Krawalle in England: Was man im Iran darin sieht

Manche sehen in ihnen eine „Rache Gottes“, für andere sind sie eine „Meuterei“ – Die Unruhen in London und andern Städten beschäftigen auch das iranische Internet. Die meisten ziehen dabei Vergleiche mit den Unruhen in Teheran nach den Präsidentschaftswahlen im Sommer 2009 – und kommen zu völlig verschiedenen Schlussfolgerungen.Die Krawalle in London, Birmingham und Manchester sind auch für die Führung der Islamischen Republik Iran ein Anlass, sich zu Wort zu melden. Präsident Mahmoud Ahmadynedschad kritisierte auf einer Pressekonferenz „die Unterdrückung der Opposition“ in Großbritannien. Laut „Mehr News“ möchte das iranische Parlament zur Untersuchung der Unruhen „eine Menschenrechtskommission“ nach London schicken.
Die Anhänger des religiösen Oberhaupts Ayatollah Khamenei sehen in den Unruhen die Erfüllung einer Prophezeiung, wonach „das Islamische Erwachen“ auch in nicht-islamischen Ländern stattfinden werde. Mohammad Kazem Hejazi, Mitglied der Kommission für Sicherheit und Außenbeziehungen des iranischen Parlaments behauptet in einem Interview mit der Website „Jaras“, Ayatollah Khamenei habe vorausgesehen, dass sich die Aufstände in den arabischen Ländern auf Europa ausweiten würden.
Teheran 2009, London 2011?
Die iranische Bloggerszene diskutiert vor allem über den Sinn und Unsinn der Krawalle. Oft vergleichen sie die Unruhen in Großbritannien mit denen in Teheran nach den Präsidentschaftswahlen 2009.
Damals hatte die reformistische Opposition der Regierung Wahlfälschung vorgeworfen. Als Mirhossein Mussavi und Mehdi Karubi –  die wichtigsten Rivalen von Mahmoud Ahamdynedschad bei den Wahlen – zu Protestmärschen aufgerufen hatten, gingen Millionen zumeist junge Iraner auf die Straße. Sie verlangten nach Aufklärung der Betrugsvorwürfe. Ihr Protest wurde rasch von den Sicherheitsorganen niedergeschlagen. Es gab zahlreiche Tote und Verletzte. Mussavi und Karubi stehen seitdem unter Hausarrest.
„Die Grünen im Iran wollten das System abschaffen“

Screenshot: Weblog von Jafar Sarabi
Screenshot: Weblog von Jafar Sarabi

Im Zusammenhang mit den Unruhen in England wiederholen die regimetreuen Internetaktivisten die Meinung der Regierungspolitiker. So schreibt der Betreiber des Weblogs „Dastneveshtehaye yek daneshjoo“ ((Die Handnotizen eines Studenten“): „Auf den ersten Blick sehen die Unruhen in den englischen Städten wie die Meutereien von 2009 in Teheran aus; brennende Mülltonen, zerschlagene Telefonzellen“.
Der angebliche Student führt weiter aus, dass die Anhänger der oppositionellen „grünen Bewegung“ im Iran die Abschaffung des Systems zum Ziel hätten, während die Protestierenden in Großbritannien gegen soziale Ungerechtigkeiten und Rassismus aufbegehren würden. „Wie würde die britische Polizei reagieren, wenn sie das System in Frage gestellt hätten?“, fragt der Blogger.
Auch der Regimeanhänger Jafar Sarabi verkündet schadenfroh in seinem Weblog: „Die Hinterlistigen tappen in ihrer eigenen Falle.“ Er glaubt, die Massen in England, den USA und Israel seien gegen das jeweilige System aufgestanden. Das sei „Rache Gottes“ für „all die schlimmen Taten“ der britischen Regierung. „Der Gottesfürchtige“ Blogger rechtfertigt wie viele seiner Glaubensgenossen die Krawalle mit „Ungerechtigkeit und Rassismus in Großbritannien“.
„Blut und Feuer“
Die Reaktionen in den regimekritischen Blogs und bei den oppositionellen Nutzern von sozialen Netzwerken fallen völlig anders aus. Hier ist die Empörung über die Deutungen der Machthaber in Teheran größer, als die über die Ereignisse in den englischen Städten selbst. Ihre Stellungnahmen reichen von zynischen Andeutungen bis zu scharfsinnigen Analysen. Die meisten betrachten die Ereignisse als „Meuterei ohne politische Forderungen“.  Manche von ihnen gehen auch auf die sozialen Hintergründe der Proteste ein – wie Behrang Tajedin. Er sieht die Arbeitslosigkeit und die Vernachlässigung der ethnischen Minderheiten als wichtige Gründe für die Ausschreitungen.
Screenshot: Weblog Babak Dad
Screenshot: Weblog Babak Dad

Einige versuchen mit einfachen Erklärungen und Fragen „die Verlogenheit der iranischen Politiker“ bloßzustellen. Zum Beispiel Babak Dad. Er stellt in seinem Weblog „Forsate Neveshtan“ („Zeit zum Schreiben“) vier Fragen und beantwortet sie selbst. Hier die Zusammenfassung:
–          „Beteiligen sich an den Protesten in England Menschen aus unterschiedlichen Schichten?“ Seine Antwort: „Nach den unmittelbaren Nachrichten und Bildern aus diesen Städten zu urteilen: nein.“
–          „Gibt es Anzeichen dafür, dass die Proteste die Vorboten eines islamischen Erwachens sind?“ Seine Antwort: „Nein. Das einzige islamische Land, das versucht, diese Meutereien den Muslimen in die Schuhe zu schieben, ist die Islamische Republik Iran.“
–          „Wünschen sich die Machthaber im Iran wirklich ein Erwachen der Muslime in der Welt?“ Auch hier lautet die Antwort „nein“. Er führt weiter aus: „Die Reaktion der Machthaber im Iran auf die Ereignisse in Syrien und England zeigen, dass sie nur an ihre eigenen Interessen denken“ – schließlich unterstütze der Iran Syrien im Kampf gegen die Aufständischen.
–          „Warum interessiert sich die Islamische Republik für die temporären Aufstände in anderen Gebieten?“ Seine Antwort: „Die Islamische Republik braucht sie, um ihre eigenen Unzulänglichkeiten zu rechtfertigen (…), um gegenüber der eigenen Bevölkerung zu behaupten, der Iran sei das Paradies und der Rest der Welt wäre dabei, in Blut und Feuer unterzugehen“.