Stärker durch Verfolgung: Die iranische Frauenbewegung
Die iranische Frauenbewegung im Iran und im Ausland kämpfte lange Zeit getrennt. Zwar hat der Kontakt zwischen den AktivistInnen in den vergangenen Jahren immer mehr zugenommen. Doch die Frauenbewegung zieht noch nicht an einem Strang.
Dass der neue iranische Präsident Hassan Rouhani FrauenaktivistInnen erlaubt hat, am internationalen Frauentag am achten März eine Veranstaltung abzuhalten, stimmt die iranische Frauenrechtlerin Khadijeh Moghaddam optimistisch: „So etwas gab es unter Ahmadinedschad nicht“, sagt sie: „Es bleibt zu hoffen, dass Rouhani diesen Weg, den er vorsichtig eingeschlagen hat, weiter geht.“ Hoffnung, Vorsicht: Solche Worte benutzt Moghaddam, die seit der Niederschlagung der sogenannten Grünen Bewegung im Iran 2009 im deutschen Exil lebt, oft, wenn sie über die Situation der Frauenbewegung im Iran spricht. Damit gehört sie zu jenen AktivistInnen, die hoffen, dass auch im Rahmen des Systems der Islamischen Republik Verbesserungen für die Lage der Frauen herbeigeführt werden können.
Die Aktivistin Helen Vaziri, die bereits nach der Revolution im Iran 1979 nach Deutschland geflohen und seit dieser Zeit ein Teil der iranischen Frauenbewegung im Ausland ist, steht dem skeptisch gegenüber: „Es ist illusorisch zu glauben, dass mit den Vertretern der Islamischen Republik Frauenrechte durchgesetzt werden können. Die Gesetze, die dieses System geboren hat, können nicht verändert werden“, so Vaziri gegenüber TFI.
Damit markieren die beiden Feministinnen die Positionen, die die iranische Frauenbewegung im In- und Ausland trennen: Für Moghaddam ist Vaziris Bewertung typisch für die iranischen Frauenrechtlerinnen, die im Ausland leben. Die seien „radikaler als ihre MitstreiterInnen im Iran“, so Moghaddam: Sie forderten offen, dass alle Gesetze, die die Rechte der Frau beschneiden, aufgehoben werden, und riefen nach völliger Gleichberechtigung. Doch: „Solche Maximalforderungen können im Iran nicht gestellt werden“, glaubt die seit knapp fünf Jahren in Deutschland lebende Moghaddam: „Um ihre politischen Ziele zu erreichen, müssen die AktivistInnen im Iran viel moderater und geduldiger vorgehen“, sagt sie im Gespräch mit TFI.
Differenzen innerhalb der Bewegung
Moghaddams Position, die sie mit vielen MitstreiterInnen im Iran teilt, erklärt sich vor dem Hintergrund der Entwicklung der iranischen Frauenbewegung, für die der Boden nur sehr langsam bereitet werden konnte. Denn es dauerte nach der Revolution von 1979 fast 20 Jahre, bis die politische Situation es FrauenrechtlerInnen im Iran erlaubte, sich Gehör zu verschaffen. Erst seit dem Wahlsieg des reformorientierten Präsidenten Mohammad Khatami 1997 wurden politischen und gesellschaftlichen Gruppierungen größere Freiheiten eingeräumt, wovon auch FrauenaktivistInnen Gebrauch machten. „Wir haben uns damals vor allem für kleinere Verbesserungen eingesetzt, etwa für das Recht, auch ohne die Erlaubnis des eigenen Vaters heiraten zu dürfen oder für ein faireres Erbrecht und fairere Löhne für Frauen. Unter den damaligen Gegebenheiten schienen uns derartige Forderungen realisierbar“, sagt Moghaddam.
