"Wir sind Oscar"

Seit der iranische Film „Nader und Simin – eine Trennung“ den Oscar in der Kategorie Bester ausländischer Film gewann, ist dieses Ereignis eines der meist diskutierten Themen in der iranischen Internetgemeinde – unter Anhängern wie unter Gegnern des Regimes. Tenor: „Wir haben einen Oscar gewonnen!“
Das iranische Publikum hatte in der Nacht zum 27. Februar zwei Möglichkeiten, das Spektakel der Oscar-Verleihungen in den USA zu verfolgen. Es konnte über den eigentlich illegalen Satellitenempfang zuschauen, dessen Signal jedoch häufig von den iranischen Behörden gestört wird. Oder es konnte die Zeremonie via Internet verfolgen, das aber aufgrund der gedrosselten Geschwindigkeit Videos nur schwerfällig wiedergibt.
Viele Iraner entschieden sich deshalb für die Live-Ticker, die auf sozialen Netzwerken, Blogs und Twitter angeboten wurden. Der Moment der Verleihung eines der international begehrtesten Filmpreise an den iranischen Regisseur Asghar Farhadi wurde von Iranern auf der ganzen Welt mit Begeisterung gefeiert.

Irans Internetnutzer stürmten geradezu die sozialen Netzwerke, um die Nachricht zu verbreiten und ihre Freude mit anderen zu teilen. Farhadi bedachte sie in seiner Dankesrede und widmete allen Iranern seine Auszeichnung: „Sie freuen sich nicht nur über den Preis, über den Film oder einen Filmemacher, sondern weil in Zeiten von Kriegsdrohungen, Einschüchterungen und Aggressionen der  Iran als ruhmvolle, reiche und alte Kultur Erwähnung findet – eine Kultur, die vom Staub der Politik verdeckt wird.“ Facebook Nutzer Ehsan schrieb: „Dank Asghar Farhadi sind wir nun alle Oscar-Gewinner.“ Innerhalb weniger Stunden wurde die Facebook-Seite des Films mit Glückwünschen überflutet.
Freudenclips

Asghar Farhadi
Asghar Farhadi

Auf der Homepage „Pendar“ wurden Videos veröffentlicht, die die überschwängliche Freude in iranischen Wohnzimmern dokumentieren. Auch zahlreiche Prominente beglückwünschten Farhadi, darunter der Ex-Präsident Mohammad Khatami und 54 politische Gefangene. ABC’s  „Global Affairs“-Moderatorin Christiane Amanpour änderte ihren Facebook-Status: “Glückwunsch: ,Eine Trennung’-Oscar für den Best Foreign Film. Großartige, menschliche Geschichte aus dem Iran. Stolz auf das Talent und den Oscar!“ Ihr Status wurde schnell 170 Mal geteilt und erhielt nahezu 1.200 „Likes“.
Einige kommentierten das Erscheinungsbild der weiblichen Hauptdarstellerin Leyla Hatami in „Trennung“: „Leider musste Leyla dieses beschämende Kopftuch tragen. Das trug nicht gerade zu ihrem Selbstbewusstsein bei.“ Andere kritisierten die illegale Verbreitung des Films: „Jetzt, wo wir diesen nationalen Erfolg feiern durften, solltet ihr den Schutz des geistigen Eigentums respektieren und den Film nicht illegal herunterladen.“
Doch unter den Online-Kommentaren gab es nicht nur Glückwünsche. Blogger F. M. Sokhan richtete auf dem Internetportal Gooya eine Warnung an Asghar Farhadi: „Sei vorsichtig, dass du nicht von deinem Thron stürzt. Eines Tages musst du dich zwischen der Macht und den Menschen entscheiden. Du solltest in diesem Fall die Menschen unterstützen.“ Twitter-Nutzer Dahri stellt Farhadis Umgang mit bestimmten Themen in dessen Dankesrede in Frage: „Asghar Agha [Herr Asghar, die Red.] hat es nicht gewagt, über Jafar Panahi, die Zensur oder die Probleme der Filmemacher zu sprechen.“
Die staatlich kontrollierten Medien
FriendFeed-Nutzer Spinooza veröffentlichte dieses Bild mit der Bemerkung: „Die Oscars haben ‚Eine Trennung‘  zwischen dem iranischen Volk und dem Regime verursacht.“
FriendFeed-Nutzer Spinooza veröffentlichte dieses Bild mit der Bemerkung: „Die Oscars haben ‚Eine Trennung‘ zwischen dem iranischen Volk und dem Regime verursacht.“

