Neue Chance für die Frauenbewegung im Iran?
Der neue iranische Präsident Hassan Rouhani hat vor den Wahlen mehr Rechte für Frauen versprochen. Wie weit ist er seinem Versprechen nachgekommen? Dazu und zur Situation der Frauenbewegung unter Rouhanis Vorgängerregierung schreibt Frauenaktivistin Mansoureh Shojaee für TfI.
Die Amtsübernahme des neuen Präsidenten Hassan Rouhani im August bot den AktivistInnen der iranischen Frauenbewegung die Chance, wieder zusammenkommen und mit der Reaktivierung der Kampagne „Zusammendenken der Frauen“ ihre Forderungen wieder zur Geltung zu bringen. Rund 800 Kulturschaffende, WissenschaftlerInnen, Frauen- und ZivilaktivistInnen verschiedener politischer Richtungen hatten im Rahmen dieser Kampagne dem Präsidenten in einer Erklärung die aus ihrer Sicht richtigen Kriterien für die Auswahl der künftigen MinisterInnen mitgeteilt. Dieser Schritt war das Ergebnis mehrerer Treffen der Beteiligten, die vor und nach der Präsidentschaftswahl regelmäßige Sitzungen organisierten, um die Forderungen der Frauen zu thematisieren und durchzusetzen.
Politische Partizipation von Frauen und die Ernennung von Ministerinnen gehörten zu ihren Hauptforderungen. Da Rouhani zunächst keine einzige Ministerin für sein Kabinett vorsah, wurde er von Frauenaktivistinnen heftig kritisiert. Die Kritik zwang die Regierung dazu, immerhin einige Frauen für Schlüsselpositionen aussuchen: Frauen wurden als Rechtsberaterin des Präsidenten, als Stellvertreterin in Angelegenheiten der Frauen und Familien, als Leiterin der Umweltschutzorganisation und als Sprecherin des Außenministeriums ernannt. Das ist ohne Zweifel positiv für die politische Partizipation von Frauen.
Charta der Bürgerrechte
Die iranische Regierung hat im November den Entwurf für eine „Charta der Bürgerrechte“ veröffentlicht. Experten waren aufgefordert, ihre Verbesserungsvorschläge in die endgültige Version der Charta einzubringen. Im zweiten Kapitel werden auch Frauenrechte erwähnt. Es gibt dort direkte Verweise auf die Verbesserung der Situation von Frauen in Bildung und Berufswelt, auf die Beseitigung geschlechtsspezifischer Diskriminierung und vorbestimmte Frauenquoten bei der Aufnahmeprüfung der staatlichen Universitäten. Auch die Gründung von frauenspezifischen Behörden und ihre Partizipation in sozialen Aktivitäten werden thematisiert, was Grund zur Hoffnung gibt. Doch das Recht der Frauen auf Scheidung, auf die Vormundschaft für minderjährige Kinder, das Erbrecht und viele frauendiskriminierende Gesetze werden nicht erwähnt. Auch das Recht auf die Wahl der Kleidung unterliegt nach dieser Charta der „Übereinstimmung mit islamisch-nationalen Normen“. Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass solche Normen durch die Kontrollbehörden willkürlich interpretiert und nach ihrer Auffassung durchgesetzt werden.
Notwendige Beteiligung
Eine Auseinandersetzung mit der neuen Charta der Bürgerrechte durch das Amt für Frauenfragen im Innenministerium, die Partizipation von Aktivistinnen der Frauenbewegung und die Anwendung der speziellen Fähigkeiten der Expertinnen bei der Ausarbeitung einer endgültigen Version der Charta der Bürgerrechte sind Maßstäbe, an denen sich die politische Beteiligung der Frauen an einem Emanzipationsdiskurs unter der neuen Regierung messen lassen kann.
Wenn die politische Partizipation in Regierungskreisen nicht zur Vertretung der Forderungen der Mehrheit der Frauen führt, kann sie einen Emanzipationsdiskurs nicht fördern. Als Beispiel können Regierungsbeamtinnen unter Präsident Mahmoud Ahmadinedschad dienen. Anfangs reagierten sie kaum kritisch auf frauenfeindliche Maßnahmen der Regierung und auf die Behinderung der Frauenorganisationen durch die Behörden. Erst ab 2008 zeigten sie mehr Verständnis für Frauenaktivistinnen. In jenem Jahr wurde der Gesetzentwurf zum neuen Familienrecht vorgelegt, der eine Bestätigung dafür war, dass iranische Frauen und Männer überhaupt nicht gleichberechtigt sind. Trotz Kritik und Protesten, die zum Teil sogar aus dem Lager der konservativen Politiker und religiösen Instanzen kamen, wurde die Vorlage im Parlament beschlossen.
Begegnung mit schwierigen Situationen
Trotz der polizeistaatlichen Atmosphäre während der Amtszeit Ahmadinedschads gelang es den AktivistInnen der Frauenbewegung, ihre Aktivitäten – unter anderem die „Kampagne für eine Million Unterschriften“ für die Abschaffung der frauendiskriminierenden Gesetze, die „Kampagne gegen Steinigung“ und die „Allianz der Frauen für Frauenrechte“ – fortzusetzen. Gleichzeitig wurde in dieser Zeit zum ersten Mal seit der islamischen Revolution eine Frau, Vahideh Dastjerdi, zur Gesundheitsministerin ernannt. Allerdings wurde während ihrer Amtszeit durch Regierungschef und Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei Geburtenkontrolle verhindert und die Geschlechtertrennung an den Universitäten durch manche Behörden bestätigt und unterstützt.
Netzwerkbildung: nötig und möglich
Während Ahmadinedschads Amtszeit stand die politische Partizipation von Frauen nicht auf der Tagesordnung der Regierung. Das führte dazu, dass eine frauenfeindliche Politik im Vordergrund stand und die Gegner der Emanzipation bestärkt wurden. Nun ist durch relative Normalisierung der politischen Atmosphäre und das Versprechen der Geschlechtergerechtigkeit durch den neuen Präsidenten die Möglichkeit entstanden, dass die Frauenbewegung sich entwickelt. Sie kann der neuen Regierung gegen frauenfeindliche Strömungen zur Seite stehen und als ein treibender Faktor die politische Partizipation von Frauen in Regierungskreisen mitgestalten.
Vor diesem Hintergrund müssen die AktivistInnen der Frauenbewegung im Iran neue Strategien finden, um Verbindungen zwischen den Frauen in der Politik, Bürgerinnen und Anhängerinnen der Emanzipation in Regierungskreisen herzustellen. Handlungsfreiheit für bürgerliche Fachinstitutionen und Frauenorganisationen einerseits und ihre Zusammenarbeit mit offiziellen Frauenämtern und weiblichen Persönlichkeiten in der Politik andererseits kann zu Netzwerkbildung unter den Frauen führen. Gedankenaustausch und Konvergenz der AkteurInnen innerhalb der iranischen Frauenbewegung in möglicher Zusammenarbeit mit emanzipationsorientierten Frauen in Regierungskreisen garantieren die Vielseitigkeit und Relevanz der Forderungen von Frauen in den herrschenden Verhältnissen. Eine mögliche Konvergenz von bürgerlichen Fraueninstitutionen, AktivistInnen der Frauenbewegung und Frauen in Regierungskreisen kann die Durchsetzung der rechtlichen, politischen, zivilen und wirtschaftlichen Forderungen der Frauen Schritt für Schritt voranbringen.
Übertragen aus dem Persischen: Pouya Rastin