Als Bühne für den Austausch über Strategien und Ideen dienten den AktivistInnen in der Ära Khatami in erster Linie Frauenkonferenzen. Dieser Bühne wurden die Frauen jedoch nach dem Wahlsieg des konservativen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad im Jahr 2005 wieder beraubt. Dennoch gelang es der Frauenbewegung im Iran, sich am Leben zu erhalten, da sie sich während der Reformjahre Organisationsstrukturen aufgebaut hatte, von denen sie nun profitierte. Sie organisierte 2006 die „Eine Million Unterschriften“-Kampagne für Frauenrechte und andere kleine Kampagnen, die frauendiskriminierende Gesetze kritisierten und einen Diskurs der Rechte von Frauen anregten. Erst die wieder zunehmenden Repressalien gegen politische und gesellschaftliche AktivistInnen nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2009 versetzten der Frauenbewegung einen Schlag, von dem sie sich bis heute nicht gänzlich erholt hat. Solche Rückschläge dienen Vaziri und anderen iranischen FrauenrechtlerInnen im Ausland als Rechtfertigung für ihre radikalen Forderungen, die sie angesichts der repressiven Gesetze in der Islamischen Republik für notwendig halten.
Revolution als Einschnitt
Dass sich die iranische Frauenbewegung strategisch und ideologisch unterschiedlich entwickelte, ist auf die Revolution von 1979 zurückzuführen. Der Sieg der religiösen Kräfte um Ayatollah Ruhollah Khomeini im Kampf um die postrevolutionäre Macht bedeutete für die Frauen im Iran, dass sie sich mit neuen Gesetzen konfrontiert sahen, die ihre Freiheiten massiv beschneiden sollten. Der Zwang zur Verschleierung, das Verbot der Ausübung bestimmter Berufe sowie die Reduzierung der Rechte von Ehefrauen sind nur wenige Beispiele in einer Reihe von Maßnahmen, die die neuen Herrscher des Iran gegen Frauen damals ergriffen haben, um vermeintlich religiöse Prinzipien in die Realität umzusetzen.
Viele AktivistInnen verließen in den ersten Jahren nach dem Sturz des Schah-Regimes aufgrund von Repressalien der neuen Machthaber das Land und setzten ihre politische Arbeit in Europa oder Nordamerika fort. Andere blieben im Iran. Das teilte die iranische Frauenbewegung für Jahrzehnte.
Neue Kontakte
„In all den Jahren haben wir im Ausland das gemacht, was den Frauen im Iran aufgrund ihrer Situation nicht möglich war. Wir informierten die Öffentlichkeit über die im Iran verfolgten FrauenrechtlerInnen und über die frauendiskriminierenden Gesetze des Iran. Zudem setzten wir uns für jene AktivistInnen ein, die wegen ihres Engagements im Gefängnis sitzen“, so die Frauenrechtlerin Helen Vaziri. „Doch aufgrund der Distanz war es uns im Ausland lange nicht möglich, uns mit den AktivistInnen im Iran so auszutauschen, wie es notwendig gewesen wäre.“ Das ändere sich nun: „Durch die verstärkte Nutzung des Internets und weil viele MitstreiterInnen nun im europäischen Exil leben, ist die inhaltliche und organisatorische Koordinierung jetzt einfacher.“ Denn nach den Ereignissen von 2009 flüchteten erneut viele FrauenrechtlerInnen, die einer Inhaftierung entkommen konnten, ins Ausland – und wurden Teil der dortigen Frauenbewegung, die seitdem laut Vaziri besser vernetzt ist als je zuvor. Das alles tue der iranischen Frauenbewegung gut, sagt Vaziri.
Doch trotz der neuen Austauschmöglichkeiten bleibt abzuwarten, ob sich die AktivistInnen durch den intensiveren Kontakt auch auf Strategien und Ziele verständigen können. Denn noch kann von einer Vereinigung der Frauenbewegung nicht die Rede sein. Zu lange haben die AktivistInnen getrennt voneinander gekämpft, zu verschieden sind die Erfahrungen, die sie in diesen Jahren gemacht haben, und zu unterschiedlich sind die politischen Strategien, um das Ziel der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu erreichen.
Nahid Fallahi / Jashar Erfanian