„Die Hoffnung auf ein freies Leben motiviert mich, weiterzusprechen“

Drei Jahre nach dem Beginn der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung schildert die iranische Aktivistin Motahareh Goonei, wie die Proteste im Iran trotz massiver Repression weiterleben – auf den Straßen, in den Universitäten und im Alltag. Ein Interview über den Mut der Iranerinnen, die verschärfte Unterdrückung durch das Regime und die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel im Iran. 

Interview: Pooyan Mokari

Drei Jahre sind seit dem Beginn der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung vergangen. Viele Beobachter*innen sehen die wachsende Zahl von Frauen ohne Kopftuch auf den iranischen Straßen als Erfolg. Ist das Ihrer Meinung nach die einzige Errungenschaft?

Nein. Diese Bewegung hat Frauen nicht nur Mut gegeben, sondern auch die Generation Z inspiriert. Sie hat eine kulturelle Revolution ausgelöst, die das Regime mit aller Kraft zu verhindern versuchte. In Teheran sieht man heute, dass das Regime und seine Unterdrückungskräfte faktisch kapituliert haben, auch wenn sie es nicht zugeben. Ebenso hat sich die öffentliche Meinung über Frauen, ihre Kleidung und ihr Recht auf Selbstbestimmung verändert.

Manche werfen der Bewegung vor, sie habe ihre Ziele nicht erreicht. Teilen Sie diese Sicht?

Das Hauptziel – ein Regimewechsel – wurde tatsächlich nicht erreicht. Aber es gab Nebenerfolge. Frauen hatten schon zuvor für ihre Rechte gekämpft, etwa mit der „Eine-Million-Unterschriften-Kampagne“. Die Proteste 2022 wirkten jedoch wie ein gesellschaftlicher Funke. Auch ich, aus einer religiösen Familie stammend, fand dadurch den Mut, meinen eigenen Weg zu gehen. Viele junge Frauen machten ähnliche Erfahrungen, widersetzten sich ihren Familien und legten sogar den Tschador ab – das Symbol der vom Regime geforderten Unterwerfung. Das ist eine bleibende Errungenschaft.

Nach dieser Bewegung wurde die Unterdrückung der Zivilgesellschaft verstärkt.. Hat sich angesichts dieses Drucks die Strategie der Aktivist*innen innerhalb des Iran verändert?

In den ersten Tagen gab es tragische Ereignisse und massenhafte Verhaftungen. Laut Justiz kamen 2023 über 160.000 Menschen in den Genuss von Khameneis Amnestie“. Ich selbst erlebte als Studentin, wie Hunderte vor Disziplinarkomitees geladen und vom Studium ausgeschlossen wurden – manche für ein Semester, andere dauerhaft, wie auch ich. Aktivist*innen zogen sich zeitweise zurück, nicht aus Akzeptanz, sondern als Überlebensstrategie im Angesicht der Tyrannei. Die meisten hielten jedoch an den Forderungen der Bewegung fest.

In welcher Form zeigt sich der Widerstand trotz dieser Repressionen?

Die Repressionen an Universitäten, in Parteien und bei Aktivistengruppen waren extrem hart; viele sitzen bis heute in Haft. Dennoch blieb die Präsenz der Bevölkerung spürbar – etwa durch den Boykott der Wahlen oder durch Akte zivilen Ungehorsams wie die freie Wahl der Kleidung. Obwohl Frauen dafür von Unis oder Arbeitsplätzen ausgeschlossen oder bestraft werden, setzen viele ihren Protest fort. Demokratische und gewaltfreie Aktivist*innen wie ich unterstützen diese Schritte. Trotz Hinrichtungen und langer Haftstrafen kenne ich viele, die standhaft bleiben.

Aktivistin Motahareh Goonei, die in den letzten Jahren wiederholt verhaftet wurde
Aktivistin Motahareh Goonei, die in den letzten Jahren wiederholt verhaftet wurde

Eines der jüngsten und bedeutendsten Ereignisse war der Zwölftagekrieg zwischen Israel und dem Iran. Welche Auswirkungen hatte dieser Krieg auf die Zivilgesellschaft und die politischen Gefangenen im Iran?

Ich wurde gleich zu Beginn dieses Krieges festgenommen. Für viele Aktivist*innen war er ein Lackmustest: Er machte deutlich, wie das Regime tatsächlich handelt. Niemand von uns rechtfertigt das Handeln Israels. Aber ohne dieses Ereignis hätten wir nicht so klar gesehen, dass auch das iranische Regime Teil des Verbrechens ist. Seine angebliche nachrichtendienstliche Stärke entpuppte sich als Propaganda – in Wahrheit ist das Land heute sicherheitspolitisch und außenpolitisch so schwach wie nie. Für uns war das eine wichtige Erkenntnis. Gleichzeitig lehne ich jede Hoffnung auf einen demokratischen Wandel durch militärische Intervention ab – das würde nur eine neue Tyrannei hervorbringen.

