Protest auf dem reibbaren Mini-PC
Der jüngste UN-Bericht über die Menschenrechtslage im Iran war in den vergangenen Tagen ein heiß diskutiertes Thema in der persischsprachigen Internetgemeinde. Für viel Gesprächsstoff sorgt auch der Versuch der Politik, Fremdwörter aus der persischen Sprache zu verbannen und durch Neologismen zu ersetzen.
Der UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte im Iran, Ahmed Shaheed, äußert sich in seinem jüngsten Bericht besorgt über den Anstieg der Hinrichtungszahlen und eine grundsätzliche Verschlechterung der Menschenrechtslage im Gottesstaat. Seit der Wahl des moderaten Präsidenten Hassan Rouhani im Juni 2013 seien 852 Menschen hingerichtet worden, darunter acht Minderjährige, so Shaheed. Damit habe der Iran weltweit die höchste Hinrichtungszahl.
Die Reaktionen der IranerInnen in den sozialen Netzwerken und Internet-Diskussionsforen auf Shaheeds Bericht sind kontrovers. Viele loben den Sonderberichterstatter: „Shaheed gebührt viel Anerkennung. Ich hoffe, dass seine Arbeit für die Menschenrechte Früchte trägt“, schreibt etwa Masoud auf der Facebook-Seite von BBC Farsi. Ähnlich äußert sich Sara, eine Besucherin der Facebook-Präsenz von Deutsche Welle Farsi: „Gott segne Ahmed Shaheed! Trotz des Drucks seitens des Regimes enthüllt er jedes Mal aufs Neue die Verbrechen der Islamischen Republik.“ Ebrahim pflichtet ihr bei: „Herr Shaheed, danke für deinen Mut und dafür, dass du der Welt die Augen öffnest.“ Manch ein Lob für Shaheed klingt fast schon nach Verehrung: „Herr Shaheed ist scheinbar der einzige, der daran interessiert ist, gegen das Unrecht im Iran anzugehen. Hoffentlich tritt er noch sehr lange für die Rechte der IranerInnen ein“, schreibt der Verfasser eines anonymen Kommentars auf Radio Farda. Manche IranerInnen wünschen sich, dass die Vereinten Nationen auch für andere Fragen Sonderberichterstatter in den Iran schickten: „Eigentlich müsste es auch einen geben, der die Korruption im Iran untersucht. Da gäbe es ganz bestimmt auch sehr viel zu berichten“, schreibt Shahrooz auf Deutsche Welle Farsi.
Andere InternetuserInnen können mit dem Menschenrechtsbericht nichts anfangen. Sie bezichtigen die UN, den Iran nicht fair zu behandeln: „Wenn Ahmed Shaheed und Ban Ki-moon tatsächlich an der Wahrung von Menschenrechten interessiert sind, warum schweigen sie dann zu den Verbrechen Israels?“, fragt Mohammed auf Deutsche Welle Farsi. Auf BBC Farsi schreibt der User Bagher: „Ich frage mich, warum die verehrten sogenannten Menschenrechtler nichts zu den vielen Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien, Kuwait und Katar sagen. Oder was ist mit den Verbrechen der Türkei und Pakistans? Warum wird zu diesen Ländern geschwiegen?“ Der User Saman ergänzt: „Es ist nun klar, dass der geistliche Führer Recht hat, wenn er die Vertrauenswürdigkeit des Westens in Frage stellt.“ Auch die Glaubwürdigkeit der iranischen Informationsquellen der UN wird in Frage gestellt: „Wenn sich Shaheed auf die Informationen von Personen wie Shirin Ebadi und die Journalistin Masih Alinejad bezieht, dann ist doch klar, dass sein Bericht nur Humbug sein kann“, schreibt Twitter-User Pajooh1. Die iranische Regierung hat bisher den UN-Sonderbeauftragten die Einreise verweigert. Deshalb ist er gezwungen, seine Informationen aus unterschiedlichen Quellen zu gewinnen, die sich hauptsächlich außerhalb des Iran befinden.
„Der Iran muss Ahmed Shaheed und Ban Ki-moon vor das Menschenrechtstribunal in Den Haag zerren“, fordert ein User der ultrakonservativen Webseite Fars News.
Warum die Aufregung?
