Das kranke Gesundheitssystem des Iran
Die Legende von sanktionierten Medikamenten
Sanktionen, Sanktionen und nochmal Sanktionen, wiederholen deshalb stets nicht nur die Mächtigen in Teheran, wenn sie die Misere des Landes erklären wollen. Auch mancher „Antiimperialist“ im westlichen Ausland stimmt in diesen Chor mit ein: Die Iraner*innen stürben, weil der Westen die islamische Republik menschenverachtend sanktioniere.
Doch das stimmt einfach nicht. Ein Beispiel: Vor etwa vier Wochen gab die irakische Regierung bekannt, ca. sieben Milliarden US-Dollar blockiertes iranisches Guthaben sei auf Anweisung der USA freigegeben worden. Diese Meldung aus Bagdad wurde in den offiziellen Medien Irans tagelang als eine Siegesmeldung der neuen Regierungsdiplomatie gefeiert. Auch Südkorea werde bald blockierte Devisen in Höhe von etwa 20 Milliarden Dollar freigeben, frohlockten die Propagandisten. Plötzlich verschwand diese Kampagne ins Nichts. Inzwischen redet niemand mehr darüber, wann oder ob überhaupt diese Freigabe je kommen wird.
Der Grund liegt in den Bedingungen, die die USA an die Devisenfreigabe verknüpft haben. Washington wollte wissen, wofür die Gelder ausgeben werden. Medikamente, Nahrungsmittel und andere Güter des täglichen Lebens waren immer von den Sanktionen ausgenommen.
Die US-Regierung ist offenbar lernfähig. 2015, nach dem Atomabkommen und der teilweisen Aufhebung der Sanktionen, hatte sie erlaubt, Bargeld nach Teheran zu transferieren. Doch diesmal, nachdem man sich in Geheimverhandlungen näher gekommen ist, wollen die Amerikaner die Verwendung der Devisen überwachen. Denn 2015, zur Zeiten Barack Obamas, flossen die freigegebenen Devisen zu einem beachtlichen Teil in die Kassen der Revolutionsgarden und ihrer Verbündeten in Syrien, Libanon, Jemen und Irak. Diesen Fehler wollen die USA diesmal vermeiden.
Menschenleben unwichtig?
Die iranischen Machthaber wollen aber Bares sehen, deshalb sind sie nicht bereit, auf diese Konditionen einzugehen. Auch dann nicht, wenn die Schlangen vor den Apotheken täglich länger und länger werden und manche Medikamente nur auf dem Schwarzmarkt zu haben sind. So gesehen ist die Medikamentenknappheit sowie die Misere in den Operationssälen des Iran systemimmanent.

Drei große staatliche Holdings beherrschen im Iran die Produktion und den Import von Arzneimitteln. Ali Khamenei bestimmt die Chefs dieser Firmenkonglomerate, die bei allen Import-Export-Geschäften des Landes das letzte Wort haben. Der Iran hatte einst eine der produktivsten Pharmaindustrien in der Region, das Land zählte sogar zu den Medikamentenexporteuren. Doch das ist längst Geschichte. Fünfzehn großen Pharmaunternehmen des Landes geht langsam die Luft aus, denn auch im Iran werden wie überall die Grundstoffe knapp und teuer – und dies in Zeiten des Devisenmangels.
In besseren Zeiten wurden Medikamente für etwa 1,5 Milliarden US-Dollar importiert. Deutschland stand mit etwa 250 Millionen Dollar weit vorn an erster Stelle. Es zählte auch zu den wichtigsten Lieferanten von Krankenhausausrüstung.
Ärzte schlagen Alarm
Dr. Abbas Kazemian, international anerkannter Neurochirurg in Teheran, sagte kürzlich in einer Diskussion des sozialen Netzwerks Clubhouse: „Wir sind auf dem Weg zurück zu längst abgeschafften Methoden der Chirurgie. In unseren Krankenhäusern fehlt das Elementarste, was ein Arzt täglich braucht.“ Sein Kollege Dr. Amhad Mir, ebenfalls ein Chirurg und Krebsspezialist, fügte hinzu: „Man zwingt uns, zu traditioneller Medizin und Behandlungsmethoden der vergangenen Jahrhunderte zurückzukehren.“
Der Allgemeinchirurg und Krankenhausdirektor Dr. Ali Jafarian berichtete bei derselben Veranstaltung, der Kauf medizinischer Geräte sei momentan für niemanden mehr möglich, sei gar nicht vorstellbar.
Es gibt wie immer Ausnahmen
Doch nicht alle gehören zu diesem „Niemand“, es gibt Ausnahmen. Das sind die Omnipotenten des Landes. Vor drei Wochen eröffnete Hussein Salami, der oberste Kommandant der Revolutionsgarden, auf einem Gelände von 6.000 Quadratmetern im noblen Norden Teherans ein sehr modernes Krankenhaus mit 850 Betten. Es untersteht den Garden; „Wir haben weitere 16 Krankenhäuser in der Planung“, sagte der oberste Gardist.
Nicht umsonst heißen die Garden im Volksmund Sanktionsgewinnler. Zu dieser surrealen Dramatik des Gesundheitssystems passen auch die regelmäßigen Meldungen vom Schmuggel iranischer Medikamente in die Nachbarländer Irak und Afghanistan.
Die Grenzen Irans zu diesen Ländern werden ausschließlich von den Garden kontrolliert.♦
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