Leiser Kampf gegen Kindesmissbrauch
Dr. Shahin Oliaie Zand gründete im Iran die ‘Organisation zur Prävention sexuellen Kindesmissbrauchs’. Trotz des Erfolgs und der Bedeutung ihrer Arbeit bekommt sie keinerlei staatliche Unterstützung. Ein Interview mit der Psychologin.
Wie überall in der Welt hat auch im Iran sexueller Missbrauch von Kindern eine lange Tradition. In der alten Literatur ebenso wie in mündlichen Überlieferungen finden sich häufig Beschreibungen junger Männer, die geschminkt mit Straßenmusikanten auf Männer-Partys auftraten, oder über den Missbrauch von Jungen und Mädchen an manchen Herrscherhöfen. Dennoch ist das Thema Kindesmissbrauch in dem islamischen Land bis heute tabu. Die „Organisation zur Präventaton sexuellen Kindesmissbrauches“ versucht seit 2004, dieses Tabu zu brechen. Ihre Gründern Shahin Oliaie Zand hat in den vergangenen zehn Jahren viel zur Aufklärung beigetragen, doch staatliche Anerkennung hat sie bis heute nicht erfahren. TfI dokumentiert ein Interview der persischen Redaktion der Deutschen Welle (DW) mit der Psychologin:
DW: Frau Doktor Zand, Ihre Organisation trägt das Wort ‘Prävention’ im Namen – für gewöhnlich legen Hilfsorganisationen die Betonung auf ‘Schutz’. Warum ziehen Sie die Prävention dem Schutz vor?
Shahin Oliaie Zand: Ich habe in den USA studiert. An meiner Universität waren alle Professoren der Überzeugung, geeignete Präventionsmaßnahmen könnten den sexuellen Missbrauch von Kindern zu mehr als 90 Prozent verhindern. Das war für mich der Anstoß, mich mit dem Thema intensiver zu beschäftigen. Ich suchte nach Mitteln, die nach dem Prinzip einer Impfung funktionieren, und habe meine ganze Kraft darauf konzentriert, eine psychologische Prävention speziell für dieses Gebiet zu erarbeiten. Meiner Meinung nach ist Prävention der höchste Schutz.
Wie kamen Sie zum Thema sexueller Missbrauch?
Bereits während meines Psychologie-Studiums hatte ich eine Begegnung mit einer Frau, die von ihrem Vater sexuell missbraucht worden war. Sie erzählte mir, dass in ihrer Familie drei von vier Kindern sexuellen Missbrauch erlebten. Aber es gab ein Kind, das sich gewehrt hatte. Diese eine Person konnte sich retten. Das hat mich fasziniert und ich habe mich mit dem Fall tiefgreifend beschäftigt. Nach dem Studium bin ich in den Iran zurückgekehrt und begann, in einer Zeitschrift in einfachen Worten über das Thema zu schreiben. Deshalb wurde ich von Betroffenen aufgesucht. Nach längerer Praxis wurde mir klar, dass sexueller Missbrauch in vielen Familien geschieht.
Sie haben auch über Prostitution im Iran geforscht. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Prostitution und Missbrauch im Kindesalter?
Ich habe über vier Jahre lang in vielen Städten des Iran Gespräche mit
Prostituierten geführt. Dabei habe ich festgestellt, dass etwa 25 Prozent der Prostituierten in ihrer Kindheit von nahen Verwandten sexuell missbraucht wurden.
Wie setzen Sie Ihre Erkenntnisse um?
Mir geht es darum, die präventive Erziehung in frühen Jahren anzusetzen. Dabei versuche ich, mein Fachwissen mit Kunst und Kultur zu verbinden. Das Ergebnis ist ein Kinderbuch mit dem Titel ‚Ich hab alle gerne, aber…’. Das Buch richtet sich an Kinder im Vorschulalter und wirft einen positiven Blick auf das Leben. Es zeigt, dass das Leben schön ist, dass aber auch Grenzen berücksichtigt werden müssen. Eine der wichtigsten Grenzen ist die des Körpers. Viele haben versprochen, das Buch nach der Veröffentlichung zu erwerben und betroffenen Familien zur Verfügung zu stellen. Mittlerweile hat es zwar eine Registriernummer, befindet sich aber noch auf dem bürokratischen Wege zur Veröffentlichung. Auch ein Unterrichtspaket, das ich ausgearbeitet habe, wartet noch auf die Genehmigung. Die Wege in unserer Gesellschaft sind eben mit vielen Stolpersteinen bedeckt, die unsere Kräfte verbrauchen.
Ab welchem Alter können Kinder an Ihren Lernprogrammen teilnehmen?
Die häufige Annahme, dass das sexuelle Interesse erst im jugendlichen Alter erwacht, ist nicht richtig. Einer der Meilensteine der sexuellen Entwicklung von Kindern liegt im Vorschulalter. Wenn wir Kinderspiele in diesem Alter betrachten, stellen wir fest, dass sexuelle Themen häufig im Mittelpunkt stehen. Ein Beispiel dafür sind die weltweit verbreiteten ‚Doktorspiele’ in dieser Altersstufe. Deshalb ist es angebracht, im Vorschulalter mit der Sexualerziehung zu beginnen, die sich meines Erachtens vom Sexual-Unterricht gänzlich unterscheidet.
Sex ist in der iranischen Gesellschaft ein Tabuthema. Wie gewinnen Sie das Vertrauen der Menschen?
In weiten Teilen der iranischen Gesellschaft ist Offenheit für das Thema vorhanden. Ich würde sogar behaupten, dass die Menschen im Iran einige Schritte weiter sind als die Verantwortlichen. Seit Jahren bin ich im direkten Kontakt mit StudentInnen und ihren Familien. Durch meine Veröffentlichungen und Interviews spreche ich die Grundbedürfnisse der iranischen Gesellschaft an. Das erklärt die Empfangsbereitschaft der Menschen.
Welche Hindernisse haben Sie erlebt?
Am Aufwändigsten war es, die Verantwortlichen zu überzeugen. Mein Vorhaben wurde zwar genehmigt, ich erhielt aber keine finanzielle Unterstützung. Viele Programme können nicht durchgeführt werden, weil sie von meinen persönlichen finanziellen Möglichkeiten abhängen. Wir haben bis jetzt keinen Cent aus der Staatskasse.
Kontakt: shahin.oliyaeezand@gmail.com
Interview: Aida Ghajar
Aus dem Persischen: Said Shabahang
Quelle: Deutsche Welle