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Pyrrhussieg der Hamas, Ratlosigkeit im Iran 

Die Teheraner „Siegesfeier“ währte nicht lang, genauer gesagt: drei Tage, bis Israel realisiert hatte, was eigentlich geschehen war, bis Netanjahu einsah, dass er eine nationale Koalition brauchte. Der Hamas-„Sieg“ wurde mit Beginn der massiven Bombardierung Gazas zu einem Pyrrhussieg.

Auch in Teheran schlug man das nächste Blatt auf, das der Opferdarstellung. Wie eine Inszenierung, vorhergesehen und vorgeschrieben, schaltete der Propagandaapparat um. Der Sender Al Jazeera aus Doha lieferte ausreichend Bilder des Elends. Nicht „die glorreichen Gotteskämpfer“, sondern die zerstückelten Leichen von Babys auf den Armen ihrer weinenden Mütter und schreienden Väter standen nun im Mittelpunkt. In einer Dauerschleife sieht und hört man dies seitdem unentwegt in allen TV-Programmen, den millionenfachen Webportalen und in unzähligen Kanzelpredigten.

Mäßigung à la Khamenei

Parallel dazu gibt es einen zaghaften Rückzug. Irans UN-Mission milderte plötzlich ihren aggressiven Ton und versicherte der Welt, der Iran würde nie eingreifen, es sei denn, Israel greife „iranische Interessen oder Bürger“ an. Was das Interesse ist, das vor dem Bürger kommen muss, davon hört man dieser Tage von der libanesisch- israelischen Grenze. Die Hisbollah ist das geliebte, gelobte und hochgerüstete Kind der Islamischen Republik. Es gibt Meldungen, dass der Iran sich nun in einer Zwickmühle befinde. 

Koffer voller Dollar für die Hamas 

Die Machtbasis, die mit der Hamas und dem Islamischen Dschihad über drei Jahrzehnte hinweg in Gaza aufgebaut wurde, die „strategische Tiefe“, wie Ali Khamenei es nennt, droht zu verschwinden. Die Hamas soll jährlich 100 Millionen Dollar Hilfe aus dem Iran bekommen haben, so das Washingtoner State Department.  Die Geschichte, die Mahmud Zahar – einst Hamas-Außenminister – vor zwei Jahren dem arabischen Fernsehsender Al Alam erzählte, geht in den sozialen Netzwerken immer noch viral. Sie ist eine Erzählung über grenzenlose Rückendeckung. Zahar erzählt von einer seiner Reisen in den Iran im Jahre 2006 und über das Ausmaß der iranischen Hilfsbereitschaft für die Hamas: „Als ich in Teheran Qassem Soleimani traf, erzählte ich ihm von unseren Schwierigkeiten, die Gehälter unsere Kader zu bezahlen und unsere sozialen Dienste aufrechtzuerhalten sowie über unseren Rüstungsbedarf. Bruder Qassem wies sofort an, meine Wünsche zu erfüllen. Am nächsten Tag, vor der Abreise unserer Delegation, sah ich auf dem Flughafen, dass alle unsere Koffer mit Dollars gefüllt waren. Es waren 22 Millionen Dollar. Hätten wir mehr Koffer mit gehabt, hätten wir mit Sicherheit mehr mitnehmen können. In einen Koffer kann man ja nicht mehr als vierzig Kilogramm hineinpacken.“ Al Alam ist ein arabischsprachiger Propagandakanal der Islamischen Republik. Davon gibt es Dutzende.  

Solche Bilder sieht man diese Tage in fast allen Medien des Iran - Foto: Einige Mitarbeiter der medizinischen Fakultät der Hamadan-Universität
Solche Bilder der Solidarität mit den Palästinenser:innen sieht man diese Tage in fast allen Medien des Iran – Foto: Einige Mitarbeiter der medizinischen Fakultät der Hamadan-Universität

Das Ende der Euphorie 

Am Montag meldeten unterschiedliche Kreisen, die Situation sei instabil, ein Angriff der Hisbollah oder anderer Milizen aus Syrien oder dem Irak auf Israel würde nicht nur Israels Vorgehensweise, sondern auch die der übrigen Welt ändern. Auf dem Rückweg von seinem Besuch in Israel am 18. Oktober hatte US-Präsident Joe Biden klargestellt, dass das US-Militär im Falle eines Angriffs durch die Hisbollah gemeinsam mit der israelischen Armee gegen die Gruppe kämpfen würde. 

„Weder Gaza noch Libanon“ 

Bei all diesen Kalkulationen und Vermutungen in der Region, bei allen „klugen“ Analysen im Westen fehlt ein wichtiger Faktor, der alle Voraussagen zunichte machen kann: eine in ihrer überwiegenden Mehrheit unzufriedene iranische Bevölkerung. Die New York Times zitiert in ihrem Bericht am Montag zwei hochrangige Quellen aus Teheran: Man könne es sich nicht leisten, direkt in den Konflikt verwickelt zu werden, während man gleichzeitig darum kämpfe, dem zunehmenden Unmut der Bevölkerung zu begegnen. Das Feuer, das nach dem staatlichen Mord an Jina Mahsa Amini im September 2022 ausbrach, ist auch unter der Asche der massiven Unterdrückung noch sehr heiß. Dies zeigte sich auch am vergangenen Mittwoch bei der Beerdigung des bekannten Regisseurs Daruish Mehrjui und seiner Frau.  Der Doppelmord an diesem Ehepaar schockte Irans Filmszene: Regielegende Dariush Mehrjui ebnete dem neuen iranischen Film den Weg und kämpfte gegen die Zensur. „Wieder ein staatlich bestellter Mord an einem herausragenden Intellektuellen“, so die Volksmeinung.  Die Traufeier fand drei Tage nach dem Hamas-Angriff und auf dem Höhepunkt der offiziellen Propaganda für die palästinensische Sache statt. Auch an diesem Tag wiederholte die Menge den sich reimenden Slogan „نه غزه نه لبنان ، جانم فدای ایران „ „Weder Gaza noch Libanon, ich opfere mein Leben für den Iran“. Seit Jahren ist diese Parole zu einem Markenzeichen der Proteste avanciert. Dem gegenüber steht die Ratlosigkeit der Regierenden in einer stürmischen Zeit voller Ungewissheiten auf allen Seiten.

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