Kulturelle Zensur im Iran: Schleichende „Säuberung“

„Viele Künstler und Kulturschaffende im Iran haben keine Motivation mehr, produktiv zu sein“. Das Ergebnis einer Studie der britischen Small Media Foundation zur kulturellen Zensur im Iran ist erschreckend. Ein Gastbeitrag von Bronwen Robertson, Co-Autorin dieser Studie.
Kulturelle, künstlerische und literarische Betätigung im Iran wird seit den  Präsidentschaftswahlen im Jahr 2009 und den darauf folgenden öffentlichen Protesten zunehmend schwieriger, die Einschränkungen für Kulturschaffende steigen dramatisch an.
So wird es etwa immer komplizierter, durch den Prüfprozess des Ministeriums für Kultur und islamische Führung  zu navigieren, und einmal vom Ministerium vergebene Lizenzen, deren Erteilung oft mehrere Monaten der Ungewissheit vorangehen, sind nicht immer von Dauer. Der Entscheidungsprozess ist willkürlich und beruht auf persönlichen und politischen Präferenzen. Dies kann nur eins bedeuten: Die Regierung ist zunehmend beunruhigt angesichts der Wirkmächtigkeit von Literatur, Film, Theater, Musik und Kunst. Welchen Einfluss Kunst und Kultur auf das Leben von Iranerinnen und Iranern haben können, ist offensichtlich – und die Regierung ist verängstigt.
Doch in den vergangenen Monaten sind viele kreative Talente Irans unter der Last der Unterdrückung zusammengebrochen. Mohammad-Ali Sepanlou, ein Dichter, dessen Buch vor kurzem verboten wurde, sagte im Januar der iranischen „Labour News Agency“: „Unter diesen erstickenden Bedingungen steht einem nicht mehr der Sinn danach, produktiv zu sein.“
Zensur klassischer Literatur
In diesem Jahr haben die Zensoren des Kulturministeriums einem Verlag die Lizenz zur Neuauflage von „Khosrow und Shirin“ entzogen – obwohl das epische Liebesgedicht zuvor bereits mehrere hundert Male neu aufgelegt wurde. Die entscheidende Szene, in der die „Julia“ der Liebesgeschichte den toten Körper ihres Geliebten umarmt, sei nicht mehr tragbar, heißt es nun. Dumm nur, dass der Verlag den Autor nicht mehr konsultieren kann – Hakim Nezami Ganjavi starb vor mehr als 800 Jahren. Ganjavis Epen sind nicht nur Teil des kulturellen Erbes des Iran. In diesem Jahr hat die UNESCO sie auch in ihr „Memory of the World“-Programm aufgenommen.

Frustration überall

Umschlagsfoto der Studie "Kulturelle Zensur im Iran"
Umschlagsfoto der Studie "Kulturelle Zensur im Iran"

Während also Kunstgalerien stillgelegt, Filme verboten, Bücher aus den Regalen verbannt und Konzerte abgesagt werden, steigt sowohl bei den Kulturschaffenden als auch bei deren Publikum die Frustration. Solche Beispiele „oberflächlicher“ Zensur sind sichtbar und quantifizierbar. Doch die zahlreichen Fälle indirekter und strategischer Zensur sind weitaus schwieriger zu überwachen.
Eine Kombination aus Sanktionen, galoppierender Inflation und Verknappung hat die Preise für Pappe und Papier in die Höhe schnellen lassen. Unabhängige Verlage können da nicht mehr mithalten und werden vom Markt gedrängt. Während die verantwortliche Abteilung des Kulturministeriums regierungsfreundliche Verlage subventioniert, nehmen die Qualität der übrigen Publikation, die Zahl der Bücher auf dem Markt und damit die Themenvielfalt exponentiell ab. So wird ohne viel Aufsehen die Spreu vom Weizen getrennt. Unabhängige Verlage werden sich selbst und ihrem Schicksal überlassen.
Und regierungsfreundliche Verlage sind nicht die einzigen, die Subventionen und bevorzugte Behandlung erhalten. Politische Patronage und Klientelismus erstrecken sich in alle kulturellen Bereiche. In einem Interview mit der Zeitung „Mardom Salari“vom 24. Februar argumentierte Qutbuddin Sadeqi, Dramatiker, Regisseur und Dozent für Theaterwissenschaften, dass die Regierung im Gegenzug für Gas-, Weizen-, Brot- und Zucker-Subventionen von den Menschen nichts erwarte – warum also solle das bei der Unterstützung der Künste anders sein?
Bestrafung der Kulturschaffenden
Doch die Realität sieht anders aus. Kulturschaffende, die sich professionell oder privat gegen die herrschenden Kräfte positionieren, müssen mit harten Strafen rechnen. Ihre Filme werden verboten, ihre Bücher aus den Regalen genommen, Theaterbühnen von unliebsamen Darstellern gesäubert, zahlreiche Filmemacher wurden inhaftiert.
Mohammad Reza Shajarian, einer der berühmtesten Sänger Irans, äußerte offen seine Unterstützung für die oppositionelle Grüne Bewegung nach den Wahlen 2009. Obwohl er alle Songs aus seinem aktuellen Album „Morgh-e Khoshkhan“ in der eigenen Konzerthalle des Innenministeriums aufgeführt hatte, erhielt Shajarians Plattenfirma „Del Awaz“ die Erlaubnis zur Veröffentlichung erst, nachdem sie gedroht hatte, alternative Vertriebswege außerhalb des Irans zu suchen.
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur ILNA vom 8. März brachte der Komponist und Tambour-Spieler Ali Akbar Moradi das Dilemma für die Musiker auf folgende Formel: „Es sind die Musiker gewesen, die all die Jahre die Flamme der Musik am Brennen gehalten haben. Die kulturellen Autoritäten und  Behörden haben nichts anderes getan, als die Musik für ihren eigenen Profit auszunutzen.“
Der Zustand des iranischen Kunst- und Kultursektors ist also alarmierend. Durch eine Mischung aus direkter und indirekter Zensur findet eine schleichende kulturelle Säuberung statt, die nahtlos an den Umgang mit kritischen Journalisten und Oppositionellen anknüpft.
 
Zur Person:
Bronwen Robertson ist Ethnologin und hat für Ihre Doktorarbeit über Ausdrucks- und Identitätsmuster in der Teheraner underground Rock-Musik für ein Jahr in Teheran gelebt und recherchiert. Robertson ist Co-Autorin der im Juli 2011 von der Small Media Foundation veröffentlichten Studie „Cultural Censorship in Iran“. Die Studie dokumentiert die Auswirkungen der Zensur auf die  Theater-, Kino-, Musik- und Literaturlandschaft in Iran und analysiert direkte und indirekte Zensurstrategien der iranischen Behörden.