Von Kindern und Blumen – Straßenkinder im Iran

Kinderarbeit nimmt in den Großstädten Irans immer mehr zu. Das iranische Arbeitsrecht verbietet die Beschäftigung von Kindern unter 15 Jahren. Doch nutzen kriminelle Banden die Armut der Familien aus, um die Kinder zum Arbeiten zu zwingen. Ein Bericht aus Teheran.

Die Kreuzung ist den ganzen Tag über voll mit Autos, die von der Ampel und einem Verkehrspolizisten zum Bremsen gezwungen werden. Ein Segen für Ali, der rasch versucht, die FahrerInnen dazu zu bewegen, Blumen von ihm zu kaufen – was ihm nicht gerade häufig gelingt. Auf die Frage, warum er nicht in der Schule sei, lächelt der Dreizehnjährige nur schüchtern und senkt den Blick. Er habe nur ein Jahr lang die Schule besucht. Dann musste er arbeiten. Die Mutter sei gestorben, der Vater drogensüchtig – und so habe er die Verantwortung, zwei jüngere Geschwister zu ernähren.
Ali ist nur eins von zehntausenden Straßenkindern in der Islamischen Republik. Genaue Zahlen existieren nicht. Mohammad Nafariye von der staatlichen Wohlfahrtsorganisation Sazmane Behsisti spricht von 17.000 Straßenkindern und einigen Tausend Kinderarbeitern. Experten schätzen die Zahl der Straßenkinder auf weit über 50.000. Eine vom Nachrichtenportal Bahar News veröffentlichte Studie zeigt, dass über 30 Prozent der Straßenkinder zwischen sechs und elf Jahre alt sind, neun Prozent sind sogar jünger. Etwa 30 Prozent von ihnen haben nie eine Schule besucht.

Modernisierungsverlierer

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Der Soziologe Mohammad Ahmadi hält die Straßenkinder und Kinderarbeiter für eines der größten Problemen des Landes: „Diese Kinder haben weder Zugang zu angemessener Ernährung und Bildung noch zu Freizeitangeboten. Sie leiden unter unterschwellig anwachsenden Aggressionen.“ Seine Untersuchungen hätten gezeigt, „dass zwei von drei Morden in Teheran von Personen begangen werden, die eine schlimme Kindheit erlebt haben“, so der Wissenschaftler. Davar Sheykhawandi von der Universität Allameh Tabatabayi hält die Kinder und Jugendlichen für Modernisierungsverlierer: „Die Menschen aus den kleinen Städten und Dörfern konnten sich der Modernität der großen Städte nicht anpassen. Aus Gründen wie Armut, Drogenabhängigkeit der Eltern und häusliche Gewalt landen viele ihrer Kinder auf die Straße.“
Für den Sozialexperten Alireza Khorasani ist die Ursache für Kinderarbeit die Armut der Familien. Die Kinder würden „an Menschen weitergegeben, die aus ihnen Profit schlagen“, sagt er: „Diese Menschenhändler geben den Kindern Essen, Kleidung und ein Obdach. Dafür müssen die Kinder stundenlang an Straßenkreuzungen Käufer für ihre Waren finden.“ Manchmal sammle die Stadt die Kinder ein, aber da entsprechende Einrichtungen und finanzielle Mittel fehlten, würden sie bald wieder entlassen.
Obwohl im Iran elf Organisationen existieren, die für sie zuständig sind, gibt es keinerlei ernsthafte Unterstützung für Kinderarbeiter. Das Justizministerium hat immerhin kürzlich angekündigt, dass sich das ändern soll: „Kinderhandel und Kinderarbeit sind wichtige Themen, die Expertenarbeit und richtige Planung benötigen. Wir müssen unsere Defizite in diesem Bereich wiedergutmachen.“

Kein Geld für Straßenkinder

Blumenverkäuferin in Teheran
Blumenverkäuferin in Teheran

Auf großen Werbetafeln ruft die iranische Hauptstadt seit einiger Zeit die Bevölkerung auf, den Straßenkindern kein Geld zu geben und ihnen nichts abzukaufen. Die Teheraner Stadträtin Fatemeh Daneshvar kündigt einen Plan für die Zusammenarbeit mit der iranischen Wohlfahrtsorganisation für die Versorgung der Kinderarbeiter an: Wenn der beschlossen sei, kenne „jede Institution klar ihre Pflicht, und die muss erfüllt werden.“ Mangelnde Kooperation zwischen verschiedenen Institutionen sowie fehlende Finanzmittel sind ihrer Meinung nach der Grund, weshalb noch keine Lösung gefunden worden sei.
Und wie der dreizehnjährige Ali sich eine Lösung seiner Probleme vorstellt? „Wenn jedes Auto an dieser Kreuzung eine Blume von mir kaufen würde, könnte ich in zehn Jahren einen Blumenladen eröffnen“, sagt er.♦

  Pooya Azadi

Aus dem Persischen: Parisa Tonekaboni

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