Welche Folgen hatte der Krieg für die Repression im Inneren?

Der Krieg wurde zur Ausrede für eine massive Unterdrückung, ähnlich wie in den 1980er Jahren während des Iran-Irak-Krieges. Damals wie heute verschwanden Menschen, wurden hingerichtet oder als angebliche Spione diffamiert. Auch mein eigener Fall wird mit angeblicher „Zusammenarbeit mit Israel“ verknüpft. Viele Gefangene wissen nicht, welches Urteil sie erwartet. Zwar üben internationale Organisationen Druck aus, was die Repression bremsen könnte, doch sollten die Angriffe wiederaufgenommen werden, ist mit einer noch härteren Verfolgung zu rechnen.

In einer Situation, in der regionale und internationale Krisen wie dieser Krieg die Nachrichten dominieren – haben Sie das Gefühl, dass die internationale Gemeinschaft die iranische Bevölkerung im Stich gelassen hat?

Vor einem Monat hätte ich diese Frage wohl mit Ja beantwortet. Doch durch den Snapback-Mechanismus und die Rückkehr der Sanktionen zeigt die internationale Gemeinschaft, dass sie das Regime nicht unterstützt – auch wenn sie sich aus politischem Kalkül nicht offen für dessen Sturz ausspricht. Das kann interne Kräfte ermutigen, die letztlich selbst den Wandel herbeiführen müssen. Ausländische, nicht-militärische Maßnahmen können dabei nur als Antrieb wirken.

Wie bewerten Sie die Rolle der Sanktionen in diesem Prozess?

Natürlich gehen Sanktionen nicht aus Mitgefühl mit der iranischen Bevölkerung hervor. Sie spiegeln die Entscheidung wider, das Regime von der politischen Bühne des Nahen Ostens zu drängen – beeinflusst durch Entwicklungen wie den Krieg in Syrien, die Angriffe vom 7. Oktober oder die jüngsten Eskalationen mit Israel. Das Regime mag versuchen, daraus Vorteile zu ziehen, doch diesmal scheinen die internationalen Entwicklungen klar gegen es zu laufen. Der Snapback-Mechanismus könnte dunkle Tage für das Regime und – bei Einigkeit der Bevölkerung – helle Tage für die Gesellschaft bedeuten.

Angesichts der katastrophalen wirtschaftlichen Lage, der politischen Unterdrückung und der sozialen Krisen: Kann diese Situation zu einer weiteren Welle von Massenprotesten führen?

Schon jetzt gibt es täglich kleinere und größere Versammlungen. Die Menschen sind an einem Punkt, dass sie die Lage nicht mehr hinnehmen wollen – und sie haben den Mut, sich gegen die Hauptursache ihrer Misere, das Regime, zu stellen. Neue Massenproteste sind möglich und würden wohl den Aufständen von 2019 ähneln, die aus wirtschaftlicher Not entstanden. 

Könnten die Ursachen für neue Proteste auch über wirtschaftliche hinausgehen?

Ja, Auslöser könnten auch politische Hinrichtungen, gewerkschaftliche Kämpfe oder die allgemeine Demütigung durch das Regime sein. Schon 2019 ging es nicht allein um Inflation, sondern um das Gefühl, keinerlei Platz im politischen System zu haben. Dieses Gefühl ist heute noch stärker. Die Erfahrung von 2022 hat die Menschen zudem widerstandsfähiger gemacht. Niemand weiß, wann der nächste kritische Moment kommt – aber er wird entscheidend sein.

Was motiviert Sie und andere Aktivist*innen, Ihren Weg fortzusetzen?

Meine größte Motivation ist der Iran. Wir Iraner*innen haben keine Heimat, in der wir frei existieren können. Ich wünsche mir, dass die Menschen – unabhängig von ihrer politischen oder ideologischen Haltung – eines Tages das Leben führen können, das sie sich wünschen. Persönlich habe ich dafür teuer bezahlt: Ich musste mein Studium abbrechen, ich habe keine Anstellung, und mir ist jede gesellschaftliche Teilhabe verwehrt – allein, weil ich mich gegen die Inkompetenz des Regimes stelle.

Gibt es etwas, das Ihnen trotz dieser Härten Hoffnung gibt?

Ich will nicht, dass noch ein Mensch im Iran wegen seiner Überzeugung leidet. Schon heute werden Baha’i oder christliche Konvertiten systematisch ausgegrenzt – nicht durch offene Hinrichtungen, sondern durch ständige Kriminalisierung und Entrechtung. Die Hoffnung auf ein Land, in dem Vielfalt respektiert wird, die Menschenwürde geschützt ist und ein Mindestmaß an Wohlstand existiert – das motiviert mich, weiter zu sprechen und zu schreiben.

Foto: Anadolu