„Khamenei sollte sein eigenes Amt streichen“
Das iranische Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Khamenei möchte in Zukunft den Präsidenten vom Parlament ernennen und nicht mehr direkt vom Volk wählen lassen, wie es die Verfassung derzeit vorsieht. Politische Beobachter meinen, dass Khamenei so seine eigene Macht ausweiten will. TFI hat darüber mit Abolhassan Banisadr, dem ersten Präsidenten der Islamischen Republik Iran, gesprochen.
Herr Banisadr, der politische und geistige Führer Irans, Ajatollah Ali Khamenei, möchte in Zukunft den Präsidenten vom Parlament ernennen lassen. Warum diese Idee?
Khamenei leidet an einem Machtkomplex. Als er von 1981 bis 1988 Präsident war, wurde er von Ajatollah Khomeini nicht anerkannt und stand in seinem Schatten. Als er später selbst zum religiösen Führer wurde, wurde er vom damaligen Präsidenten Rafsandschani ignoriert und nicht ernst genommen. Und nun widerspricht ihm mit Ahmadinedschad auch noch die Person, der er selbst durch einen großen Wahlbetrug zur Macht verholfen hat. Das kann er nicht verkraften. Deshalb ist Khamenei auf die Idee gekommen, das ganze politische System umzustrukturieren. So kann er das Problem ein und für allemal lösen.
Was genau bezweckt er, Ihrer Meinung nach, mit diesem Plan?
Bereits jetzt gibt es einen großen Widerspruch in der Verfassung der Islamischen Republik: Sie bezeichnet das politische System des Landes zwar als Republik, erkennt aber gleichzeitig die absolute Herrschaft eines religiösen Rechtsgelehrten an. Sie ist im 5.Grundsatz der Verfassung vorgesehen, die Herrschaft des Volkes im sechsten. In den vergangenen 32 Jahren hat es zwischen diesen beiden Prinzipien immer wieder Konflikte gegeben. Die Bürger verlangen nach ihrem Recht, die Präsidenten pochen auf ihre Befugnisse. Khamenei selbst hatte als Präsident Konflikte mit dem damaligen Religionsführer Ajatollah Khomeini. Die Ex-Präsidenten Rafsandschani und Khatami hatten ebenfalls Probleme. Gleiches gilt für das Verhältnis zwischen Ahmadinedschad und Khamenei. Khamenei hat nun eine Lösung für dieses Dilemma gefunden: Der Präsident darf nicht vom Volk gewählt werden.
Was würde das für ihn verbessern?
Khamenei möchte einen Ministerpräsidenten, den er indirekt durch das Parlament an der Leine halten kann. Ein Ministerpräsident, der vom Parlament gewählt wird, kann nicht mehr behaupten, die Stimmen der Mehrheit der Bevölkerung hinter sich zu haben. Er kann den religiösen Führer nicht herausfordern.
Sie meinen, dass Khamenei einen vom Parlament bestimmten Präsidenten einfacher kontrollieren kann als einen vom Volk gewählten?
Selbstverständlich. Beispielsweise kann man ihn entlassen – das liegt dann in der Hand des Parlaments. In der jetzigen Situation ist das nicht so einfach. Obwohl Khamenei mit Ahmadinedschad sehr unzufrieden ist, kann er ihn nicht so leicht los werden. Dazu bräuchte es ein Amtsenthebungsverfahren im Parlament, Neuwahlen et cetera. Außerdem käme diese Maßnahme dem Eingeständnis einer Fehleinschätzung durch Khamenei gleich. Denn er selbst brachte Ahmadinedschad mithilfe eines Wahlbetrugs an die Macht, er unterstützte ihn immer wieder und ließ seinetwegen – während der Proteste gegen die Präsidentschaftswahlen von 2009 – viele Menschen umbringen.
Khamenei selbst sagt, er mische sich nicht in Angelegenheiten der Regierung, der Legislative et cetera ein.
Das stimmt aber nicht. Der Streit um den Geheimdienstminister, den Ahmadinedschad vor einigen Monaten entlassen wollte, ist ein sehr guter Beweis dafür. Khamenei zwang Ahmadinedschad, den entlassenen Minister wieder in sein Kabinett aufzunehmen.
Kann Ajatollah Khamenei dem Volk gegenüber seinen Plan glaubwürdig vertreten?
Wenn Herr Khamenei wirklich ein parlamentarisches System in Iran haben möchte, dann sollte soll er zunächst sein eigenes Amt, das des Religionsführers, streichen. Denn Parlamentarismus bedeutet, dass ein Volk durch ein frei gewähltes Parlament herrscht. Im Iran gibt es im Moment aber gar keine freien Wahlen. Vor den Wahlen bestimmt der Wächterrat, welche Kandidatinnen und Kandidaten überhaupt antreten dürfen. Die Mitglieder dieses Rates werden vom Religionsführer ernannt. Auch Wahlmanipulationen stehen immer wieder auf der Tagesordnung. So kommt es, dass heute die meisten Parlamentarier Mitglieder der Revolutionsgarde sind.
Die Durchführung des Plans von Khamenei setzt ein Volksreferendum voraus. Glauben Sie, dass die Bevölkerung zustimmen wird?
Dem Regime sind die Stimmen und die Meinung der Menschen egal. Auch wenn nur wenige Menschen am Referendum teilnehmen würden, könnte es behaupten, dass 40 Millionen an die Urnen gegangen seien. Das hat man bei den letzten Präsidentschaftswahlen so gemacht: Es wurde behauptet, Ahmadinedschad habe 24 Millionen Stimmen bekommen. Nur wenn alle Bürger das Referendum boykottieren würden, käme es zu einer Blamage für das Regime.
Ajatollah Khamenei hat gesagt, die Änderung der politischen Struktur des Landes werde wahrscheinlich in „ferner Zukunft“ passieren. Was ist Ihrer Ansicht nach damit gemeint? Wann wird diese „ferne Zukunft“ kommen?
Im politischen Kontext kann sich die „ferne Zukunft“ schnell in „nahe“ verwandeln. Sobald sich Khamenei stark genug fühlt, wird er seinen Plan durchsetzen. Aufgrund der Schwäche der Wirtschaft, der Sanktionen, der politischen Unzufriedenheit vieler Menschen und der internationalen Spannungen ist er jedoch momentan nicht in einer guten Position. Doch sobald diese Probleme beseitigt sind, wird Khamenei sicher an die Verwirklichung seines Plans denken.
Interview: Mohammad Reza Kazemi
Zur Person:
Abolhassan Banisadr, geb. 1933, war vom Januar 1980 bis Juli 1981 der erste Präsident der Islamischen Republik. Seitdem lebt er im Pariser Exil. Banisadr ist Herausgeber der Zeitschrift „Enghelabe eslami — dar hejrt“ („Islamische Revolution – im Exil“).