschen dem Christentum, den Derwischorden oder Psychosekten zu.
„Im Iran wird niemand wegen seines Glaubens verfolgt“, beteuert Mohammed-Javad Laridschani, der Vorsitzende der iranischen Menschenrechtskommission, immer dann, wenn er nach der Verhaftung von Andersdenkenden oder -gläubigen gefragt wird. Die Realität sieht anders aus. Der jüngste Fall: Elf Hausfrauen wurden in der Stadt Shahrud im Nordosten des Landes verhaftet aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu der Sekte „Interuniversale Mystik“. Die Frauen hätten wöchentlich eine sechsstündige Lehrsitzung veranstaltet, so der Vorwurf. Die Lehrerin des Kurses – eine Juristin – sei dafür extra aus der rund 700 Kilometer entfernten Stadt Isfahan angereist. Die Frauen hätten sich zudem nicht nur mit der „obskuren Mystik“, sondern auch mit einer „schädlichen Psychotherapie“, der sogenannten „Meta -Therapie“, beschäftigt, berichtet die Nachrichtenagentur Fars.
„Psychosekte“ mit wachsender Anhängerzahl
Für die einen ist die Lehre der „Interuniversalen Mystik“ ein Versuch der Vereinigung mit der Welt und der Wiederfindung des inneren Friedens. Für die Religions- und Moralwächter des Iran ist sie aber eine

Mohammad Ali Taheri - Foto: rahekamal.org
Mohammad Ali Taheri - Foto: rahekamal.org

„verfälschte Mystik“, eine „subversive und gefährliche Strömung“, die die Jugend manipuliere und den Islam aushöhle.Die Sekte bietet eine Mischung aus Sinnsuche und Psychotherapie. Neben Welterklärung bieten die „Interuniversalen“ auch eine Art Therapie an, die sich im Persischen „Faradarmani“, also Meta-Therapie, nennt und sich als Alternativmedizin begreift. Die Lehre der „Interuniversalen Mystik“ keimte erstmals vor fünf Jahren zunächst in kleinen Zirkeln unter Studenten und der städtischen Mittelschicht auf. Doch sie verbreitete sich rasch über das ganze Land, wie der jüngste Fall aus der Provinzstadt Shahrud zeigt. Das „Seminar zur Reinhaltung des Geistes“ an der theologischen Hochschule Ghom schätzt die Zahl der „Interuniversalen“ auf mittlerweile rund 300.000. Sie seien dabei, „eine gefährliche Strömung“ zu werden, die die Grundsätze der Islamische Republik in Frage stellt.
 
Von Freund zum Feind
Alles in der Welt, so klein es auch sein mag, besitze ein Bewusstsein und strahle Energien aus, glauben die Sektenanhänger. Es gelte nur die negative Energie abzuwenden, so der Gründer der Sekte, Mohammad Ali Taheri, der inzwischen zu sieben Jahren Gefängnis und 70 Peitschenhieben verurteilt worden ist. Anfangs genoss die Sekte dagegen sogar das Wohlwollen der Behörden, denn sie berief sich auf den Islam und die traditionelle iranische Mystik. Wie bei Rumi und anderen Großmeistern der iranischen Mystik stehe auch bei „Interuniversalen“ die Einheit des Seins im Mittelpunkt. Demnach sei Alles und jedes eine „Gotteserscheinung“. In mehreren Büchern durften sie ihre Lehre erklären, an den Universitäten fanden ihre Lehrseminare statt. Man wagte sogar, für die Lehre auch in anderen Ländern zu werben, etwa in Armenien, der Türkei oder Südkorea. Mohammad Ali Taheri bereiste viele Länder und rühmt sich, zwei Ehrendoktortitel von ausländischen Universitäten zu besitzen. Selbst das staatliche iranische Fernsehen würdigte sein Engagement. Doch das ist längst Vergangenheit. Seit der Wiederwahl Ahmadinedjads vor mehr drei Jahren steht der „umfassende Kampf“ gegen die „falsche Mystik“ auf der Tagesordnung, geführt von den höchsten Stellen religiöser und politischer Autorität.
Ende der Schonzeit
Unter anderem mit Fotos wie diesem versuchen eine große Zahl von regierungsnahen Webseiten, die Jugend vor Okkultismus und Esoterik abzuschrecken - Foto: shokohefarda.com
Unter anderem mit Fotos wie diesem versuchen eine große Zahl von regierungsnahen Webseiten, die Jugend vor Okkultismus und Esoterik abzuschrecken - Foto: shokohefarda.com

Die offizielle Gegenkampagne wurde vor mehr als zwei Jahren von Ayatollah Ali Khamenei persönlich gestartet. Der Revolutionsführer hielt sich im Oktober 2010 eine Woche lang in der heiligen Stadt Ghom auf, wo er sich mit einigen Großayatollahs traf. Am letzten Tag seiner Visite verkündete er in einer Grundsatzrede vor den versammelten Theologiestudenten: „Die Verbreitung der Zügellosigkeit, die Propagierung der falschen Mystik und der sogenannten Hauskirchen, all das sind Versuche der Zionisten und anderer Feinde, den Islam zu bekämpfen. Das erfordert unseren umfassenden und intensiven Kampf.“ Und kaum hatte der mächtigste Mann des Landes das Zentrum der schiitischen Gelehrsamkeit verlassen, erließ ein Ayatollah nach dem anderen seine Fatwa gegen falsche Mystik. Die Sekte „Interuniversale Mystik“ sei der Abfall von der Religion, die Teilnahme an deren Kursen eine Untat, ein Frevel, stellten diese fest.
Abkehr vom Islam
Doch trotz Repressionen wächst die Zahl der Iranerinnen und Iraner, die ihr Heil in Sekten oder bei anderen religiösen Minderheitengruppen suchen. Die Zahl der Neuchristen, die sich in Untergrundkirchen organisieren, soll in den vergangenen Jahren auffällig gestiegen sein. Die evangelikale Organisation „Open Doors“ behauptet auf ihrer Internetseite, dass die Zahl der Christen im Iran von einst etwa 300.000 inzwischen auf 460.000 gestiegen sei. Belegen lassen sich diese Zahlen zwar nicht, doch der Trend zu anderen Religionen ist unverkennbar.
Die vom Staat propagierte Version des Islam habe die meisten Iraner der Religion entfremdet, bedauert der angesehene Theologe Mohssen Kadivar. Da die Suche nach einem spirituellen Ausweg aber niemals aufhöre, glaubten manche Menschen ihr Heil im Christentum, im Buddhismus oder eben in den Sekten finden zu können.