Iran erfindet „Obersten Rat für die digitale Welt“

Die Gründung einer neuen Behörde zur Kontrolle des Internets beschäftigt iranische Internetaktivisten derzeit. Ebenso geht es im Web um die Feierlichkeiten zum iranischen Neujahr am 20. März, die den Ayatollahs ein Dorn im Auge sind.

Seit dem 8. März gibt es im Iran auf Beschluss des Staatsoberhauptes Ayatollah Ali Khamenei eine neue Behörde zur Kontrolle des Internets: den so genannten „Obersten Rat für das Cyberspace“ (ORC).  In der iranischen Blogosphäre zieht die neue Behörde eine Welle unterschiedlichster Reaktionen nach sich – vor allem auf Twitter. Aus vielen Beiträgen klingt Resignation und Wut über die unermüdlichen Versuche der iranischen Regierung, das World Wide Web zu kontrollieren.
Viele Twitter-Nutzer üben heftige Kritik an der neuen Behörde, in der sie nur ein Repressionsmittel sehen. „Wie viele ‚Oberste Räte’ brauchen wir noch?“ fragt etwa der Twitter-Nutzer Parham Baghestani: „Mit dem Neuen wären es nun sechs.“  Und Hesam Motahari twittert: „ Jeder weiß, dass der ORC ‚das Falsche‘ tun wird. Warum versuchen sie das zu verheimlichen?“ Arash Unique schreibt: „Ich verstehe nicht einmal den Sinn des ORC.“
Hootan sieht in der Gründung des ORC eine interessante Politikwende der Regierung: „Die Gründung des ORC bedeutet, dass die Regierung  die Pläne für das ‚Nationale Internet‘ aufgegeben hat, weil sie festgestellt hat, dass es nicht funktioniert. Nun probieren sie einen anderen Ansatz.“
Und während sich manche, wie etwa der FriendFeed-Nutzer Yek Mohammad, über den ORC lustig machen: „Warum heißt es ,Der Oberste Rat für das Cyberspace‘? Warum nicht ,Der Wunderbare Rat für das Cyberspace‘’?, schaut AliChi in die Zukunft und sagt voraus: „Schon in Kürze eine Ankündigung des ORC: Kein Zugang mehr zum Internet.“
Und manchem reicht die Auseinandersetzung mit der neuen Behörde nicht weit genug. Nutzer Amin Sabeti wundert sich: „Es ist erstaunlich, wie wenige Blogs über den ORC schreiben.“
Der letzte Mittwoch des Jahres

Screen shot - Arash UNique auf Twitter
Screen shot - Arash UNique auf Twitter

Der letzte Mittwoch des iranischen Jahres, „Chahar Shanbeh Suri“, fand in diesem Jahr in der Nacht vom 13. auf den 14. März statt und wurde mit zahlreichen Bräuchen und Traditionen gefeiert – unter anderem springt man in der Nacht über ein großes Feuer. Obwohl das gemeinschaftliche Pflegen dieses Brauches seit der islamischen Revolution 1979 eigentlich verboten ist, wird das Fest landesweit und ausgiebig gefeiert. Dabei zeigen sich die Ultrakonservativen jedes Jahr aufs Neue besorgt über die Feiern. Viele regimetreue Internetaktivisten hatten im Vorfeld vor einem „Missbrauch“ des Festes gewarnt.
Der Blogger „Bassirat“ veröffentlichte  sogar die Meinungen einiger einflussreicher Ayatollahs, die „Chahar Shanbeh Suri“ als „abergläubisches Ritual“ oder „unmoralische Sitte“ bezeichnen.
Der Koran und „modernes“ Feiern
Laut dem Nachrichtenportal Mashregh News hat der Koran selbst vorgeschrieben, wie die Menschen „Chahar Shanbeh Suri“ feiern sollten. Danach sei jeder Tag „Chahar Shanbeh Suri“ und man solle nicht auf die Straße gehen und echte Feuer entzünden, sondern bei sich selbst feiern und böse Gedanken in einem imaginären Feuer verbrennen. Der Koran habe damit „eine moderne Art“ des Feierns von „Chahar Shanbeh Suri“ vorgeschlagen, so Mashregh News.
Auch das iranische Staatsfernsehens (IRIB) war in Bezug auf den Feiertag kreativ: In der Nacht vom 13. auf den 14. März wurden beliebte Hollywood-Filme gezeigt. Einige Internetaktivisten bezeichneten dies als „Instrumentalisierung von Hollywoodfilmen“, mit der die Menschen vom Feiern abgehalten werden sollten. In einem Kommentar für die BBC schreibt Majid Mohammadi: „Diese Instrumentalisierung von Hollywoodfilmen geschieht in einem Land, in dem sonst Seminare gegen solche Filme abgehalten werden“.
Die iranische Polizei hatte angekündigt, am letzten Mittwoch des Jahres „keine Menschenansammlungen“ tolerieren zu wollen. Denn sowohl kulturell als auch politisch bietet der vorislamische Feiertag „Chahar Shanbeh Suri“ dem Regime Grund zur Sorge. Nicht zuletzt deshalb, weil die Bevölkerung seit den Präsidentschaftswahlen 2009, deren Ergebnisse Proteste und Demonstrationen hervorriefen, solche Anlässe nutzt, um ihren Protest auf die Straßen zu tragen. Doch die Befürchtungen waren in diesem Jahr unbegründet. Demonstrationen blieben in der Nacht der Feierlichkeiten aus.
Auch für die iranische Diaspora im Ausland bildet sich in den Bräuchen des „Chahar Shanbeh Suri“ eine ursprüngliche iranische Identität ab. Der Karikaturist Mana Neyestani veranschaulicht in diesem Cartoon diese „unverwüstliche iranische Identität“.
Quelle: Iran Media Programm
Aus dem Englischen: Resa Mohabbat-Kar
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