Abbild eines gebrochenen Revolutionärs

Maroufis neuer Roman ist ein beeindruckend dichtes Panorama einer Teheraner Familie, die in den Wirren der Übergangszeit zwischen Schah-Diktatur und islamischer Revolution zerbricht. Einer der Söhne bezahlt sein politisches Engagement mit dem Leben, während ein anderer, Mitglied der Geheimdienstorganisation Khomeinis, das Todesurteil ohnmächtig hinnehmen muss. Volker Kaminski hat den Roman gelesen.

Soviel hat Madjid über seine Brüder, die Eltern, die politischen Umbrüche, in die seine Familie hineingeriet, seine anschließende Flucht-Odyssee über Moskau bis nach Deutschland zu erzählen, dass er selbst immer wieder den Faden verliert und abschweift. Er befindet sich an einem sicheren Ort, hat ein Zimmer, trifft alte Weggefährten im Café „Dialog“, doch die Erinnerungen sind so übermächtig, dass er nur mit Hilfe starker Medikamente und unter Aufsicht eines Klinikbetriebs leben kann. Seit vier Jahren wohnt er in einer Aachener Nervenheilanstalt, hat zwar als Asylant eine Daueraufenthaltserlaubnis, doch er vermisst schmerzlich eine „gesellschaftliche Identität“ und fühlt sich „ausgehöhlt“ wie in einem „gläsernen Behälter“.
„Selten ist der Schmerz des Exils (…) so intensiv dargestellt worden wie in diesem Roman“ – dem Statement des Herausgebers Ilija Trojanow, in dessen Reihe „Weltlese“ das Buch erschien, ist voll und ganz zuzustimmen. Madjid erzählt in einem immer wieder abbrechenden und neu ansetzenden Gedankenstrom, der sich um keine Chronologie schert, was die psychische Zerrissenheit der Hauptfigur auf unübertreffliche Weise widerspiegelt.
Dem Leser wird dabei einiges abverlangt, denn nicht nur werden die Schauplätze abrupt gewechselt, auch die Erzählperspektive schwankt zwischen Ich- und Er-Erzähler ständig hin und her. Doch Maroufi versteht es diese künstlerischen Mittel souverän zu handhaben und schafft so ein faszinierend lebendiges, authentisches Abbild eines gebrochenen Revolutionärs.

Süchtig nach dem „Duft der Heimat“

Abbas Maroufi
Abbas Maroufi

Einst ranghohes Mitglied einer marxistischen Gruppierung im Iran, steht Madjid nun vor einem Scherbenhaufen. Mit Hilfe alter Familienfotos, die er in seiner „Ruhmesschatulle“, einem kostbaren Fotoalbum mit eisernen Scharnieren, über die Jahre gerettet hat, lässt er als Insasse der Nervenheilanstalt die Vergangenheit Revue passieren und quält sich mit Reue und Verzweiflung.
Dabei ist er insgeheim süchtig nach dem „Duft der Heimat“. Doch obwohl eine Rückkehr in den Iran zu diesem Zeitpunkt (erzählte Zeit sind die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts) gefährlich für ihn wäre, lässt ihn sein Heimweh nicht los.
Nach und nach verdichten sich Madjids Erinnerungen und formen das detailreiche Bild eines Familienschicksals, das ohne Pathos auskommt und in seinem zeitgeschichtlichen Realismus umso glaubwürdiger erscheint.
Namhafte iranische Politiker haben darin ebenso ihren Auftritt – es wird sogar ein kurzes, eher unfreundliches Frühstück beim Revolutionsführer Khomeini geschildert –, wie die Mitglieder von Madjids illustrer Familie, angeführt vom geschäftstüchtigen Vater Fereydun, der im Laufe der Handlung einen dramatischen Machtverlust erleidet.
Anfangs ist Fereyduns Stellung als Firmendirektor einer amerikanischen Reifenfabrik in der Teheraner Gesellschaft gefestigt, er schmeichelt sich damit ein Günstling des Schahs zu sein. Die vier Söhne und eine Tochter sind bestens versorgt, doch mit den wachsenden Unruhen, dem Erstarken linker Gruppierungen und dem sich abzeichnenden Aufstieg Khomeinis erhält das Familienglück Risse.
Die Söhne engagieren sich politisch in unterschiedliche Richtungen, Fereydun verliert seinen Job, die Firma wird verstaatlicht, die Autoreifen werden als brennende Barrikaden missbraucht und seine sonst so nützlichen Schlüsselanhänger mit amerikanischem Prägestempel sind wertlos.

Schatten der Vergangenheit

"Fereydun hatte drei Söhne" - Buchumschlag
„Fereydun hatte drei Söhne“ – Buchumschlag

Dass ein Teil der Familie sich mit dem neuen Regime arrangiert, der ehemalige Generaldirektor seine Fahne nach dem Wind hängt und mit Khomeini frühstückt und sich daraufhin auch beruflich wieder zu erholen beginnt, nutzt ihnen nichts. Der älteste Sohn, der nichts getan hat als in einem unliebsamen Theaterstück mitzuspielen und ein paar Flugblätter zu verteilen, wird Opfer staatlicher Gewalt. In einer längeren, erschütternden Szene wird die Exekution Iradschs und der heimliche Abtransport seiner Leiche ins Familiengrab geschildert, was alle – vor allem die Mutter – für immer traumatisiert.
In seinen endlosen Erinnerungsschleifen lässt sich Madjid immer weiter zurücktreiben, doch zu spät erkennt er, dass seine Aktivitäten und die seiner Brüder nach Iradschs Tod nichts als hilflose Reflexe „rachsüchtiger Raubtiere“ gegen ein übermächtiges Regime waren. So lautet sein Fazit entsprechend lapidar: „Wir waren verwirrt und verführt, ziellos, entzückt über das Brechen und Brennen und wussten nicht, was wir wollten.“ Auch die Rückkehr in den Iran, die er wie in einem Fiebertraum bei einer nächtlichen Autofahrt durch die Türkei erlebt, bringt ihm nicht die erhoffte Erlösung.
Ein Lob gebührt der Übersetzerin Susanne Baghestani, die dem komplexen Schreibstil und der großen Wortgewandtheit Maroufis auf bewundernswerte Weise gerecht wird. Die Ruhelosigkeit des Entwurzelten, die Synchronizität der verschiedenen Lebensstationen, die sich im ständigen Hin und Her seiner Gedanken spiegelt, lässt auch den deutschen Text vibrieren und verleiht ihm einen selten so erlebten artistischen Klang. Ein packendes Leseabenteuer!

  VOLKER KAMINSKI

© Qantara

Abbas Maroufi: „Fereydun hatte drei Söhne“, Roman, Verlag Edition Büchergilde 2016, Band 17, herausgegeben und mit einem Vorwort von Ilija Trojanow, aus dem Persischen von Susanne Baghestani, 298 Seiten, ISBN 978-3-86406-071-7
Der Autor: Abbas Maroufi, geb. 1957 in Teheran, gründete die Zeitschrift „Gardoon“ und war ihr Herausgeber, bis er wegen „Beleidigung der islamischen Grundwerte“ zu Gefängnis, 20 Peitschenhieben und Publikationsverbot verurteilt wurde. Aufgrund internationaler Proteste wurde das Urteil nicht vollzogen, die Zeitschrift jedoch verboten. Er konnte das Land verlassen und gründete in Berlin die Buchhandlung „Hedayat“ und den Verlag „Gardoon“.

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