Selbstmord als letzter Ausweg

Jährlich versuchen im Iran Tausende AkadmeikerInnen mit ihrem Leben abzuschließen. Zwei Experten erklären im Gespräch mit Iran Journal die Ursachen der steigenden Selbstmordrate unter den iranischen StudentInnen. 

Hossein Khojastehnia sei ein erfolgreicher Student gewesen, berichten seine ehemaligen StudienkollegInnen und Uni-DozentInnen in iranischen Medien. In wenigen Wochen hätte der junge Teheraner seine akademische Laufbahn wahrscheinlich mit einem Doktortitel gekrönt. Doch vergangenen Montag fasste Khojastehnia den Entschluss, seinem Leben ein plötzliches Ende zu bereiten. Was genau ihn dazu trieb, eine Zyankali-Kapsel zu schlucken, ist ungeklärt.
Kaum Zahlen
Auffällig sind jedoch die sich mehrenden Meldungen über Selbstmorde junger iranischer AkademikerInnen. Wie viele StudentInnen sich jährlich das Leben nehmen, darüber gibt es keine neuen Statistiken. Einer vier Jahre alten des Wissenschaftsministeriums zufolge versuchen sich im Iran jährlich durchschnittlich 4.200 StudentInnen das Leben zu nehmen. Wie viele dieser Versuche gelingen, geht aus der Statistik nicht hervor. Eine noch ältere Studie besagt, dass drei Viertel der studentischen SelbstmörderInnen weiblich sind. Sie besagt zudem, dass zwischen 1998 und 2004 Suizide zweithäufigste Todesursache bei iranischen StudentInnen war – nach Unfällen im Straßenverkehr.
Finanzielle Nöte

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Viele junge Menschen zerbrechen an ihrer wirtschaftlichen Not!

Über 4.000 StudentInnen sollen also jährlich versuchen, sich das Leben zu nehmen: Eine erschreckend hohe Zahl, wenn man bedenkt, dass es nach offiziellen Angaben unter allen anderen Bevölkerungsgruppen zwischen März 2013 und März 2014 mindestens 4.055, also fast ebenso viele Selbstmordopfer gab.
Doch was sind die Gründe dafür, dass so viele iranische Studierende mit ihrem Leben abschließen wollen? Hossein Khojastehnia sei nicht depressiv gewesen, glauben seine FreundInnen. Einzig finanzielle Sorgen habe er gehabt.
Geldsorgen als Selbstmordmotiv? Für den Teheraner Sozialwissenschaftler Abbas Mohammadi durchaus vorstellbar: „Das Leben im Iran ist in den vergangenen Jahren immer teurer geworden“, sagt er TFI. „Viele junge Menschen zerbrechen an ihrer wirtschaftlichen Not. Als Student oder Studentin ist es schwer, den akademischen Pflichten erfolgreich  nachzugehen und nebenher noch Zeit zu finden, zu arbeiten, um Geld zu verdienen.“
Auch der Hannoveraner Sozialpsychologe Siamak Zarifkar sieht Geldsorgen als einen der Gründe für die vielen Suizidversuche unter StudentInnen im Iran. Diese Sorgen wirkten sich in Kombination mit dem Fehlen einer beruflichen Perspektive verheerend auf die Psyche junger Menschen aus, sagt Zarifkar im Gespräch mit TFI.
Familiärer und politischer Druck 
Einig sind sich die beiden Experten darin, dass es die Gesamtheit der die Lebenswelt der StudentInnen bestimmenden Probleme ist, die ihnen Selbstmord als letzten Ausweg erscheinen lässt. „Natürlich können private oder psychische Probleme Gründe für den Freitod eines Studenten sein. Nicht zu unterschätzen ist jedoch der Druck, der speziell auf StudentInnen lastet“, so Zarifkar. „Oft spielt die Verwandtschaft eine negative Rolle“, sagt Mohammadi im Gespräch mit TFI. „Viele Eltern drängen ihre Kinder zu einem Studium, das diese nicht wollen. Andere geraten mit ihren Kindern in einen ausufernden Konflikt, wenn die akademischen Leistungen nicht ihren Erwartungen entsprechen.“
Offenbar gibt es unter den SelbstmörderInnen mehr Frauen als Männer!
Offenbar gibt es unter den SelbstmörderInnen mehr Frauen als Männer!

Zudem sei das StudentInnendasein auch mit Repressionen auf dem Campus verbunden, was sich ebenfalls belastend auf die Seele auswirke, so Zarifkar und Mohammadi. „Schon während der Schah-Zeit standen die iranischen Universitäten unter besonderer Beobachtung der Herrschenden, weil sie als Hort der politischen Meinungsbildung galten. Auch in der Islamischen Republik werden die Aktivitäten der StudentInnen von den Autoritäten mit Argusaugen verfolgt.“ Diese müssen deshalb stets mit der Angst leben, exmatrikuliert zu werden, wenn sie sich im Unterricht oder auf studentischen Versammlungen kritisch äußerten, so der Sozialwissenschaftler Mohammadi. „Wenn man ständig in Sorge leben muss, kann sich das verheerend auf die geistige Gesundheit eines Menschen auswirken. Und wenn Menschen sich entscheiden, Selbstmord zu begehen, ist ihr Geist nicht mehr gesund.“
Frauen besonders betroffen
Auch dafür, dass es unter den SelbstmörderInnen offenbar mehr Frauen als Männer gibt, hat Mohammadi eine Erklärung. Frauen hätten es an den Universitäten noch schwerer als Männer, glaubt er: „Die Schikanen, die Studentinnen sowohl seitens der Moralwächter als auch seitens konservativer Studenten wegen einer möglicherweise schlecht sitzenden Kopfbedeckung erdulden müssen, sind eine Sache. Viele Studentinnen, die sich auf dem Campus mit Männern zeigen oder vielleicht einen Freund haben, müssen befürchten, exmatrikuliert zu werden.“ Diese Angst vor einem Verweis aus moralischen Gründen, aber auch der Rufmord seitens konservativer Studenten, dessen Opfer viele Studentinnen werden, könne in Kombination mit anderen Problemen dazu führen, dass Studentinnen keinen anderen Weg mehr sähen, als ihrem Leben ein Ende zu setzen, so der Sozialwissenschaftler.
Jashar Erfanian und Nahid Fallahi