„Gott liebt uns Theatermacher!“

Bei einem Treffen iranischer Kulturschaffender mit Hassan Rouhani hat die iranische Dramatikerin Naghmeh Samini den Präsidenten des Iran aufgefordert, sich für diejenigen einzusetzen, die in der Islamischen Republik zum Schweigen verurteilt seien. TFI dokumentiert Auszüge aus Saminis Rede.
Am 8. Juni trafen Präsident Hassan Rouhani und sein Kultusminister Ali Janati mit zahlreichen iranischen KünstlerInnen und Kulturschaffenden zusammen. Rouhani selbst plädierte dabei für die Freiheit der Kunst, fordert aber zugleich die KünstlerInnen auf, sich an gesellschaftliche Normen zu halten und Tabugrenzen nicht zu überschreiten.
Naghmeh Samini, erfolgreiche Drehbuchautorin, Dramatikerin und Universitätsdozentin, antwortete dem Präsidenten. TFI dokumentiert Auszüge aus ihrer Rede.
„Hallo, Herr Präsident!
Die Zeit ist knapp, daher erlauben Sie, mir gleich zur Sache zu kommen: Sie wissen, wie es den Theaterschaffenden in den vergangenen Jahren ergangen ist! Sie erfahren keinerlei Unterstützung, sie unterliegen der Zensur und können so ihrem Beruf nicht nachgehen. Jeder hat in seinem Umkreis Freunde und Bekannte, die bereits ausgewandert sind oder daran denken, den Iran für immer zu verlassen. Sie wollen fort, wohin auch immer.
Es ist kein Geheimnis, dass man hierzulande sein Brot nicht mit Theater verdienen kann. Ebenso ist bekannt, dass junge Theaterabsolventen auf dem Arbeitsmarkt vor verschlossenen Türen stehen und keine Beschäftigung finden. Dabei schien das iranische Theater vor etwa zwölf Jahren eine ganz andere Entwicklung zu nehmen. Damals griff es nach den Sternen. Es entstand eine Fülle von Theaterstücken – nur um in den Schubladen der Zensurbehörde zu verschwinden und dort in den Winterschlaf zu versinken.
Herr Präsident, ich vertrete hier diejenigen, die sonst keine Stimme haben, die zum Schweigen verurteilt sind und doch vor kreativen, originellen Ideen brennen. Ich spreche für diejenigen, die ganz für das Theater leben, die an die Kraft des Theaters und des Dialogs glauben, die an der Gewaltlosigkeit festhalten und ihre Überzeugungen auf die Bühne bringen wollen. Ich trete für diejenigen ein, denen das Theater alles bedeutet, die aber in die Ecke gedrängt, ja sogar ausgelöscht werden.
Die Mauer des Misstrauens zwischen den Theaterleuten und den Machthabern, die uns verurteilen, ist sehr hoch. Aber je weiter sie in die Höhe wächst, desto leichter wird sie zusammenstürzen und desto schneller wird all das vergessen werden, was wir seit Jahren erleiden. Auf der anderen Seite der Mauer sitzen noch immer diejenigen, die die Theaterschaffenden als Feinde ansehen, denn unsere Waffen sind der Text, das Schauspiel und die Bühne.
Zweifelsohne war es ein kultureller Fortschritt der Menschheit, als vor Jahrhunderten zum ersten Mal Krieg und Gewalt auf der Bühne dargestellt wurden. Als damit begonnen wurde, das Erschreckende des menschlichen Charakters in Szene zu setzen und durch das Theater, nicht etwa durch Gefängnisse, Konflikte zu beseitigen. In dieser instabilen und gerade deshalb so wichtigen Zeit sollten Theaterschaffende als Träger des Kulturerbes der Antike verstanden werden, in der das Theater als ‚Reinigung der Gesellschaft’ galt.
Ja, Herr Präsident! Wir sind die zum Schweigen gebrachten, mittellosen Träger des humanen Kulturerbes. Ich bin davon überzeugt: Gott liebt uns Theatermacher – auch wenn die herrschende Meinung im Iran das Gegenteil behauptet. Gott liebt uns; denn wenn Gott uns nicht liebte, würden wir unter all dem politischen Druck nicht wie besessen daran arbeiteten, bei jeder Gelegenheit, mit oder ohne Erlaubnis, einen Text zu inszenieren, an den wir glauben.
Herr Präsident! Wie Sie zweifellos auch wissen, leben wir in einem Land, in dem staatliche Gelder in Milliardenhöhe verschwinden und die Theaterleute leer ausgehen, weil die Behörden auf der anderen Seite der Mauer des Misstrauens uns nicht mögen – obwohl bereits mit einem Bruchteil dieser verlorenen Milliarden Hunderte junge Theaterleute gefördert werden könnten. Denn der Gott, der uns liebt, weiß, dass ohne Kulturentwicklung der wirtschaftliche Fortschritt des Landes nicht vonstatten gehen kann. Gott weiß, dass Theaterentwicklung geistigen Fortschritt bedeutet. Gott liebt uns Theatermacher dafür, dass wir existieren – ob mit oder ohne Geld. Aber die, die in den Behörden sitzen, mögen uns nicht.
Herr Präsident! Ich spreche für diejenigen, deren Stimme nicht zählt oder nicht gehört wird. Ich spreche für diejenigen, die ignoriert oder ins Exil getrieben werden. Ich spreche für Theaterautoren, die jahrelang auf eine Antwort der Zensurbehörde warten, für Theaterregisseure, die seit Jahren mit einem Text von einem Theater zum nächsten laufen – ohne Ergebnis. Ich spreche für die Bühnenbildner, die ohne Finanzierung sich bei ihren Inszenierungen mit zwei Stühlen begnügen müssen. Ich spreche für die talentierten Theaterstudenten, denen das Wort ‚Zukunft’ sichtbar Angst macht: Sie schauen uns an und denken an Flucht; sie blicken auf die ausgewanderten KollegInnen und schweigen.
Herr Präsident! Wir sind es leid, ohne Hoffnung zu leben. In einer Frühlingsnacht eroberten wir im Vertrauen zu Ihnen die Straßen und holten die Hoffnung aus dem Versteck unseres Herzens hervor – eine nie verstummte, ins Exil getriebene Hoffnung, denn unsere Geschichte ist ein Zyklus der Präsenz und Wiedergeburt dieser Hoffnung.
Herr Präsident, unsere Forderungen sind klar und oft ausgesprochen worden: Theaterförderung, mehr Spielstätten, Theaterzeitschriften, Unabhängigkeit der Theaterinstitutionen, Aufbau einer Gewerkschaft für Theaterschaffende…
Vor allem aber, Herr Präsident, vertrauen Sie uns und lassen Sie uns nicht im Stich!
  FP
  Aus dem Persischen von Said Shabahang