Viele WebuserInnen können die negativen Reaktionen ihrer Landsleute nicht nachvollziehen: „Wenn Shaheeds Bericht das Papier nicht wert ist, auf dem er geschrieben wurde, wie manche hier suggerieren, dann frage ich mich, warum sie sich hier in Rage reden, wenn doch alles angeblich erstunken und erlogen sein soll“, schreibt etwa Arshad auf Twitter. Der größte Teil der iranischen Internetgemeinde ist jedoch der Überzeugung, dass der UN-Bericht die Wahrheit widerspiegele: „Dass, was Shaheed in seinem Bericht aufführt, ist nur die Spitze des Eisbergs“, so Amir auf Radio Farda. Ein anderer User begegnet den KritikerInnen des Berichts auf Balavision mit sehr viel Ironie: „Wir sind die Bürger des freisten Landes der Welt. Hier hast du die Freiheit, das Gesicht eines anderen Menschen mit Säure zu besprühen. Hier bist du frei, Frauen zu vergewaltigen. Und wenn sie sich wehren, hast du die Freiheit, sie zu töten. Herr Shaheed, warum verunglimpfst du mit deinen Lügen den Iran, während das Regime seinen Untertanen doch so viele Freiheiten bietet?“
IranerInnen verspotten Neologismen
Für reichlich Gesprächsstoff sorgen auch die Wortneuschöpfungen der Akademie für persische Sprache und Literatur, deren Vorsitz der ehemalige konservative Parlamentspräsident Gholam Ali Haddad-Adel innehat. Die Akademie versucht seit mehreren Jahren, für nicht-iranische Wörter wie etwa Computer, Helikopter oder Auto persische Ausdrücke zu kreieren. Unter anderem werden Wörter wie Bluetooth im offiziellen Sprachgebrauch durch das Wort Dandoon Abi (Blauzahn), Mousepad durch das Wort Zir Moosh (Unter der Maus), Tablet-PC durch das Wort Rayanake maaleshi (reibbarer Mini-PC) und Phantasie durch unnötig oder ungewöhnlich ersetzt. Die neuesten Neologismen sorgen derzeit unter den iranischen Internet-NutzerInnen für viel Heiterkeit: „Zu meinem Tablet-PC werde ich erst dann reibbarer Mini-PC sagen, wenn Haddad-Adel sich in Ahangare-Dadgar umbenennt“, schreibt Twitter-User Yaghi Ghamzadeh. Haddad Adel ist Arabisch und bedeutet gerechter Schmied.
„Ich möchte gar nicht wissen, wie Kondome nun heißen! Vielleicht Babyfeind?“, fragt Armin belustigt. Auch Elham J amüsiert sich über die Neologismen der Akademie für persische Sprache und Literatur: „Gott sei Dank hat die Akademie keinen Twitter-Account. Sonst würden sie auch das Wort Retweet ins Persische übersetzen wollen.“ „Haddad-Adel hat gefühlt etwa zehn Posten inne. Gute Arbeit leistet er nirgendwo“, schreibt Paksan, ein User des Webportals Iranian UK.
Ein anderer Teil der iranischen Netzgemeinde hat jedoch kein Problem mit den Wortneuschöpfungen: „Klar, manche Wörter muten etwas seltsam an, andere aber wiederum hören sich vollkommen in Ordnung an. Viel alberner ist es, wenn ein beschäftigter Iraner von sich behauptet, busy zu sein,“ schreibt Goosfand auf Iranian UK. Auch Eydad kann sich mit der Arbeit der Akademie anfreunden: „Warum macht ihr euch darüber lustig?“, fragt er. „Über das Wort Hava-Peyma (Flugzeug) lacht doch auch niemand. Wenn man sich an die Wörter gewöhnt hat, sind sie auch nicht mehr lustig.“ Hava-Peyma bedeutet wortwörtlich Luftmesser.
Ähnlich äußert sich ein anonymer User des Diskussionsportals Forum98ia: „Das Problem ist eigentlich nur, dass die Akademie sich zu viel Zeit lässt, um die ausländischen Begriffe durch persische zu übersetzen. Wenn neue Produkte und Technologien auf den Markt kommen, müsste man schnell passende persische Wörter kreieren. Dann würde auch niemand mehr lachen.“
JASHAR ERFANIAN