Irans offizielle Medien berichteten ebenfalls über die Oscar-Verleihung. Bereits um 7 Uhr morgens am Montag, den 27. Februar, hatte etwa „IRIB One News“ über Farhadis Erfolg berichtet. Die Redaktion wurde daraufhin gerügt und erwähnte den Oscar nicht wieder. Twitter-Nutzer Mohammad Khajehpoor bewundert die Kreativität der staatlichen Rundfunkgesellschaft, die unter strikter Überwachung des Regimes steht: „Mir gefällt der Stil von ,20:30‘ [eine Nachrichtensendung, die Red.]. Sie reden dort über die Oscar-Veranstaltung, zeigen aber die Bilder des Fajr Film-Festival [Teherans Film Festival, die Red.].“
Am selben Tag brachte auch die ultra-konservative Nachrichtenagentur FARS die Oscar-Geschichte – allerdings mit einer falschen Übersetzung von Farhadis Dankesrede. Es wurde zudem behauptet, dass Farhadi seine Tochter auf der Bühne umarmt und Irans Nuklearprogramm lobend erwähnt habe. Die iranische Journalistin Masih Alinejad fragte bei der Nachrichtenagentur nach dem Ursprung der falschen Übersetzung. FARS verwies auf ihre eigenen Quellen, die sie für glaubhaft halte, weigerte sich jedoch, diese Quellen zu nennen. Nachdem Alinejad ihr Interview mit FARS online veröffentlichte, löschte die Nachrichtenagentur die Oscar-Meldung von ihrer Website. Zuvor hatte der bekannte Karikaturist Mana Neyestani die Angelegenheit bereits in einem Cartoon veranschaulicht.
Das Nachrichtenportal Aftab veröffentlichte ein Interview mit dem ultra-konservativen Filmemacher Farajollah Salahshour, der über seine kritische Haltung zum Oscar spricht: „Wenn ich bei einem islamischen und religiösen Festival gewinne, dann ist das wertvoll.  Doch die Oscars sind nicht wertvoll, da jeder über den Zweck solcher Veranstaltungen Bescheid weiß. In der Vergangenheit hat etwa ein israelischer Führer gewonnen.“ Salahshour verwechselte dabei offenbar den Oscar mit dem Friedensnobelpreis. Darüber macht sich FriendFeed-Nutzer Martin lustig und veröffentlicht eine Photoshop-Collage, die Farhadi in Siegerpose darstellt, während der danebenstehende Salahshour mürrisch dreinblickt.
Trend Topic
Der Twitter-Hashtag #Oscar90 wurde unter iranischen Twitter Nutzern zu einem  „trend topic“. Die meisten Twitter-Nutzer zeigten sich erfreut über den Oscar. Twitter-Nutzer Ali Seven schreibt: „Ein Grund für uns, glücklich zu sein!! Danke, Herr Farhadi … und Glückwunsch!“
Iman twittert: „Nach den Oscars gestern habe ich mich gefragt, warum es uns so glücklich macht, dass Farhadi gewonnen hat. Ich glaube, dass die ganze Freude mit den Schwierigkeiten und Problemen der letzten 30 Jahre [nach der islamischen Revolution, die Red.] zu tun hat.“
Quelle: Iran Media Programm
Aus dem Englischen: Resa Mohabbat-Kar
 
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